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,Gott schütze Österreich"

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Zum dritten Male waren es die Märztage, die uns nicht losließen. Altbundeskanzler Schuschnigg sprach im österreichischen Fernsehen, und es wäre, trotz des zeitlichen Abstands, ein Fehler, wollten wir nicht auf diese Dokumentation zurückkommen.

Gewiß, Schuschniggs Auftritt war technisch nicht annähernd so meisterhaft gestaltet wie Erich Feigls „Kronzeugin“, hatte aber inhaltlich jene Faszination, die einer fast ununterbrochenen, unbestechlichen, alles enthüllenden Großaufnahme auf dem Bildschirm (und nur auf diesem) zu eigen ist. In Stil und Ausdruck den meisten politischen Erscheinungen überlegen, die sich heute im Rampenlicht darzubieten pflegen, erzählte der Altbundeskanzler die inside-story der letzten Stunden Österreichs vor dem Einmarsch der Wehrmacht Nazideutschlands. Er erzählte sie in jenem makellosen Deutsch, das heute schon wie eine ferne Erinnerung klingt — erzählte, das Gesagte mit wenigen Gesten unterstreichend, am Tisch des mehr als bescheidenen Hauses sitzend, das er in Mutters bei Innsbruck bewohnt.

Nichts erinnert dort an den gehobenen Stil und Standard pensionierter demokratischer Politiker. (Denn die Regeln der Gleichheit sind überaus streng: Sie machen einige Gleiche gleicher, andere Gleiche aber ungleicher.)

Wie dem auch sei, der Altbundeskanzler berichtete von den Stunden der österreichischen Agonie, mit der die bisher größte Katastrophe dieses Jahrhunderts ihren Anfang nahm, von den einander überstürzenden Erpressungsversuchen der leider in Wien immer noch als politische Gesprächspartner angesehenen Gangster, die sich seit 1933 (nach demokratisch legaler Bestellung!) im Besitz der Machtmittel des Deutschen Reiches befanden. Militärs wie Schilhawsky und Hül-gerth hielten angesichts dieser Machtmittel jeden bewaffneten Widerstand für Wahnsinn. Aber der Heeresminister, General Zehner, hielt, ebenso wie Dr. Otto Habsburg in Steenockerzeel, einen wenigstens hinhaltenden, wenigstens symbolischen Widerstand für durchaus sinnvoll, denn Zehner und Dr. Otto Habsburg glaubten aus ihren sicheren Quellen zu wissen, daß große Teile des damals noch mächtigen deutschen Offizierskorps durchaus nicht gesonnen seien, auf Österreicher zu schießen, daß also die ersten österreichischen Salven nach erfolgter Grenzverletzung keine geringe Verwirrung auf deutscher Seite auslösen würden, und daß der Toten weniger sein würden als nach einem vollzogenen Anschluß mit seinen unausweichlichen kriegerischen Folgen. War General Zehners Ermordung durch die SS, unmittelbar nach dem Einmarsch der nazideutschen Wehrmacht, ein Beweis für die Richtigkeit seiner Ansicht?

Zehner wie Dr. Otto Habsburg (und die Seinen in Österreich) waren jedenfalls der Überzeugung, daß Österreichs größere Zukunftschancen nur im Widerstand liegen konnten, und sie glaubten, daß die (heute wie damals vorherrschende) österreichische Tendenz, jeder Gewalt zu weichen, weil man es sich mit Gewaltverbrechern nachher „ja eh noch richten“ könne, falsch sei.

Dennoch: Schuschniggs gutes Recht war es, auf seiner Ansicht von der Lage zu beharren, die Verantwortung abzulehnen und zurückzutreten. Der für Österreich verhängnisvolle (und typische) Fehler unterlief nämlich nicht bei ihm, dem Regierungschef, sondern beim Staatsoberhaupt, dem Bundespräsidenten. Kein Staatsoberhaupt handelt unter Zwang, und was es unter Zwang tut, ist nicht rechtsverbindlich.

Seit Wochen, seit Monaten wußte man in Wien, daß ein nazideutscher Gewaltakt bevorstand, man war nicht unvorbereitet. Schon beim ersten Erpressungsversuch Berlins hätte also der Bundespräsident das Land verlassen müssen: wie später König Haakon von Norwegen, Königin Wilhelmine von Holland, die Großherzogin Charlotte von Luxemburg — wie einstmals Kaiser Karl, der sich 1919 in die Schweiz begab und sich dem Druck der deutschösterreichischen Staatsregierung entzog, die ihn erpressen und zur formellen Abdankung zwingen wollte.

Der erste Weg des Bundespräsidenten Miklas hätte nach Genf, zum Völkerbund, führen müssen, wie kurz vorher der erste Weg des Negus Negesti zum Völkerbund führte, nachdem Mussolini Äthiopien widerrechtlich überfallen und besetzt hatte. Der Auftritt Haue Selassies in Genf war ein Triumph des verletzten Rechts. Einige Jahre später, als die Alliierten das Land zurückerobert hatten (wobei die Italiener sich übrigens großartig schlugen, und der Vizekönig, Herzog Amadeo von Aosta, inmitten seiner Soldaten in Kriegsgefangenschaft sterbend, völlig außer Programm zum Helden der Nation wurde) und Mussolinis größenwahnsinniges Impero zusammenbrach, stand die Heimkehr des vertriebenen Negus in ein vergrößertes Äthiopien für alle Welt außer Zweifel, und nicht nur das: Der Kaiser wurde in den folgenden Jahrzehnten Schiedsrichter unter den jungen Nationen Afrikas. Nur Dummköpfe wissen nicht, wie mächtig über die Zeiten hinweg verletztes Recht ist, und nur Demagogen geben vor, es nicht zu wissen.

Hätte der Bundespräsident, legitimerweise mit den nötigen Mitteln aus der Staatskasse ausgestattet, im Ausland eine freie österreichische Regierung gebildet — er wäre zweifellos von der Goebbels-Propaganda angeklagt und verlacht worden. Zuletzt gelacht aber hätte Österreich, ein nicht 1945 besetztes Feindesland, nicht geschlagen und hungernd, sondern als Siegermacht, wahrscheinlich in vergrößerter Form, wahrscheinlich als Drehscheibe Mitteleuropas wiedererstandenes.

Aber die Frage, was gewesen wäre, wenn... ist nicht erlaubt. Schuschnigg berichtete, was geschah und wie es geschah, so und nicht anders, bis zum Augenblick seines Rücktritts. Ungesagt blieb, was darauf folgte: sein Martyrium in der Gestapohaft und im Konzentrationslager Buchenwald: sein mühsamer neuer Anfang als Universitätsprofessor in den USA nach dem Kriege; seine Heimkehr; seine späteren Jahre in Tirol, wo er in Stille und Einsamkeit lebt. Einsam wie viele Ehrenmänner in dieser Zeit.

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