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Gott mit Bomben dienen?

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Als der Oberrabbiner Shlomo Goren am 28. November 1972 seine Post aus dem Briefkasten nahm, befand sich darunter ein dickes Kuvert, das er zunächst für eine Zeitschrift hielt. Als er es näher betrachtete, sah er, daß es mit benützten Marken beklebt war. Der Stempel hingegen sah keineswegs echt. aus. Shlomo Goren wurde stutzig und rief die Polizei an. Ein Sprengstoff Spezialist, der das Kuvert öffnete, konstatierte, daß es sich um eine primitive Briefbombe gehandelt hatte.

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Als der Oberrabbiner Shlomo Goren am 28. November 1972 seine Post aus dem Briefkasten nahm, befand sich darunter ein dickes Kuvert, das er zunächst für eine Zeitschrift hielt. Als er es näher betrachtete, sah er, daß es mit benützten Marken beklebt war. Der Stempel hingegen sah keineswegs echt. aus. Shlomo Goren wurde stutzig und rief die Polizei an. Ein Sprengstoff Spezialist, der das Kuvert öffnete, konstatierte, daß es sich um eine primitive Briefbombe gehandelt hatte.

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Noch am selben Tag kam eine Anzahl strenggläubiger Rabbiner zusammen, die man gebeten hatte, zu diesem Bombenversand Stellung zu nehmen. Sie konnten sich nur mit Mühe zu einer gemeinsamen Erklärung durchringen, derzufolge der neugewählte Oberrabbiner Israels, Shlomo Goren, sich selbst eine Bombe ins Haus geschickt habe.

Wer hinter einer solchen Behauptung stehen konnte und wer sie durch sein Stillschweigen guthieß, war eindeutig. Es mußte sich um einen der vielen Wege persönlichen Druckes handeln, die in letzter Zeit von strenggläubigen Kreisen eingeschlagen worden waren, um Oberrabbiner Goren zu boykottieren und seine Anhänger abzuschrecken oder einzuschüchtern. Der Oberrabbiner und seine Gefolgschalt sind den Strenggläubigen zu liberal.

Die ganze Angelegenheit nahm ihren Anfang, als die unabhängige liberale Partei mit Unterstützung der linkssozialistischen MAPAM (beide Mitglieder der Regierungskoalition im Parlament) einen Gesetzesentwurf zur Einführung der Zivilehe einbrachten, dessen Zweck es war, für alle, die nach rabbini-schem Gesetz nicht heiraten dürfen und daher in Israel nicht getraut werden können, trotzdem eine Ehemöglichkeit zu schaffen.

Gemäß einem Übereinkommen, das vor 25 Jahren, zur Zeit der Staatsgründung, zwischen dem damaligen Ministerpräsidenten David Ben-Gurion und dem verstorbenen Rabbiner Jehuda-Leib Mai-mon-Fischmann beschlossen wurde, erklärten sich die religiösen Parteien bereit, der Regierung beizutreten, wenn in dem neu gegründeten jüdischen Staat das rabbinische Zivilstandsrecht für alle Juden eingeführt wird. So geschah es. Im Laufe der Jahre sammelte sich jedoch eine große Zahl von ungeklärten Ehe-rechtsfällen an, die laut rabbini-schem Eherecht nicht lösbar waren und zu vielen persönlichen Tragödien führten. Letzter aktueller Anlaß war, daß sich Stabsfeldwebel Chanoch Langer, Frontkämpfer des Sechstagekrieges, an Sicherheitsminister Moshe Dayan wandte und sich beschwerte, daß seit 1965 weder er noch seine Schwester die Eheerlaubnis bekämen. Der Grund hiefür sei, daß sie laut rabbinischem Recht als „Bastarde“ gälten und somit keinen reinen jüdischen Partner heiraten dürften. Dayan legte die Angelegenheit dem Kabinett vor. Die anwesenden Vertreter der religiösen Parteien versprachen, den Fall einer Lösung zuzuführen, wenn man die Angelegenheit vor ein neu zu bildendes rabbinisches Gericht bringe. Es fanden sich aber keine dem Rab-binatsgericht angehörenden Rabbiner, die bereit gewesen wären, nochmals zu Gericht zu sitzen und einen Beschluß gegen ihre Kollegen zu fassen.

Als es aussah, als ob keine gütliche Lösung mehr möglich sei, wurde der oben erwähnte Gesetzesentwurf eingebracht. Das geschah kurz vor der Neuwahl des europäischen (aschke-nasischen) und des orientalischen Oberrabbiners. Der damalige europäische Oberrabbinatskandidat Shlomo Goren, der heutige Oberrabbiner, versprach nun, daß er, wenn man ihn wähle, alles tun werde, um den Fall Langer positiv zu erledigen. Mit Unterstützung der religiös-nationalen und der nichtreligiösen Arbeiterpartei und gegen die Opposition der extrem-religiösen Agudath-Israel-Partei, wurde Rabbi Shlomo Goren zum Oberrabbiner gewählt. Im 5. Buch Moses heißt es: „Es soll auch kein Mischling (Bastard) in die Gemeinde des Herrn kommen. Auch seine Nachkommenschaft bis ins zehnte Geschlecht soll nicht in die Gemeinde des Herrn eintreten.“ Die mündliche jüdische Uberlieferung, der Talmud, erklärte dann vor etwa 2000 Jahren, was damit gemeint sei. So zum Beispiel, daß das Kind einer verheirateten Frau, dessen Vater nicht der ehelich angetraute Mann ist, als Bastard zu gelten habe. Solch ein Kind darf keinen Juden heiraten, ' sondern wiederum nur einen sogenannten Bastard. Heiratet es dennoch einen Juden und bekommt Kinder, so werden auch diese als Bastarde angesehen und so fort.

Im Laufe der Generationen entstand durch dieses Gesetz schon so manche Tragödie. Bei Judenpogromen wurden nicht wenige Frauen vergewaltigt. Nach der Verfolgung durch die - Nazis heirateten viele Frauen wieder, im guten Glauben, ihr erster Mann sei umgekommen, und manchmal tauchte dieser aber später dennoch lebend auf. Das Kind aus der Vergewaltigung, aber auch die Kinder aus der zweiten Ehe galten als Bastarde. Im Falle Langer lagen die Dinge so, daß Frau Langer, die Mutter des Unteroffiziers Chanoch und seiner Schwester, sich mit 17 Jahren in einen katholischen Schuster namens Borokovski verliebt hatte. Sie lief mit ihm von zu Hause weg und ließ sich mit ihm nach katholischem Ritus trauen. Später ließ sich der Ehemann Borokovski auf Drängen der Eltern der Braut beschneiden. Angeblich soll er offiziell zum Judentum übergetreten sein. — Das Ehepaar wanderte ins damalige Palästina ein und hatte zwei Kinder. Im Jahre 1942 verließ die heutige Frau Langer ihren Ehemann Borokovski. Zwei Jahre später, 1944, vermählte sie sich mit Herrn Amschel Langer vor einem Rabbinatsgericht in der Nähe von Tel Aviv. Da sie mit einem Christen verheiratet gewesen war, fand das Rabbinatsgericht keinen Anlaß, eine Scheidungsurkunde zu verlangen. Acht Jahre später aber wollte Borokovski eine andere Jüdin heiraten, vor dem Rabbinatsgericht bekannte er sich als Jude und mußte daher eine Scheidungsurkunde vorlegen. Auf sein Drängen hin ließ sich die nunmehrige Frau Langer von ihm scheiden. Durch diese Scheidung wurden aber ihre in der zweiten Ehe geborenen Kinder Chanoch und Miriam laut rabbinischem Recht zu Bastarden.

Ein rabbinisches Gericht unter dem Vorsitz von Goren befand schließlich, daß die beiden jungen Leute, Chanoch und Miriam Langer, nicht als Bastarde anzusehen seien, da ihre Mutter mit ihrem ersten Mann nicht rabbinisch rechtsgültig verheiratet gewesen sei.

Um einer eventuellen Revision dieses Urteils zuvorzukommen, heirateten beide noch am Tage der Urteilsverkündung ihren jeweiligen Partner. Um die Rabbiner, die an diesem Urteil mitgewirkt hatten, vor Terroranschlägen extremreligiöser Kreise zu schützen, hielt man ihre Namen geheim.

Mit der Heirat der Geschwister Langer war aber das Probleim der 2000 „heiratsunfähigen Paare“ in Israel noch lange nicht gelöst. Es war nur ein erster Schritt zu einer allgemeinen Lösung, aber auch der Grund, -weshalb fanatische Kreise sofort gegen dieses Urteil Stellung bezogen. Es kam ihnen letztlich darauf an, einen Kompromiß mit den Nichtreligiösen auf jeden Fall zu vermeiden. Man behauptete, daß die plötzliche Eile, nachdem man sich sieben Jahre lang mit diesem Fall befaßt hatte, viel zu wünschen übrig lasse. Diese Eile sei auf die Tatsache zurückzuführen, daß Rabbiner Goren sein Urteil unter Dach und Fach haben wollte, bevor die Tagung der unabhängigen liberalen Partei stattfand. Auf Bitten von Rabbiner Goren hin soll nun der von dieser Partei eingebrachte Gesetzesvorschlag zur Einführung der Zivilehe vertagt werden, um ihm eine Möglichkeit einzuräumen, die „heiratsunfähigen Fälle“ im Sinne der Religion -einer Lösung zuzuführen.

Fanatiker behaupteten, daß im Fall Langer Religion zur Politik mißbraucht wurde. Sogar der zweite Oberrabbiner, das Oberhaupt der orientalischen (sephardischen) Juden, Rabbi Ovadiah Josef, nahm gegen Goren Stellung. In Jerusalem kam es zu einer Kundgebung, auf der sich einige tausend Anwesende zum Zeichen der Trauer die Kleider zerrissen. Tausende wollen an der Klagemauer fasten und beten. Extreme Kreise wollen Namenslisten von jungen Leuten beiderlei Geschlechts, die man unbedenklich heiraten dürfe, aufstellen. Diese Maßnahme würde eine Teilung des Volkes herbeiführen. Wer von den meisten Juden kann schon seine Herkunft generationenlang nachweisen?

Oberrabbiner Goren will jedoch auch weiterhin alles versuchen, die Religion auch für Nichtreligiöse anziehend zu machen und einen dauernden Dialog zwischen Religiösen und Nichtreligiösen in Gang zu setzen. Nur so ist ein gemeinsames Fortbestehen des jüdischen Volkes als Ganzes möglich.

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