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Gorbatschow-Katechismus

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Was der umgänglich-charmante Chef der KPdSU wirklich will, stimmt in den seltensten Fällen mit den übertriebenen Wunschvorstellungen und weit ausholenden Interpretationsversuchen des sowjetischen Umgestaltungsprozesses im Westen überein. Wer dies je leugnete, wird durch das vorliegende Buch „Michail Gorbatschow - Was ich wirklich will“, unlängst im Wiener Orac-Verlag erschienen, eines Besseren belehrt.

Der Mann, mit dem sogar eine Margret Thatcher „business“ machen kann, ist vom kommunistischen Weg, der in der Sowjetunion vor 70 Jahren begonnen hat, zutiefst überzeugt. Kein Jota wird er vom Marxismus-Leninismus abweichen. Reform bedeutet für Gorbatschow geradezu Rückkehr zu den Ansprüchen Lenins und der Oktoberrevolution. Mit seinen Aussagen am Montag und Dienstag dieser Woche hat der Generalsekretär erneut diesen Weg bestätigt.

Der Welt, deren Fragen in dem von Herbert Steiner und Maria Sporrer zusammengestellten Frage-Antwort-Spiel (auf der Grundlage von Gorbatschow-Reden) in dem Buch beantwortet werden sollen, gibt der Generalsekretär eine deutliche Lehre. In eloquenter Manier wird das mittlerweile bis zum Geht-nicht-mehr strapazierte Begriffsinstrumentarium von „Umgestaltung“, „Transparenz“, „Beschleunigung“ und „Demokratisierung“ näher erläutert.

Die Dreiteilung des Buches -„Aufrüsten-Abrüsten - im Spiegel des .neuen Denkens'“, „Die .Umgestaltung' in Gesellschaft und Wirtschaft“ sowie „Außenpolitik und internationale Beziehungen“ — filtert jene Schwerpunkte Gorbatschowscher Politik heraus, die alle eine effizientere Ökonomie des kommunistischen Landes zum Ziel haben.

„In der bürgerlichen Presse“, sagt Gorbatschow auf die - im Buch auf Seite 159 gestellte -„Frage“ nach einer eventuellen Annäherung der sowjetischen Gesellschaft an Freiheit und Menschenrechte, „wird der sich bei uns vollziehende Prozeß der Demokratisierung falsch ausgelegt. Es ist erkennbar, daß mancher seine Leser und Zuhörer sehr gerne davon überzeugen möchte, daß man in der Sowjetunion die Absicht habe, sich zu guter Letzt jener Demokratie zu nähern, die im Westen herrscht. Die sozialistische Demokratie ist unser Ziel...“

So gesehen bleibt für eine „Bereicherung“ des menschlichen Lebens durch persönliche bürgerliche Rechte und Freiheiten — so die Herausgeber in einer „Frage“ ( Seite 160) - nur wenig Platz. Geht es doch nach wie vor nur um einen von der Partei als Führungskraft ermöglichten und gewährleisteten breiten staatsbürgerlichen und schöpferischen Freiraum. Menschenrechte können in dieser Denkweise nicht als etwas gesehen werden, was dem Menschen vor dem Staat und nicht durch ihn verliehen zukommt.

Michail Gorbatschows „neues Denken“ muß also im Rahmen des kommunistischen Systems bewertet werden. Und dabei ist es gerechtfertigt, von einer Denkrevolution zu sprechen. In diesem v Zusammenhang ist Bruno Kreisky, der das Vorwort zum vorliegenden Band geschrieben hat, zuzustimmen, der auf die durch das neue politische Denken in der Sowjetunion gegebene „Gunst der Stunde“ aufmerksam macht.

Es geht also künftig nicht mehr an, der Sowjetunion nur mit Mißtrauen zu begegnen. Die Abrüstungsvorschläge Gorbatschows — zum Beispiel — verdienen, emstgenommen zu werden; ganz gleich, aus welchen Gründen sie gemacht wurden und werden.

Trägt diese Sammlung von Ansichten und politischen Optionen zur Vertrauensbildung zwischen Ost und West bei? Die Propaganda für das Buch seitens sowjetischer Stellen deutet auf das Entstehen eines „Gorbatschow-Katechismus“ hm. Ähnlich wie in den sechziger Jahren der „Rote Katechismus“ oder die „Worte des Vorsitzenden Mao Zedong“ erhält der Band die Funktion einer Sammlung von „Glaubenssätzen“, die heute - weü sie eben „in“ sind - in der offiziellen Sowjetunion, auch in Wissenschaftlerkreisen, nachgebetet werden.

Wir wissen jetzt einiges darüber, was Gorbatschow „wirklich“ will. Wie es in der KPdSU aussieht, welche Machtkämpfe mit welchen Konsequenzen für die Sowjetunion und die Welt ausgetragen werden, bleibt nach wie vor ein großes Rätsel. Und das will die Welt heute gelöst haben.

MICHAIL GORBATSCHOW - WAS ICH WIRKLICH WILL. Herausgegeben von Herbert Steiner und Maria Sporrer. Verlag Orac, Wien 1987. 264 Seiten. öS 232,-.

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