6817124-1973_15_09.jpg
Digital In Arbeit

Gott in der Tiefe

Werbung
Werbung
Werbung

Die Frage nach der sakramentalen Buße ist nicht nur im Zusammenhang mit der Frage nach dem sakramentalen Charakter der Bußandacht aktuell, in der viele ohne persönliches Sündenbekenntnis einen sakramentalen Sündennachlaß erlangen möchten. Noch aktueller ist sie wegen der Schwierigkeit, die der gläubige, religiös empfindende Mensch heute — oder war es weithin doch immer schon so? — gegen die kirchliche Vermittlung eines Gpttesverhältnisses empfindet, das er unmittelbar pflegen will.

Sakrament hat mit Kirche zu tun. Das sakramentale Handeln ist die Mitte des Heilshandelns der Kirche, weil in ihm die der Kirche eigene Sakramentalität wirksam wird. Das sakramentale Geheimnis besagt nun ein Doppeltes: einmal, daß das Heil Sache Gottes ist, der im Sakrament gegenwärtig und wirksam ist; zum anderen, daß dieses Heil für die Menschen verleiblicht und vermittelt wird, ursprünglich durch den Gottmenschen, dann durch seine Kirche, seinen Leib, in dem er seiner heilswirksamen Gegenwart bleibende, geschichtliche Gestalt gegeben hat. Im Sakrament wurde durch Christi Stiftung einer im menschlichen Lebensbereich bekannten und von den Menschen vollzogenen Handlung eine zeiohenhafte Bedeutung und Wirkung gegeben, die menschliche Wirkungsmöglichkeit übersteigt.

Der christliche Glaube ist nicht eindimensional, sowenig wie das menschliche Leben, das er durchformen soll. Weist doch die horizontal-mi'tmenschliche Dimension, um verwirklicht werden zu können, in eine Tiefendimension hinein, die sie erst wirksam motiviert. Die „Tiefe“ wird vom christlichen Glauben als „Höhe“ ausgewiesen.,, Diese Dimension erstreckt'sich in einen/personalen Bereich. Hier ist Gott angezielt, den man in der „Tiefe“ trifft, insofern er das menschliche Ich zu Sich gelbst bringt und innerlich durchdringend vergöttlicht.

In dieses Koordinatensystem verschiedener Dimensionen müssen auch Sünde und Buße eingeordnet werden. Beide sind eine Konkretisierung des Glaubens. Die Sünde ist Verstoß gegen das Verhältnis zu Gott, das Glaube heißt. Die Buße ist die Gestalt des Glaubens, der sich Gott erneut zuwendet, nicht, wie man eine Sache glaubt, sondern indem man sich ihm als dem Du zuwendet. Sowohl die Sünde wie die Buße erstrecken sich in verschiedenen Dimensionen.

Gerade heute dürfte es von besonderer Bedeutung sein, die vertikale Dimension der Sünde zu betonen. Es ist natürlich nicht zu leugnen, daß die sündige Tat horizontal ausgerichtet ist. Sie ist Verfehlung an den Mitmenschen und an der Ordnung der innerweltlichen Sachbereiche. Aber so gesehen, wäre sie nur sachliche Unkorrektheit oder — darin allerdings mehr als „sachlich“ — zwischenmenschliches Fehlverhalten. Beides gehört in die innerweltlichen Bereiche, und in gewissem Sinn kann man von beidem — auch dem zwischenmenschlichen Verhalten — sagen, es sei von den Normen der innerweltlichen Sachbereiche bestimmt. Das könnte bejaht oder dagegen könnte verstoßen werden, ohne eine spezifisch christliche Betrachtungsweise von Gut und Böse zu sein. Was, christlich gesehen, Sünde genannt wird, ist noch nicht geklärt durch die sachgerechte oder sachwidrige Betrachtung der Situation des Mensch n in dieser Welt.

Sünde geschieht zwar als Fehlverhalten innerhalb dieser Dimensionen, aber im Verhältnis zu dem, der mit seinen Forderungen — in Geboten artikuliert — diese horizontalen Dimensionen durchdringt. In dem Ms,a$iwidrjgen,“ Verhalten wird der Wille des Schöpfergottes verletzt.

Diese verschiedenen Dimensionen des menschlichen (Fehl-)Verhaltens sind gemeint, wenn in der traditionellen Katechismuslehre gesagt wird, die Schwere einer Sünde bestimme sich daraus, ob klare Erkenntnisse, freie Entscheidung und schwere Sache vorliege. Das klingt schematisch und scheint verschiedenartige Dinge auf eine Linie zu stellen. Die schematisierende Aufreihung der drei verschiedenartigen Momente meint aber mit der „schweren Sache“ eben jenen inner-weltlichen Bereich von Dingen und Menschen, an denen sich der Mensch verfehlt, wenn er sündigt. „Klare Erkenntnis“ und „freie Entscheidung“ dagegen weisen darauf hin, daß die Sünde im Gegenüber zu einer Person, nämlich Gott, geschieht, der fordernd auf uns zukommt und zu dessen Forderungen man ja oder nein sägt. Die sündige Fehlentscheidung oder die gute Ja-Entscheidung geschieht, wenn man die Ordnung der Welt und der Mitmenschlichkeit verneint oder bejaht.

In diese verschiedenen Dimensionen erstreckt sich auch die Buße im christlichen Sinn. Sie spielt sich nicht nur zwischen Gott und dem eigenen Gewissen ab; sie ist allerdings auch nicht nur Korrektur von Fehlern, die man im Umgang mit Menschen und Dingen gemacht hat.

Zwei gegensätzliche Betrachtungsweisen müssen sich aneinander korrigieren und in eine Einheit hinein aufheben. Religiöse Menschen sind geneigt, büßende Umkehr aus der eigenen Sünde als Vorgang zwischen Gott und dem individuellen Gewissen allein anzusehen. Dagegen dringen die anderen auf die Verantwortung für die Buße im horizontalen Bereich; sie verlangen Umkehr zum Menschen, Konversion zur Welt. Wer es fertigbrächte, das eine im oder am anderen, das andere um des einen willen zu verwirklichen, hätte das christliche rechte Verhalten gewonnen.

Die horizontale Dimension war es ja gerade, in der die vertikal gegen Gott gerichtete Sünde ausgeübt wurde. Sie ist es deshalb auch, in der die Buße vor Gott, dem in der Sünde eigentlich „Betroffenen“, artikuliert und ausgeübt werden muß. Aus einer Sünde, die man an Menschen und Dingen begangen hat, kann man nicht ausweichen in eine Buße, die man unmittelbar gegenüber Gott ausübt. Die büßende „Umkehr“ hat ihre sinngebende Tiefe gewiß im neuen Ja zu Gott und seiner Herrschaft. Aber sie muß sich als Entscheidung des Menschen ereignen, den es nun einmal nicht gibt ohne mehrdimensionale Bindungen zur Welt mit ihren Dingen und Geschehnissen und zu den Menschen in ihrer vielfältigen Individualität und in ihrer gesellschaftlich formierten Gemeinschaft. In der Buße muß die Abkehr von diesen Bindungen zu erneuter Hinkehr werden. Zwar war in der Sünde eine eigenartige, im einzelnen sogar besondere Hinkehr zu Dingen oder Menschen geschehen. Aber diese Hinkehr isolierte; sie nahm das einzelne aus dem Sinn-gefüge, dem es seinen Wert verdankt, sie war daher in Wirklichkeit Abkehr.

Die Zweidimensionalität von Sünde und Buße ist in dem von Christus der Kirche mitgegebenen sakramentalen Bußvollzug programmatisch besiegelt. Die Kirche als Glaubensund Heilsgemeinde ist zum Zeichen gesetzt, daß es keine „vertikale“ Gottesbeziehung des Menschen gibt, die sich nicht in der „horizontalen“ Dimension der Menschlichkeit konkretisiert. Die Kirche' ist “zwar eine Ansammlung von Menschen mit all ihrer Unzulänglichkeit, und doch der menschlichen Gesellschaft eingestiftet als Unterpfand des Wohnen-wollens Gottes. Die Sünde der Menschen ist daher gleichermaßen Verfehlung gegen den inneren Sinn der Kirche — Zeichen der Anwesenheit des heiligen Gottes zu sein — wie gegen Gott, dessen Zeichen die Versammlung der Menschen in der Kirche ist. In den besonderen sakramentalen Zeichen wird die Sakramentalität der Kirche selbst aktualisiert. Die Kirche ist das Sakrament des Heils. Ihr Handeln nimmt an ihrem sakramentalen Charakter teil, am dichtesten in den sieben Sakramenten, doch auch, wenn auch weniger dicht, im übrigen heilsdienstlichen Handeln.

Die Buße ist deshalb nicht nur in der Form des eigentlichen Bußsakramentes möglich, findet aber in ihm ihre höchste Ausprägung, weil alles Sündige gegen den inneren Sinn der Kirche verstößt, sakramentales Zeichen der Anwesenheit Gottes in der gesellschaftlich formierten menschlichen Gemeinschaft zu sein. In der sakramentalen Buße kommt die Mehrdimensionalität menschlichen Sündigens und menschlicher Buße zum zeichenhaften Ausdruck und zur effektiven Verwirklichung. Zeichenhaft dargestellt wird zunächst die in der Sünde geschehene Trennung des Menschen von Gott durch die eine Trennung des Sünders von der in der Kirche zusammengeführten Gemeinschaft der Gläubigen. In der altkirchlichen Bußpraxis wurde der Vollzug dieser Trennung von der kirchlichen Lebensgemeinschaft deutlicher, da durch den Verweis des Sünders auf den Stand des Büßers ein gewisser Ausschluß des Sünders aus der innersten, in der Eucharistie sichtbar werdenden Lebensgemeinschaft der Kirche vollzogen wurde. Heute dagegen vollzieht sich das Bußsakrament mehr indirekt dadurch, daß durch die in der Absolution geschehene Wiederaufnahme in die Lebensgemeinschaft mit der Kirche im eucharistischen Gemeinschaftsmahl die durch die Sünde geschehene Trennung bestätigt wird.

So ist die Sünde, weil Verstoß gegen Gottes Willen, zugleich auch Verletzung des eigensten der Kirche, weil sie sakramentale Zeichen der Gegenwart des heilswilligen Gottes in dieser unheilen Welt ist, weil man ihr also glaubend begegnen muß gemäß dem Glaubensartikel: Ich glaube die Kirche. Aber auch deshalb, weil die Kirche die Gemeinschaft der Glaubenden ist, also gemeinschaftliches Subjekt des Glaubens an den heiligen Gott. Sie ist die von der Gemeinschaft getragene Vielheit der Glaubenden, in der alle voneinander Zeugnis für Gott und sein Heilswerk in dieser Welt geben. Und eben dadurch lassen sie das sakramentale Zeichen, das sie als Kirche sind, auch menschlich glaubwürdig werden. Diese tragende Gemeinschaft der Glaubenden wird durch die Sünde ihrer Glieder geschwächt. Sünde ist immer schon Ausdruck mangelnden Glaubens und Schwächung des noch vorhandenen. Denn sie stellt sich gegen das liebende Glaubensverhältnis des Menschen zu Gott. Und inmitten der kirchlichen Glaubensgemeinde getan, schwächt sie jene tragende Kraft der Kirche für die einzelnen in ihr Glaubenden, in der die hervorragende Aufgabe der Kirche besteht.

Weil es also keine Sünde gegen Gott gibt, die nicht auch Verfehlung gegen die Gemeinschaft der Mitmenschen wäre, weil die Kirche gestiftet ist als ausdrückliches Zeichen dafür, daß die Gemeinschaft der Menschen untereinander nur leben kann aus der Kraft der Gemeinschaft mit Gott und umgekehrt, die Gemeinschaft mit Gott verwiesen ist auf die Gemeinschaft der Menschen, deshalb ist die Sünde kirchlich-sakramental zu büßen. In dieser ausdrücklich gemachten Umkehr zu Gott geschieht die erneuerte Hinkehr zum Dienst an der Gemeinschaft der Menschen, anderseits muß die Hinkehr zu den Menschen Bestand haben in der büßenden Hinkehr zu Gott.

Weil im Sakrament als Stiftung Christi eine Berufung auf Christi Heilstat vor Gott geschieht, ist es nicht nur seiner Wirkung sicher. Vielmehr muß, weil dieses Werk Christi die ganze Haltung des Menschen bestimmen soll, der im Sakrament ausgedrückte Bußakt Programm für das ganze menschliche Leben sein. Und weil das Heilswerk Christi sein Eigentümlichstes in dem hat, was im Neuen Testament so oft mit der Formel „für euch“, „für uns“ gekennzeichnet wird, muß sich auch die im Sakrament der Buße gewonnene Versöhnung mit Gott in der versöhnten und versöhnungsbereiten Haltung zu den Menschen auswirken. Das Sakrament der Buße steht da, wo es im Neuen Testament am ausdrücklichsten verkündet ist, im Zeichen des Friedens (Joh. 20, ,19—23).

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung