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Gott - Faktor der Zukunft"

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Die Botschaft des Weihriachts-engels trifft genau die empfindliche Stelle vieler Menschen heute: sie haben Angst. Vierzig Prozent aller Österreicher sollen laut Umfragen an Angstzuständen leiden. Angstlösende Medikamente werden in großer Zahl verkauft. Das Geschäft mit der Angst blüht, zumal manche für ihre objektlose, irrationale Angst irgendwelche Anhaltspunkte suchen.

Eine als Gag gedachte Einblendung während eines Fernseh-Krimis, daß bei Duisburg ein unbekanntes Flugobjekt gelandet sei, löste Anfang Dezember eine Flut von Anrufen bei den Fernsehanstalten in Osterreich und in der Bundesrepublik Deutschland aus. Die Leute wollten wissen, ob von den Besuchern aus dem Weltall, die mit einem „UFO" angefahren kamen, für sie eine Gefahr drohe.

Manche, die unter Angstzuständen leiden, sehen sich in masochi-stischer Art Horrorfilme an, um wenigstens in ihrer Phantasie einen Grund zum Fürchten zu haben. An jedem Bahnhofskiosk kann man Bücher kaufen, die einem Angst machen können. Mancher Redner eröffnet mit Erfolg seinen Vortrag mit dem Satz: „Wir leben in einem Jahrhundert der Angst".

Auch die Hirten auf dem Felde hatten, wk man bei Lukas lesen kann, große Angst. Sie waren erschrocken über den „Glanz des Herrn", der einen Engel umstrahlte, welcher plötzlich in der Nacht vor ihnen stand. Die Apostel hatten immer wieder Angst: Sie fürchteten während eines Sturms auf dem See, daß sie mit ihrem Boot untergehen könnten; sie liefen bei der Gefangennahme Jesu aus Angst davon; sie sperrten aus Furcht vor den Juden die Türen zu, als sie sich nach dem Tod Jesu wieder zusammenfanden; sie schrien auf vor Furcht, als Jesus auf dem See zu ihnen kam, und riefen entsetzt: „Ein Gespenst!"

Doch nicht jede Furcht und jedes Erschrecken ist gleichzusetzen mit der neurotischen Angst, die viele Menschen heute quält, weil sie ein gestörtes Verhältnis zur Zukunft haben. Sie sind nicht fähig, ihre Zukunft in Gelassenheit zu erwarten und schon gar nicht, ihr vertrauensvoll entgegenzugehen. Sie glauben immer noch wie die alten Griechen an eine blinde Macht des Schicksals, der selbst die Götter ihr Geheimnis nicht entreißen können.

Insofern offenbaren die Ängste unserer Zeit auch das Gottesbild vieler Menschen heute: Gott ist wohl nach ihrer Vorstellung nicht imstande, eine gute Zukunft heraufzuführen; er ist nicht der Herr der Herren oder der „König von erschreckender Majestät", sondern er ist nur ein lieber Gott; er ist einer, der sich alles gefallen läßt und dem man auch alles antun kann, weil er ja ohnedies nur lieb sein kann.

Es tut uns heute weh, aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, daß wir Gott auch fürchten müssen. Bei Lukas (12,5) heißt es: „Ich will euch erklären, wen ihr fürchten sollt: Fürchtet den, der Macht hat, nicht nur zu töten, sondern auch in die Hölle zu werfen. Ja, ich sage euch, Ihn sollt ihr fürchten."

Maria singt im Magnificat: „Er erbarmt sich von Geschlecht zu Geschlecht über alle, die ihn fürchten" (Lk 1,50), und der Engel der Apokalypse ruft: „Fürchtet Gott und gebt ihm die Ehre" (Offb 14,7). Das Buch der Sprichwörter (1,7) stellt fest: „Die Furcht des Herrn ist aller Weisheit Anfang."

Der wiederholten biblischen Aufforderung „Fürchtet euch nicht" steht also ein ebenso biblisches „Fürchtet euch sehr wohl" entgegen. Wer den fürchtet, der allein wahrhaft zu fürchten ist, der verfällt nicht so leicht irrationalen Ängsten. Damit ergibt sich das Paradox: Wir müssen das Fürchten wieder lernen, um die Ängste zu überwinden.

Die Kunst des Fürchtens besteht darin, das und nur das zu fürchten, was tatsächlich und definitiv Schaden bringen kann. Das ist jedoch letztlich nur die Möglichkeit, die Liebe Gottes zu verlieren, oder besser gesagt, sich der Liebe Gottes zu entziehen. Genau das aber scheinen heute sehr wenige zu fürchten. Wer fürchtet sich etwa noch vor einer schweren Sünde? Wer fürchtet sich noch vor der Hölle?

Die 70 Prozent der Österreicher, die an ein Leben nach dem Tod glauben, sind auch überzeugt davon, daß sie in den Himmel kommen. Mit derselben Inbrunst, mit der mittelalterliche Prediger ihren Zuhörern die Hölle heiß gemacht haben (um sie davor zu bewahren), schildern heute die Prediger fast ausschließlich die Freuden des Himmels. Die Botschaft vom Gericht ist zur Geräuschkulisse für irdische Sozialprogramme geworden.

Es geht nun keineswegs darum, Gott etwa als ein Ungeheuer darzustellen, das deshalb zu fürchten ist, weil es unberechenbar gegen den Menschen losgehen kann, wenn es nicht immer wieder beschwichtigt wird. Nein, es bleibt dabei: „Gott hat die Welt so sehr geliebt, daß er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat" (Joh 3,16). Das ist die Botschaft von Weihnachten, von Ostern und Pfingsten: Wir dürfen mit der Liebe Gottes sicher rechnen. Diese Sicherheit steht gegen alle Unsicherheiten, denen wir ausgeliefert sind.

Mag die Hochrechnung aller Faktoren, die unsere Zukunft beeinflussen, auch ein düsteres Bild ergeben: Es wird nicht unsere wahre Zukunft darstellen, solange wir nicht den „Faktor" der Liebe Gottes mitgerechnet haben. Dieser läuft aber mindestens seit den Ereignissen von Bethlehem in allen Rechnungen unseres Lebens mit, und wer ihn übersieht, der rechnet falsch. Sie werden sich alle verrechnen: die Kriegsmacher, denn es wird Frieden sein; die Mörder, denn die Toten werden leben; die Rücksichtslosen und die Egoisten, denn „erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes". Also, Christen: Fürchtet euch nicht.

Der Autor ist Pastoraltheologe an der Katholisch-Theologischen Hochschule Linz.

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