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Gott liebt das Leise

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Wenn Thomas Mann recht hat und der Weg zur Schönheit vom Geistigen wegführt, weil Eros und Form der „auflösenden Erkenntnis“ entgegenstehen, dann ist die Kammermusik immerhin weniger gefährdet als die für große, farbige Ensembles, dann gibt es — was wir schon immer fühlen — auch eine stark vom Geistigen determinierte musikalische Kunst, und nach J. M. Hauer ist dieses Geistige durch das Melos gegeben. Ein Künstler, der sich stets zwischen diese Pole von Geist und Schönheit gespannt sah, ist vor zehn Jahren gestorben: Friedrich Wildgans. Als Sohn eines berühmten Vaters begann er sein Leben, als Bedeutender in der neuen österreichischen Musik beschloß er es, verbittert, wie Robert Schollum in seinem Vortrag in der Gesellschaft für Musik vermutete, über den weltweiten Triumph einer immer musikferner werdenden Avantgarde. Was uns Wildgans heute zu geben hätte, ließ unter anderem die Aufführung des Kleinen Trios für Flöte, Klarinette und Fagott durch Mitwirkende des Wiener Bläserqulntetts erkennen.

Im Mozart-Saal war wieder einmal das Trio di Milano zu hören, und zwar mit einem Programm, das man gespannt bis zum Schluß verfolgen mußte, ehe das Bild von diesem Ensemble sich rundete: Dieses Trio steht mehr als jedes vergleichbare mit der Künstlerschaft des Pianisten Bruno Canino. Er steckt voller musikalischer Initiativen, hat das richtige Gespür für die abgerundete Gesamtwirkung und nicht zuletzt das feine Ohr (und den erforderlichen Anschlag) für den adäquaten Klang. Seine Kollegen Ferraresi und Filip-pini an den Streichinstrumenten sind ideal auf seine Persönlichkeit eingestellt und beide virtuose Musiker. So erstanden Haydns G-Dur-Trio mit dem berühmten „Rondo all' Ongarese“, die intelligente Collage von Charles Ives' Klaviertrio und das zauberhafte Es-Dur-Trio von Schubert in vorbildlicher Schönheit.

Wien, seit wenigen Jahren (wieder) Nährboden für ausgezeichnete Streichquartettensembles, dürfte verschiedenen Gerüchten nach in absehbarer Zeit eines verlieren: das Schnitzler-Quartett. Mögen es persönliche Gründe sein oder die Tatsache, daß ein vergleichbares Niveau nur unter härtester Probenarbeit zu halten ist, jedenfalls wäre es zu bedauern, das zeigte allein schon der Abend im Brahms-Saal, in dessen Mittelpunkt eine Uraufführung stand: Ivan Eröds Streichquartett 1975. Das Werk des 40jährigen Budapesters, der in Graz wirkt, ist auf Klang aufgebaut, temperamentvoll und einfallsreich kommt auch ungarische Folklore zum Tragen, das Werk paßt in die Zeit und kommt doch mit der herkömmlichen Notenschrift aus; hier zeigt sich wieder ein Komponist, der es sich nicht leicht macht, der eine Mitte sucht. Das Publikum honorierte diese Ehrlichkeit in Eröds Künstlerschaft und das Engagement der Ausführenden durch starken Beifall. (Eingerahmt war die Novität von Mozarts Flötenquartett, KV 285 b, und dem B-Dur-Quartett, D 112, von Schubert.)

Herbert Müller

Immer wenn Lorin Maazel am Pult der Wiener Philharmoniker steht, bedeutet das Brillanz des Musizierens, eine Skala raffinierter Farbmischungen, mit Spuren des Koketten, manchmal des Manieriert-Verspielten. Denn Maazel merkt man immer wieder an, mit welcher Selbstgefälligkeit er dirigiert — wie ein Fechtmeister, der sein Training im Spiegel kontrolliert und vor allem auch darauf achtet, daß jede Bewegung mit entsprechender Eleganz ausgeführt wird ... Daß vor allem Richard Strauss' symphonische Dichtungen, etwa der „Don Juan“, bei ihm in den richtigen Händen liegen, ist keine Frage. Auch diesmal im Musikverein ein Fest des schönen Klanges, in dem es an Emotion, aber auch an Ironie nicht mangelte. Kühler, unpersönlicher wirkte hingegen seine Wiedergabe von Brahms' „Zweiter“, obwohl der fabelhafte Regisseur Maazel es natürlich auch hier nicht an Wohllaut, Kontrasten, Bravoureffekten mangeln läßt. Nur eine schien in diesem Programm nicht Maazels Sache zu sein: Mozart, genauer, dessen C-Dur-Symphonie (KV 200), die er wie ein Einspielstück gestaltete: oberflächlich, glatt poliert, etwas steif. Für den Atem dieser Musik fehlte es zu sehr an Tiefe der Einfühlung.

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