7040642-1990_15_07.jpg
Digital In Arbeit

Gott des Brotes

Werbung
Werbung
Werbung

„Tu etwas gegen den Hun- ger in der Welt, und zwar rasch, wirkungsvoll und ohne viele Worte. Wer Hunger hat, will Brot. Alles andere ist, ja muß ihm egal sein!" Solche vernünf- tigen Vorschläge hat der Teu- fel seinerzeit Jesus gemacht. „Jesus, mach aus diesen Stei- nen Brot. Wenn du wirklich der Sohn Gottes bist, dann kannst du das ja." Wäre Jesus der teuflischen Vernunft ge- folgt, wer könnte ihn schon verurteilen? Sagen doch gera- de die „Heutigen": zuerst das Brot, alles andere ist bis auf weiteres nicht so wichtig. Entwicklungshilfe ja, Ent- wicklungspolitik nein!

Die Antwort des „Menschen- sohnes" ist überraschend, gött- lich: „Nicht vom Brot allein wird der Mensch leben, son- dern von jedem Wort, das aus dem Mund Gottes hervorgeht." Und diese Antwort gibt er in einer persönlichen Extremsi- tuation, nach 40 Tage Fasten, und sagt damit soviel wie: „Vom Brot allein wird der Mensch sterben." Wer würde es wagen, so eine Erkenntnis von den Hungernden unserer Zeit zu verlangen? Müßten das nicht eher die Satten begrei- fen?

Doch die Erfahrung lehrt, daß erstaufilicherweise gera- de die Armen, die Unterdrück- ten, die Hungernden wissen, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt: Eine alte Frau: „Hier im Altersheim werden wir gehalten wie kostbare Tiere, aber reden kann man mit niemandem." Ein Schnor- rer, der 100 Schilling bekom- men hat: „I kum net nur wegn dem Schulung zu Ihna. I brauch jemand, der redt mit mir, daß i gspür, daß i no a Mensch bin."

„Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral!" sagt Brecht. Einverstanden, aber dann soll sie auch kommen; noch besser gleichzeitig. Denn meistens kommt ja nach dem Fressen das „Angfressensein ".

Bevor meine Großmutter einen Laib Brot angeschnitten hat, hat sie darauf ein Kreuz- zeichen gemacht. Ein starkes Symbol: Das Wort Gottes kommt nicht nach dem Brot, sondern es bestimmt schon die Brotverteilung. Denn - was ist ein Brotgeber? Die Erfahrung der Leute: Wes Brot ich esse, des Lied ich singe! Brotgeben provoziert Anbetung, Gefolg- schaft, provoziert Hierarchien. Das heißt, naives Brotgeben schafft neue Abhängigkeit, neue Unterdrückung. Man ersuche doch die vielen Brot- spender, einmal ihre Motive zu reflektieren.

Der Mensch lebt auch da- von, daß er mitbestimmen kann: Wer seine Brotgeber sind; wie Brot hergestellt und verteilt wird; um welchen Preis es verkauft wird, oder ob man es verschenken soll. Denn Brotgeben impliziert immer politische Strukturen. Wer aber nur Brot geben kann, wird höchstens erreichen, daß die Menschen alles satt haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung