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Gott auch im Sozialismus vertreten

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Das Christentum ist für Europa ein etwa tausendjähriges gemeinsames Erbe. Wir bemühen uns, dieses Erbe zu bewahren — im Osten und im Westen. Es wird auf der einen Seite durch die entgegengesetzte Ideologie, auf der anderen durch den praktischen Materialismus gefährdet. Das christliche Erbe kann aber beiden entgegengesetzt werden: der Gottesglaube ist eine motivierende, zur Arbeit, zur Liebe, zum Leben befähigende Kraft...

Ich kann aus meiner eigenen Erfahrung in meinem Land und aufgrund meiner Informationen aus den sozialistischen Ländern sa-

gen: Unsere marxistischen ideologischen Gegner schauen immer mehr mit Hochachtung auf die nach ihrem Glauben lebenden, davon Zeugnis ablegenden Christen, sie verachten aber, verurteilen sogar die heuchlerischen, opportunistischen Kompromißler. Wir dürfen keinen opportunistischen Irenismus predigen, wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, was uns aufgrund unserer Glaubensgrundsätze von den Marxisten trennt. Trotzdem sind

sie nicht unsere Feinde: wir kämpfen mit ihnen als Gegner auf einem geistigen Turnierplatz...

Was unsere Zukunft betrifft — ich denke jetzt an die ungarische Kirche -, erleben wir langsam das Wiederaufleben des scheinbar toten Weizenkorns. Eine — für uns sehr lange und mühsame — Entwicklung hat zum heutigen Zustand geführt. Dieser Zustand bedeutet heute eine Aufgabe, einen Auftrag, aber auch eine nicht geringe Sorge. Einerseits haben wir die Sendung und den Auftrag, den Glauben Christi in uns zu vertiefen und zu verbreiten; andererseits müssen wir in unserer atheistischen und agnostischen Umgebung bezeugen, daß unser Glaube nicht in den Verdacht der Rückständigkeit und des stur Konservativen gerät, während der Unglaube mit dem Fortschritt vermählt scheint. Man braucht nicht zu fragen, welches für die Menschen, besonders für die junge Generation attraktiver ist.

In meiner Heimat steht die Kirche in einer echten Missionssituation. Als „Gesandte an Christi statt“ soll sie nicht nur Kleinkinder zu Christus führen, sondern Massen von Erwachsenen muß sie den unbekannten oder kaum, viel-

leicht unrichtig erkannten Christus und sein Evangelium verkünden. Viele Sätze der christlichen Lehre sind unbekannt, werden in Frage gestellt, sogar abgelehnt. Unsere Jugendlichen werden in diese Lage hineingeboren, das wirkt auf sie vom Kindergarten angefangen durch die ganze Jugendzeit bis zum Hochschulstudium, das gleiche begleitet die erwachsenen Menschen bis in die Altersheime.

Von der Missionssituation zeugt auch die große Zahl der Desinteressierten, die weder im Lager der Christen, noch in dem der atheistischen Marxisten engagiert sind. Und wir Christen sind auch zu diesen gesandt. Noch mehr: Da wurde uns eine Rolle zugeteilt, die Gesellschaft zu wecken, zu retten. Wir können nicht umhin, es so zu formulieren: Es wäre besser, wenn ein Jugendlicher überzeugter Marxist wäre und sein Leben nach solchen Grundsätzen gestaltete, als daß er gleichgültig und blasiert ist und keine Uberzeugung besitzt.

Ich muß es gestehen: Die ungarische Kirche hat nicht nur gelitten, sondern auch „per omissio-nem“, durch Unterlassen gesündigt. Wir haben unsere Chancen zur gegebenen Zeit und auch in den jüngsten Zeiten nicht genügend ausgeschöpft. Die politischgesellschaftliche Situation war für viele eine Art „Alibi“. Wir hatten nicht genügend Courage, und wir schulden noch immer der kommenden Generation einen klugen, aber auch mutigen pasto-ralen Plan.

Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche ist kein starrer, unbeweglicher Zustand, sondern ein fluktuierender Prozeß. Grundlage dieses Verständnisses und Verhältnisses kann für uns nur ein ausgewogener Pluralismus, eine beiderseitige menschliche Bejahung und Anerkennung, und kein Kampf sein. Die Beziehungen zwischen Staat und Kirche sind in Ungarn heute gut. Das hören und

schreiben wir oft. Diese Aussage schließt aber nicht aus: Sie könnten und sollten noch besser werden ...

Gott vertreten in einer sozialistischen Gesellschaft... Gott bezeugen in einer marxistischatheistischen Umgebung: ohne Zweifel ein schwieriges und riskantes Unternehmen, doch ist dies unsere Realität.

In demselben Sinne erklärte Staatssekretär Imre Miklös, der * Präsident des ungarischen Staatlichen Kirchenamtes: „In unserem Lande ist das Zusammenhalten von Menschen mit verschiedener Weltanschauung eine lebende Wirklichkeit geworden ... Marxisten und Gläubige sind keine Feinde, sondern Menschen, die das gleiche Schicksal haben und auf dem gleichen Weg gehen.“ (Nepszava, 20. August 1986).

Dieser gemeinsame Weg weist freilich — in der Deutung des Staatssekretärs — vor allem auf nationale und nicht weltanschau-

liehe Bezüge hin. Wir ungarische Katholiken sind doch davon überzeugt, daß bei uns — wenn auch schwierig und langsam — sich etwas Neues zu entwickeln begonnen hat. Die vielen Tränen, das viele Seelenleiden ist unser „investiertes Kapital“. Unsere Hoffnung ist mit den Worten des Psalmisten auszudrücken: Qui seminant in lacrimis, in exsulta-tione metent; Die mit Tränen säen, werden mit Jubel ernten (Ps. 126,5).

Wenn mich jemand fragte: Wie ist dieser Versuch möglich, wel-

eher Weg und welche Mittel stehen zur Verfügung? — könnte ich ' antworten: Wir haben keine ausgearbeitete Theorie. Unsere Antwort ist das Leben der Zeugen. In unserer Umgebung hat Blaise Pascal besonders recht: Die Gottesbeweise sind zu blaß, der ausschließlich mit Argumenten geführte Dialog, die Theorie, ver-

gißt zu leicht den wahren Gott und läßt ihn vergessen. Den Wert der Vernunftargumente möchte ich keineswegs unterschätzen. Aber: Die Argumente müssen vor allem wir selbst sein. Ein überaus schwieriges und verantwortungsvolles Unternehmen!

Unsere Mittel sind selbstverständlich ärmlich: Zum Beispiel fehlen uns die Medien in gebührender Anzahl und ausreichendem Maße. Wir können nicht (oder kaum) die große Öffentlichkeit durch Hörfunk und Fernsehen ansprechen. Die Zahl der katholischen Schulen ist viel zu gering. Und doch wird trotz der Schwierigkeiten die Verantwortung in uns immer stärker, wenn wir uns die ungarische Gesellschaft von morgen vor Augen halten.

Im stillen arbeiten, das ist bei uns die Aufgabe der Christen -nicht auf dem gemachten Bett der Ahnen liegend immer nur unsere christliche Vergangenheit im

Munde führen. Spektakuläre Feiern oder Großveranstaltungen haben auch ihre Bedeutung, aber sie können auch ein falsches Bild geben. Auch die vom Ausland kommende, oft sehr falsche Kritik, da sie die Situation nicht gebührend kennt, gibt uns keine Kraft, sondern verursacht Verunsicherung und Unbehagen. Wir brauchen nicht Mitleid, wir brauchen nicht nur materielle Unterstützung, sondern - staunen Sie bitte nicht! — auch Anerkennung!

Ja, wir brauchten 40 Jahre Kampf, Ausdauer und Geduld, um unsere Erfolge aufzeigen zu können. Wir haben bescheidene, aber sichtbare und greifbare Erfolge. Heute werden unsere Ehrlichkeit und die aus dem Glauben quellende, im Glauben motivierte Handlungsweise von unseren Gegnern immer mehr geschätzt. All das ist eine vielversprechende Realität. Und vor allem: Wir glauben an die Kraft Christi, der für uns am Kreuz sein Leben hingegeben hat, wir glauben an sein Versprechen: Habt Mut, ich habe die Welt überwunden! (Joh 16,33)

Der Autor ist Erzabt der ungarischen Benediktinerabtei Pannonhalma. Auszug aus einem Referat zum Symposion „Zukunft des Christentums“ anläßlich des 40-Jahr-Jubi-läums der „Herder-Korrespondenz“ im Herbst 1986 in Freiburg im Breisgau.

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