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Gott in der Schule

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Vielfältige Analysen befassen sich mit der Situation des Glaubens in Europa. Negativa werden konstatiert, und häufig wird auch der Religionsunterricht damit in Verbindung gebracht.

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Vielfältige Analysen befassen sich mit der Situation des Glaubens in Europa. Negativa werden konstatiert, und häufig wird auch der Religionsunterricht damit in Verbindung gebracht.

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Eine Unzahl von Religionspädagogen hat in den letzten Jahrzehnten an neuen Zugängen im Unterricht gebastelt, eine Flut von Literatur macht den suchenden Lehrer meist noch ratloser, ohne daß sich die Situation im Ganzen merklich verändert hätte.

Dabei sind uns doch allen die äußeren Erscheinungen bewußt: Die Zahlen von Kirchenbesuch und Sakramentenempfang sind seit Jahrzehnten rückläufig. Der Sonntag ist Abschluß des oft streßreichen Wochenendes und kein Tag des Herrn“ mehr. Die vielen kirchlichen Feiertage erscheinen wichtig für die Planung von Kurzurlauben und das rechtzeitigeEinarbeitender damit anfallenden „Fenstertage“.

Religiöse Inhalte der Feste werden zu verklärten, märchenhaften Ereignissen der Geschichte, deren man sich vielleicht noch liebevoll erinnert.

Das Schuld- und Unrechtsbewußtsein reduziert sich auf jene Fälle, die gerade gesellschaftlich in sind; sich vor anderen oder gar vor Gott zu entschuldigen, wird zur peinlichen Schwäche. Nur beim Begräbnis greift man noch in gleichbleibendem Maße zwecks Feierlichkeit und Rücksichtnahme auf den Geistlichen zurück.

So sind die meisten Kinder, die in den Religionsunterricht gehen, mit dem religiösen Leben nicht mehr vertraut. Begriffe, die Zentralpunkte des Glaubens darstellen, werden zum ersten Mal in der Schule „gelehrt“ beziehungsweise ihrer kindlich-naiven Großelterninhalte beraubt und „korrigiert“. Wir können also einen starken „Traditionsbruch in der religiösen Prägung“ (Kardinal Friedrich Wetter) in Zukunft erwarten.

Anderseits werden Kinder und Jugendliche - abgesehen von der medialen Aufbereitung kirchlicher Auseinandersetzungen - regelmäßig mit einer ganz bestimmten Seite von Kirche konfrontiert: jener sich engagierenden ökumenisch verbundenen Kirche, die DDR-Flüchtlinge betreut (Ungarn), Asyl für Asylanten bereitstellt (Traiskirchen), sich um die Zukunft aller Menschen sorgt (Basel), sich für Schutz und Gerechtigkeit der Indianer einsetzt (Brasilien) , um Geld für den Sudan bettelt (Caritas) et cetera.

Das wird auch von den Jugendlichen als eine der Hauptaufgaben der Kirchen gesehen. Die religiöse Deutung der Welt und des individuellen Lebens scheint mit unserem zwar schon etwas relativiertenFort-schrittsidealundunserenBemühun-gen um möglichst totale Autonomie drastisch an Bedeutung zu verlieren, wenn sie nicht gar als Behinderung angesehen wird.

Trotzdem finden wir überall Spuren von Formen von Religiosität. Die Kirche macht es sich aber sicher zu leicht, die überall aus dem Boden schießenden Phänomene der Parapsychologie, des Okkultismus und der Esoterik, zusammen mit den „satanischen“ Rocktexten einiger „Heavy-Metal“-Gruppen, als ohnehin vorhandene Suche des jungen Menschen religiös zu vereinnahmen und traditionell zu deuten.

Vielen jungen Menschen geht es bei all dem nicht um Religion, sie wehren sich auch gegen religiöse Umarmungen. Sie machen mit, weil es schick ist, alternativ, interessant und - das scheint mir besonders wichtig - aus eigenem Antrieb (oder aus dem Freundeskreis) gesucht wird und nicht kirchlich oder durch den Unterricht als dringende „Lebensfrage“ beantwortet erscheint, noch ehe die dazugehörende Frage vom jungen Menschen überhaupt gestellt wurde.

Die verschiedenen Lebensbereiche stehen nebeneinander; Religion ist nur mehr einer davon für die, die es halt brauchen. Was gleichwertig und gleich gültig ist, wirdleichtund gleichgültig.

Immer wieder wird als Beleg für die vorhandene Sinnsuche der Zustrom der Jugendlichen (der in Wirklichkeit gar nicht so groß ist) zu Jugendreligionen und dubiosen Gurus angeführt. Analysen zeigen aber, daß es sich bei einer Vielzahl der Mitglieder um persönlichkeitsschwache, leicht lenkbare Charaktere handelt, die immer und überall (auch in der Kirche) leicht gängelbar wären, wenn sie nur das entsprechende Vaterbild und die herbeigesehnte Autoritätsstruktur angeboten bekommen. Gab und gibt es nicht auch in kirchlichen Einrichtungen manch seltsamen Geist, der seinen Halt bloß an den gegebenen hierarchischen Strukturen findet?

Und auch jene hyper-charismati-schen Bewegungen, die das bunte Bild der Kirche ausmachen, können zwar viele Menschen sehr stark auf der emotionalen Ebene ansprechen („ganz aus sich herausgehen“), scheitern aber oftmals an der Abdeckung der rationalen Ansprüche der jungen Menschen.

Was hat das nun mit der Theologie zu tun? Während viele der neuen Bewegungen eine diffuse Religiosität verkünden und diese irgendwo im Irrationalen ansiedeln, brauchen wir im Unterricht eine Theologie des Glaubens, die wir als Lehrer vermitteln und verantworten können, ohne von der halben Klasse belächelt zu werden. Abgesehen von der Tatsache, daß letztlich nur zeugnishaft gelebter Glaube echte Verkündigung ist, bleibt für den Religionslehrer immer noch das Problem, wie er den Glauben als Antwort auf Fragen vermitteln kann, die heute gestellt und verstanden werden können.

Wenn sich die Theologie aber schwertut, dem Religionspädagogen hilfreich unter die Arme zu greifen, dann hat das auch konkrete Ursachen. Das ideologische Umfeld unserer Zeit ist ein Gemisch aus Mystik, Esoterik, Anthroposophie, New Age, asiatischen Religionen, tiefenpsychologischen Bibeldeutungen (Drewermann), et cetera.

Daraus ergibt sich eine Unübersichtlichkeit, die auch bekannten Theologen zuschaffen macht. Damit wird die Theologie zum Spiegelbild der gesamtgesellschaftlichen Situation. Man spricht von der Postmoderne, manche sprechen aber auch von einer „postchristlichen“ Gesellschaft.

Innertheologisch bekommt gegenwärtig die Moraltheologie einen überdimensionalen Stellenwert: einerseits durch neue brennende Themen (Gentechnologie, Medizin und Technik, technologische Zwänge et cetera), andererseits durch eine schon peinliche Fixierung auf sexuelle Themen seitens der Amtshierarchie.

Was ist also nun zu fordern? Notwendig erscheint die vermehrte Auseinandersetzung der Theologie mit den modernen Humanwissenschaften, aber auch in verstärktem Maß mit Kunst, Musik und Literatur. Das Gespräch mit der Philosophie ist erschwert durch die Tatsache, daß es keine große philosophische Strömung zu orten gibt. Während früher die Theologie aus der Auseinandersetzung mit Marxismus, Existentialismus und Positivismus gestärkt und neu formulierend hervorgegangen ist, fehlt heute ein bestimmender Ansprechpartner.

Umso mehr müssen sich daher heute die Theologen bemühen, eine allgemein verständliche Sprache zu finden, ohne daß Theologie bloß zu einem weiteren Stand im „Jahrmarkt der Wahrheiten“ wird. Diese neue und verantwortbare Theologie müßte dann schnellstens von den Religionspädagogen in die „Sprache“ der jeweiligen Altersstufen „übersetzt“ werden und in neue, verbesserte Schulbücher Einzug finden.

Gefragt ist eine weltoffene Theologie, die ihre Identität nicht aufgibt; die aber gesprächsbereit bleibt und nicht ins schulische und gesellschaftliche Ghetto führt.

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