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Gott in Frankreich

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Ohne das 1905 verabschiedete Gesetz über die Trennung von Kirche und Staat in Frage zu stellen, wollen Frankreichs Bischöfe sich deutlicher zur Politik äußern.

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Ohne das 1905 verabschiedete Gesetz über die Trennung von Kirche und Staat in Frage zu stellen, wollen Frankreichs Bischöfe sich deutlicher zur Politik äußern.

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Mit der Wahl von Albert De-courtray, „Primas Galliae“ und Erzbischof von Lyon, zu ihrem neuen Präsidenten hat die Französische Bischofskonferenz am 9. November ein deutliches Zeichen gesetzt; der neue „Chef“ der Bischöfe Frankreichs hat bereits mehrmals zu außerkirchlichen Fragen Stellung genommen und bekundet den Willen, auch in Hinkunft den Standpunkt der Kirche zu politisch-sozialen Themen nicht zu verschweigen. In einem Land, in dem seit 1905 die Trennung von Kirche und Staat Gesetz ist, eine durchaus aufsehenerregende Ankündigung.

Dabei ist das Thema Kirche in Frankreich seit alters her hochbrisant: Die Kirche war unter dem „ancien regime“ (dem Königreich vor 1789)' wie anderswo auch aufs engste mit der offiziellen Staatsführung verknüpft, und so verwundert es nicht, daß die Revolution nicht nur König und Adelige aufs Schafott brachte, sondern auch die Beschlagnahme und den öffentlichen Verkauf der Kirchengüter durchsetzte und aus den Priestern vom Staat kontrollierte Beamte machen wollte.

1801, die Revolution hatte einem geflügelten Wort zufolge bereits „ihre eigenen Kinder gefressen“, wurde ein Konkordat zwischen Frankreich und dem Vatikan geschlossen (andere Staaten folgten diesem Beispiel, so Österreich 1855). In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts brachen die Gräben zwischen kirchlicher und staatlicher Macht jedoch erneut auf. Die ersten 35 Jahre der Dritten Republik (1870-1940) waren vom Kulturkampf gezeichnet, insbesondere was das Schulwesen anbelangte.

„Der Priester in die Kirche, der Lehrer in die Schule!“, dieses Schlagwort setzte die Schulreform von Jules Ferry (1881-Ä2) in die Tat um: der Lehrer galt als Repräsentant des fortschrittsgläubigen Einheitsstaates. Nicht unähnlich den Bestrebungen, die später den Wiener Austromarxis-mus charakterisierten, wurde versucht, die Bürger in antikonfessionellen Ligen zu organisieren.

Am 9. Dezember 1905 wurde nach einer langen Debatte das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat verabschiedet, was einem einseitigen Bruch des Konkordats gleichkam - das Gesetz gilt übrigens nicht in Elsaß und Moselland, da diese Gebiete erst später an Frankreich angegliedert wurden.

„Die Republik sichert die Gewissensfreiheit“, hieß es im ersten Artikel. Und unter Gewissensfreiheit wurde verstanden, daß sich die Kirche um ihr eigenes Fortkommen zu kümmern hätte. Der Staat oder die Gemeinde hatten lediglich die Dome beziehungsweise Pfarrkirchen zur Verfügung zu stellen. Mit der Organisation und vor allem mit der Finanzierung des Klerus wollte die Republik nichts mehr zu tun haben. Ja selbst das Anbringen von Kruzifixen an oder in öffentlichen Gebäuden wurde verboten. Dafür waren politische Veranstaltungen in Kirchen untersagt.

Nach dieser Verbannung der Kirche aus dem öffentlichen Leben beruhigte sich die Diskussion etwas, und 1920 wurden sogar wieder protokollarische Beziehungen zwischen dem Vatikan und der französischen Regierung aufgenommen.

Bis heute jedoch braucht sich ein französischer Jusstudent, sofern er nicht gerade an einer katholischen Universität studiert, nie mit Kirchenrecht herumzuschlagen. Was die Schulen anbelangt, so haben die Schüler nicht nur am Wochenende frei, sondern auch am Mittwoch. Wer will, kann diesen Tag dann zum Religionsunterricht, der selbstverständlich außerhalb der Schule stattfindet, nützen...

Privatschulen, das sind in Frankreich fast ausschließlich konfessionell geführte Schulen, werden als Ausbildungsstätten anerkannt, doch werden in diesem zentralistisch geführten Land die Matura und Prüfungen, die zur Ausübung eines Berufs berechtigen, generell vom Staat einheitlich geregelt. Seit 1951 und zwei Gesetzesnovellen in der 5.

Republik (die 1958 begonnen hat) können Privatschulen staatliche Finanzhilfe in Anspruch nehmen, müssen sich dann aber auch staatlicher Kontrolle unterwerfen, insbesondere was die Zulassungsvoraussetzungen für Lehrkräfte betrifft. Kirchensteuer gibt es in Frankreich nicht, die Pfarren werden ausschließlich aus den

Spenden der Gläubigen finanziert.

Angesichts einer solchen Situation läßt es natürlich aufhorchen, wenn die französischen Bischöfe das französische Modell der Trennung zwischen Kirche und Staat als der gegenwärtigen Situation zusehends unangemessener sehen.

„Es war dazu gedacht, den Machteinfluß von religiösen Instanzen und Institutionen, insbesondere der katholischen Kirche, auf das öffentliche Leben einzuschränken. Heute erkennt man, daß angesichts von neuen Fragestellungen die Kirchen und die

Religionen im allgemeinen an der Herausbüdung einer öffentlichen Geisteshaltung teilnehmen können. In dieser Hinsicht fordert der Respekt vor der Gewissensfreiheit anderes als eine wechselseitige Ignoranz oder sogar als eine wohlwollende Neutralität“, erklärte auch der scheidende Episkopatspräsident Jean Vilnet.

Das heißt natürlich nicht, daß die Kirche nun das Gesetz von 1905 in Frage stellt, wohl aber, daß sie sich nicht länger zu politischen Fragen passiv verhalten will. 1905 hat der Papst die einseitige Aufhebung des Konkordats scharf verurteilt (Enzykliken „Vehementer“ und „Gravissimo officü“ von 1906), 1987 sagt Monsignore Vilnet, daß gerade dieses Gesetz der Kirche den nötigen Freiraum zu ihrer Entfaltung gelassen hätte.

Diesen will Erzbischof Decour-tray jetzt nützen, ohne dabei die Seelsorge zu kurz kommen zu lassen: Die Glaubensqualität, die Qualität der kirchlichen Präsenz in der Welt und die innerkirchliche Einheit nennt er als Basis seines Apostolats — letzteres ist eine überdeutliche Anspielung auf die „Los-von-Rom“-Ideen, die der ehemalige Erzbischof Marcel Le-febvre in immer radikalerer Weise vertritt.

So hat der französische Episkopat angesichts der Forderungen von Randgruppen, unheilbar geisteskranke Kinder vor oder nach der Geburt zu töten, den Standpunkt der Kirche in unmißverständlicher Weise vertreten. Und ohne Namen zu nennen, hat Vilnet am 7. November vor denjenigen gewarnt, die sich gegen die „notwendige Entwicklung der Identität einer Nation“ stellen - Rechtsradikalenführer Jean-Marie Le Pen fühlte sich prompt angesprochen und reagierte in gewohnter Rhetorik.

Für die im Frühjahr 1988 bevorstehenden Präsidentschaftswahlen wird der französische Episkopat, soviel steht fest, eine Erklärung veröffentlichen. Man darf auch gespannt sein, was die Kirche angesichts der 200-Jahr-Fei-ern zur Französischen Revolution, die im übernächsten Jahr anstehen, zu sagen haben wird.

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