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Gott ist nicht tot in Österreich

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Die namhaftesten Religionssoziologen, wie P. L. Berger oder T. Luckmann, aber auch J. Matthes oder T. Trendtor ff, betonen, daß kirchliches Engagement — eine schwache Übersetzung für den besseren englischen Ausdruck „religious commitment“ — nicht gleichgesetzt werden darf mit persönlich verankerter, auf die individuelle Lebensnot und die Sinnfragen des Menschen gerichtete „Religiosität“. Dabei muß hier betont werden, daß diese Religionssoziologen auch den Streit der Theologen vom „religionslosen Christentum“ nicht mitmachen, weil für diese auch ein Christentum in der Ausgabe eines Bonnhöfer, eines H. Cox und selbst einer D. Solle fraglos unter ihre Definition der Religion fallen. Ebensowenig Gefallen findet bei ihnen auch die Gleichsetzung zwischen der „Religion“ der Theologen und jener der „Massen“. Etwas vereinfacht heißt das, daß eine „Gott-ist-tot“-Theologie einer Handvoll Intellektueller für sie noch kein gültiger Gradmesser dafür ist, was in einer Bevölkerung an „Religion“, Gottesglauben und Sinngebungsversuchen vorhanden und gelebt ist.

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Die namhaftesten Religionssoziologen, wie P. L. Berger oder T. Luckmann, aber auch J. Matthes oder T. Trendtor ff, betonen, daß kirchliches Engagement — eine schwache Übersetzung für den besseren englischen Ausdruck „religious commitment“ — nicht gleichgesetzt werden darf mit persönlich verankerter, auf die individuelle Lebensnot und die Sinnfragen des Menschen gerichtete „Religiosität“. Dabei muß hier betont werden, daß diese Religionssoziologen auch den Streit der Theologen vom „religionslosen Christentum“ nicht mitmachen, weil für diese auch ein Christentum in der Ausgabe eines Bonnhöfer, eines H. Cox und selbst einer D. Solle fraglos unter ihre Definition der Religion fallen. Ebensowenig Gefallen findet bei ihnen auch die Gleichsetzung zwischen der „Religion“ der Theologen und jener der „Massen“. Etwas vereinfacht heißt das, daß eine „Gott-ist-tot“-Theologie einer Handvoll Intellektueller für sie noch kein gültiger Gradmesser dafür ist, was in einer Bevölkerung an „Religion“, Gottesglauben und Sinngebungsversuchen vorhanden und gelebt ist.

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Solche Vorbemerkungen sind deshalb nötig, weil nicht selten vereinzelte Ergebnisse, aus ihrem Zusammenhang genommen, als Beweis für eine umfassende Entwicklung ausgegeben wird, indem etwa der Rückgang von einigen Prozenten an Kirchgängern als schlagender Beweis für die Säkularisierung gilt — ein Argument, das sowohl bei jenen Gefallen findet, welche die Säkularisierung begrüßen oder gar fordern, aber auch bei den anderen, bei welchen dieser mythische Begriff (Luckmann) Angst und Resignation bewirkt. Daß die Dinge weitaus nicht so einfach sind, ist den führenden Fachsoziologen immerhin schon klar und beginnt sich auch unter jenen herumzusprechen, die der Amerikaner A. Greeley etwas zynisch „naive Säkularisierungstheologen“ tituliert. Ähnlich verfährt auch der Engländer D. Martin mit ihnen. Zwar hätten sie ihn häufig in der festlichen Hoffnung eingeladen, mit ihm über den „modernen Menschen“ diskutieren zu können und zu erfahren, daß und warum die Kirche bald sterben müsse. Er nennt sich in diesem Zusammenhang in Anlehnung an ein bekanntes biblisches Wort einen „Soziologen, der unter die Theologen fiel“.

Verfällt die Kirchlichkeit in Österreich?

Dieser Tage ist im Verlag Styria in deren Reihe X mein Essay mit der Frage als Titel „Verfällt die Kirchlichkeit in Österreich?“ erschienen. In nüchternen Zahlen ist dort ausgewiesen, wie es um die Entwicklung der Kirchenaustritte, des Kirchgangs und der Priesterweihen während der Nachkriegsjahre in Österreich steht. Alle genannten Indikatoren lassen eine deutliche Entwicklung erkennen: Auf die steigende Zahl von Kirchenaustritten hatte ja bereits O. Mauer hinzuweisen begonnen, sie hat 1970 fast 20.000 Personen erreicht. Weniger bekannt sind bislang die Bewegungen unter den Kirchgängern, die an den beiden Zählsonntagen des Frühjahrs und im September in den einzelnen Pfarren erfaßt werden.

Man hat gelegentlich solchen Zahlen wenig Bedeutung beigemessen.

Denn nicht selten wurde dahinter eine gewisse „Imägepolitik“ einzelner Pfarrer vermutet (ein Gerücht, das vielleicht jene aufbrachten, die sich dieser Politik selbst befleißigen), die die Situation vor ihren Vorgesetzten, aber auch vor der Öffentlichkeit besser darzustellen versucht hätten, als es den Tatsachen gerecht werde. Zudem lügen Statistiken immer, vor allem dann, wenn sie unangenehme Wahrheiten aussagen. Ich selber pflege dennoch selbst den Zahlen kirchenamtlicher Statistik einigen Wert beizumessen. Man kann ja auch im schlechtesten Fall annehmen, daß die Zahlen solcher Statistiken (noch dazu, wo es nicht um die Verteilung der Geldmittel geht, wie dies bei den Zahlen kirchlicher Jugendorganisationen der Fall ist) doch einigermaßen konstant von der Wirklichkeit abweichen, und zwar in die optimistischere Richtung. Um es noch einmal in der Formulierung der landläufigen Meinung über die Statistik zu sagen: daß die Statistiken jedes Jahr in etwa gleichviel zusammenlügen. Dadurch gewinnen zwar die absoluten Werte nicht mehr an Bedeutung, so daß es in der Tat nicht leicht ist, zu sagen, ob in Wien 1969 tatsächlich 14,1 Prozent am Septemberzählsonntag erfaßt wurden oder ein bis zwei oder drei Prozent weniger oder mehr. Wichtig ist dann aber, daß die Got-tesdienstziffer in Österreich von 1950 bis 1969 auch nach den angeblich aus Selbstschutz immer zu optimistischen Angaben der Pfarrer und Dechanten von fast 40 auf 33 Prozent gesunken ist, wobei der Verlust insbesondere in den letzten Jahren deutlich ist.

Harte Zahlen

Man mag aber selbst nach solchen Überlegungen immer noch Zweifel am Wert kirchenamtlicher Zahlen hegen, solange man die Zahlen für sich allein nimmt. Auch ist die Versuchung groß, dadurch wieder „bessere“ Verhältnisse zu schaffen und Zahlen zu gewinnen (eine merkwürdige, aber auch in der Kirche nicht seltene Art, sich selbst zu beruhigen), daß man die Sonntags-Vorabend-Meßbesucher unkritisch hinzuzählt, ohne näherhin zu prüfen, ob es sich dabei nicht um etliche Doppelbesucher handelt, die zudem auch an Sonntagen (Früh- und Abendmesse) festgestellt werden. Von akutem Interesse werden diese Zahlen aber dadurch, daß sie durch „härtere Zahlen“ gedeckt sind. Juristisch greifbar sind die Kirchenaustritte, unleugbar ist der Rückgang an kirchlichen Berufen (ein Rückgang, der sich freilich auch in anderen Perioden der österreichischen Kirchengeschichte feststellen läßt) oder auch die deutlichen Anzeichen einer Krise in kirchlichen Jugendorganisationen: diese Zahlen untermauern meine These, die sich auch am Schwund von Sonntagskirchgängern, zumindest am Schwund der Häufigkeit und Regelmäßigkeit des Kirchgangs abzeichnet: Es ist keine Frage, daß Kirchlichkeit in Österreich verfällt, noch genauer, daß überkommene, aber deshalb eben nicht weniger wichtige Formen katholischer Kirchlichkeit verdunsten.

Diese These beantwortet natürlich weder die wichtigen Fragen nach ihren eigenen Grenzen und Ursachen noch jene nach ihren Folgen. In dem schon erwähnten Büchlein „Verfällt die Kirchlichkeit in Österreich?“ wurde auf einige Ursachen hingewiesen. Politische Vorgänge, wie der politische Kurswechsel in Österreich, das Auslaufen des josefinischen Erbes, die Abnahme des Lebenswertes gesellschaftlich vorhandener Reli-gions- und Kirchlichkeitsformen, in Einzelfällen der Kirchenbeitrag, häufiger der Verlust jener Stabilität, die von vielen in der Religion gesucht und bislang in der katholischen „Version“ auch gefunden wurde, wie E. Dürkheim schon vor Jahrzehnten am Modell der Selbstmorde nachgewiesen hat, alle diese Ursachen sind dort debattiert. Der interessierte Leser wird sich in diesem „kritischen Report“ weiter informieren können. Auch auf pastorale Folgerungen ist mit Vorsicht hingewiesen.

Weltanschauliche Pakete

Worauf es mir aber hier noch ankommt, ist eine nicht unwichtige zusätzliche Bemerkung. Verfall an Kirchlichkeit hat zur Folge, daß die Menschen weniger häufig und intensiv am Leben christlicher Gemeinden teilnehmen, daß sie also ihre „religiösen Entscheidungen“ (sobald sie in einer entsprechenden Lebenssituation, deren Anzahl offenbar abnimmt, eine solche überhaupt treffen) weniger inmitten einer lebendigen religiösen Gruppe treffen. Das heißt aber, daß sie „selber“ entscheiden. In der Praxis sieht das freilich so aus, daß einer aus dem kirchlichen Angebot zwar vieles übernimmt (oder durch die Erziehung übernommen hat), daß aber zugleich selbst von Katholiken aus anderen weltanschaulichen Paketen Werte, Normen und Handlungsweisen übernommen werden. Es ist dabei zu bedenken, daß hier nicht von den heute auch eher noch systematisch denkenden Theologen die Rede ist, sondern vom „Mann auf der Straße“, bei dem man in vielfältigen Untersuchungen schon eine erstaunliche Inkonsistenz weltanschaulicher Auffassungen beobachtet hat. Man mag solche Vorgänge durchaus als „Fortschritt“ oder „Mündigwerden“ beschreiben und dabei wichtige Teilaspekte, eher aber noch Wünsche, formulieren. Was sich hier nämlich wohl auch abspielt, ist nicht nur Verlust an Kirchlichkeit, also Abnahme an Beteiligung am Leben christlicher Gemeinden, sondern auch Verdunstung des Glaubens, also jener christlichen Welt-, Fremd-, Selbst-, Krisen- und Lebensdeutung, jener Christlichkeit, von der heute immerhin noch die statistisch weitaus größere Zahl der Theologen und Kirchenmänner der Ansicht ist, daß sie in der von den christlichen Gemeinden mehr oder weniger plausibel getragenen Lehre Jesu Christi repräsentiert und tradiert wird.

Repaganisierung?

Die jüngsten Untersuchungen des Instituts ^ür kirchliche Sozialforschung (IKS) betonen nun zwar allen radikalen „Gott-ist-tot-Theologen“ zum Trotz, daß Gott bei der überwiegenden Zahl der Oberösterreicher, Kärntner und Tiroler sich hartnäckig am Leben erhält. In Ansehung der zunehmenden Distanz österreichischer Katholiken zu ihren

Gemeinden, damit auch zu deren Gottesverkündigung und Gottesbild, wird man sich die Frage erlauben müssen, ob dieser in Untersuchungen bejahte Gott auch der Gott Jesu Christi ist, oder vielmehr ein Gott, von dem man letzten Endes nicht recht weiß, was dieses „höhere Wesen“ darstellt. Entkirchlichung kann daher zwar mit dem Verlust an „Gottesglauben“ und „Religiosität“ nicht von vornherein gleichgesetzt werden. Es ist aber nicht ausgeschlossen, daß die Entkirchlichung zugleich Entchristlichung bedeutet, und daß am Ende die Menschen in Österreich zwar religiös sind, aber in einer Form, die sich von heidnischen Formen nur wenig unterscheidet. Die beobachtbare Entkirchlichung könnte damit zugleich der Anfang einer zunehmenden Repaganisierung Österreichs sein.

Gegenläufige Erscheinungen

Ich hatte mir vorgenommen, einen kritischen Artikel gegen weitverbreitete Vereinfachungen und daran geknüpfte pessimistische Folgerungen zu schreiben. Offenbar will unter der Last der Fakten ein solches Unterfangen nur schwer gelingen. Immerhin bleibt als Trost der Hinweis darauf, daß es nicht erwiesen ist, daß die Christlichkeit früherer Jahrhunderte wesentlich intensiver und höher war als die der heutigen Zeit. Auch muß man den heutigen Christen bescheinigen, daß trotz Austritten und Verlust an Teilnahme einige sich wieder unerschrockener gesellschafts- und weltpolitischen Problemen stellen und auf dem Wege sind, nicht mehr sosehr wie ein bewegliches Parallelogramm bei vermeintlich stets gleichbleibender Grundfläche gefahrlos nach links oder rechts geschoben werden zu können. Auch gibt es unter Jugendlichen solche, denen zwar die „ausgewiesene“ Mitgliedschaft in Organisationen nicht viel bedeutet, denen damit aber die Kirche selbst, noch mehr aber Jesus Christus, nicht unwichtig geworden ist.

Nicht zuletzt ist aber zu hoffen, daß eine Diagnose wie bei einem Patienten nicht dessen Tod, sondern seine Genesung beschleunigt. In den meisten Fällen ist sie ein erster Schritt zu weiterem Leben und Wirken. Zumindest unter den Ärzten leitet sie eine gegenläufige Aktivität ein. Sollten die Kinder dieser Welt wieder einmal klüger sein als die Kinder des Lichtes?

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