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„Gott wandelt sich mit der Gesellschaft"

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Der Benediktinerpater Maurus Matthei aus Chile sah keinen Grund, die Art und Weise der Evangelisierung von 1492 zu verurteilen; die Dekanin der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck, Herlinde Pissarek-Hudelist, forderte auf zur Trauer, angesichts des „unerhörten Leides, dem Menschen über Jahrhunderte hindurch ausgesetzt waren".

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Der Benediktinerpater Maurus Matthei aus Chile sah keinen Grund, die Art und Weise der Evangelisierung von 1492 zu verurteilen; die Dekanin der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck, Herlinde Pissarek-Hudelist, forderte auf zur Trauer, angesichts des „unerhörten Leides, dem Menschen über Jahrhunderte hindurch ausgesetzt waren".

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In diesem Spannungsfeld der Sichtweisen standen vom 27. Juli bis 8. August die 61. Salzburger Hochschulwochen. Brisantes Thema, abgehandelt vor rund 1500 Hörerinnen und Hörern aus dem gesamten deutschsprachigen Raum, Polen, der CSFR, Frankreich und Italien: „Evangelium und Inkulturation".

„Dank der in unseren Tagen neu erwachten Sensibilität für Menschenwürde, Menschenrechte und Geistesfreiheit ist das Geschehen von 1492 zu einer Gewissensfrage für uns geworden", zog Pater Paulus Gordan, Obmann des Direktoriums der Salzburger Hochschulwochen, Resümee. Die Frage, ob es 1992 einer Büß- oder Jubelfeier bedürfe, drohe „das innerkatholische Klima zu vergiften, nicht zuletzt deshalb, weil sich Teile der Hierarchie und der Gläubigen dieser Gewissensfrage nicht stellen wollen."

Bei den Hochschulwochen seien diese innerkatholischen Spannungen „in der Atmosphäre spürbar" gewesen. Darin sieht Pater Gordan aber ein Zeichen für „die Bedeutung und Wichtigkeit der Salzburger Hochschulwochen und ihrer Funktion als Freiraum zur Klärung von Wissensund Gewissensfragen sowie zur Aufarbeitung vielfach unbewältigter Vergangenheit".

Einen Ausgleich stiftenden Beitrag zur Lateinamerika-Diskussion lieferte der Linzer Dogmatiker Jozef Nie-

wiadomski: „Nicht moralisierende Anklage, sondern die Schärfung des Bewußtseins, daß Menschen, die im guten Glauben handeln, auch Schuld auf sich laden können und deswegen auch radikal der Vergebung bedürfen", sei Aufgabe der Theologie.

„Gott wandelt sich mit den Veränderungen der menschlichen Lebensweise, er wandelt sich mit dem Wandel der Gesellschaftsstrukturen. In diesem Sinne ist er kein konservativer Gott. Im Gegenteil: weil dem Menschen zugewandt, weil empathisch, ist er geradezu allergisch gegenüber den Versteinerungen seiner Gestalt" - diese Gedanken standen am Anfang der Überlegungen Niewiadomskis.

Opfer und Henker

Der „anthropologische Sachverhalt, daß Opfer spiegelbildlich ihre Henker nachahmen können, macht dem Mythos von der Eindeutigkeit des Opfers ein Ende", meinte Niewiadomski und führte diesen Gedanken anhand biblischer Beispiele aus:

Kaum habe Mose sein Volk aus der Knechtschaft Ägyptens herausgeführt, richte er, nach „der Sünde des Goldenen Kalbes", bereits selber ein Blutbad an: „Die Vision des .Gelobten Landes' wird zum Spiegelbild der ägyptischen Knechtschaft degeneriert. Die gerade noch von Gott befreiten Opfer werden selbst zu Tätern."

Darum ist für den Dogmatiker Niewiadomski „ein im Opfer verankertes Wahrheitskriterium" nicht zu verantworten.

„Die moderne Nostalgie, die in allen vergangenen Religionen und. Kulturen global Opfer sieht und diese glorifiziert, muß sich mit der Wahrheit konfrontieren lassen, daß diese Religionen und Kulturen nichts anderes als Opfersysteme waren: die getöteten Gottheiten verlangten zur Erhaltung ihres Lebens neue Opfer."

Daß sich Institutionen etabliert haben, die sich zum Anwalt der Verstoßenen und Vertriebenen machten

und sich für die gesellschaftliche Integration der Opfer einsetzten, ist für Niewiadomski das Zeichen, daß der „wahre göttliche Logos" sich inkultu-rierthabe. „Weil Menschen sich nicht neutral verhalten, sondern als Repräsentanten Gottes Tatsachen im Namen Gottes schaffen, ist Inkarnation notwendig, weil Not-wendend." Diese bedeute eine theologische Rehabilitierung von Opfern, aber auch die Schuldvergebung für die Täter. Somit werde die trennende Wand zwischen Opfern und Tätern durch die Inkarnation des göttlichen Wortes

niedergerissen.

Einen Vergleich zwischen dem Dritten Reich und der derzeitigen Situation in Lateinamerika stellte der Münchner Kapuzinerpater Othmar Noggler her. Der Nationalsozialismus habe, so Noggler, nur deshalb wie eine Krebsgeschwulst wuchern können, „weil zu viele, selbst psychisch oder sozial auf der untersten Sprosse der sozialen Hackleiter, noch jemanden unter sich brauchten, den Untermenschen".

Für Noggler ist eine der Folgen von 1492 die Tatsache, daß heute die

Indianer „auf ihrem Kontinent die kleinste Minderheit bilden''. Dies nicht nur aufgrund von Eroberung oder Seuchen, sondern aufgrund bewußter Vernichtung ganzer Völker: „Wir haben in unserem Jahrhundert dafür die Begriffe Genozid - Völkermord -und Ethnozid - Vernichtung der Kultur - geprägt."

Inkulturation nicht erreicht

In diesem Punkt dürfte die Kluft zwischen den Ansichten einiger Referenten am weitesten auseinandergeklafft sein: In direktem Gegensatz zu Noggler sagte Maurus Matthei, der Benediktiner aus Chile, es treffe ihn „empfindlich, daß der Kirche von damals in unserer Zeit Ethnozidum und sogar Mitwirkung am Genozidum vorgeworfen" werde. Christus habe nicht gesagt: „Geht hin in alle Welt und bewahrt sorgfältig die Kulturen", sondern: „Geht in alle Welt hinaus und macht alle Menschen zu meinen Jüngern." Matthei wörtlich: „Diese Jüngerschaft sollte sich gewöhnlich im Rahmen der jeweiligen Kultur heranbilden. Es liegt aber auch in der Natur der Bekehrung, daß der Sieg Christi in uns und in der Welt zugleich Tod und Auferstehung bedeutet."

Pater Gordan meinte in seinem Rückblick, der Idealfall der Inkulturation, nämlich jener, unterschiedlichen Kulturen die Heilsbotschaft so einzustiften, „daß die Kulturen nicht zerstört und selbstentfremdet, sondern zu ihrer eigenen Vollreife gebracht werden", sei nie und nirgends erreicht worden.

Mit dem Thema „Lob der Erde" wollen die Salzburger Hochschulwochen 1993 neben der Sorge und der Verantwortung für die Erde auch das Lob der Erde zur Sprache bringen. Es wird die theologisch-spirituelle Seite der Erde als Mutter und Heimat des Menschen, aber auch als Ort der Verbannung und der Sehnsucht nach dem „Neuen Himmel und der Neuen Erde" zur Sprache kommen.

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