7011442-1988_10_09.jpg
Digital In Arbeit

Gottes Name auf Geld

19451960198020002020

Unter vielen Christen wächst die Überzeugung, daß Frucht der Evangelisierung auch die Befreiung der Dritten Welt und ihrer Menschen von Elend und Not sein muß.

19451960198020002020

Unter vielen Christen wächst die Überzeugung, daß Frucht der Evangelisierung auch die Befreiung der Dritten Welt und ihrer Menschen von Elend und Not sein muß.

Werbung
Werbung
Werbung

Jährlich sind es an die 80 Millionen Menschen, die an Hunger oder dessen Folgen sterben müssen. Zum Vergleich: Im Zweiten Weltkrieg gab es insgesamt 55 Millionen Tote. In Äthiopien allein sind 1988 sechs Millionen Menschen vom Hungertod bedroht. Mit zirka drei Milliarden Schilling könnte ihr Uberleben gesichert werden. Das ist nur um ein Drittel mehr, als an einem einzigen Tag in den Geschäften der Stadt München ausgegeben wird. 30 Prozent der Menschheit sind unzureichend ernährt oder hungern. Weltweit sind zirka 1,5 Milliarden Menschen unterernährt.

Die USA und die UdSSR geben im Jahr 800 Milliarden Dollar für Rüstungszwecke aus. Für Entwicklungshilfe (alle Formen inbegriffen) werden dagegen nur 57 Millionen Dollar pro Jahr bereitgestellt... Ein Prozent der Rüstungsausgaben würde reichen, um die 200 Millionen unterernährten und hungernden Kinder auf der Welt ein Jahr lang zu ernähren ... Die Kosten eines atombetriebenen U-Bootes entsprechen den Kosten der Ausbildung von 16 Millionen Kindern in einem Entwicklungsland für ein Jahr.

Man könnte noch viele Vergleiche mit diesen Zahlen anstellen. Bedenken wir aber, daß immer Menschen aus Fleisch und Blut mitbetroffen sind. 1978 sprach man in der Bischofsversammlung von Puebla zon Christus, der in diesen Armen leidet. Und was uns als Kirche in der Verbindung mit unseren Schwestern und Brüdern auf der ganzen Welt zum Denken und Helfen bringen muß: 1985 lebten bereits 60 Prozent aller Katholiken in der Dritten und somit jener Welt, die von all diesen Problemen am meisten betroffen ist. Im Jahre 2000 werden es 68 Prozent sein.

Die Antwort der Kirche auf diese Herausforderung...: „Das Ärgernis soll vermieden werden, daß einige Nationen, deren Bürger in überwältigender Mehrheit den Ehrennamen Christen tragen, Güter in Fülle besitzen, während die anderen nicht genug zum Leben haben und von Hunger, Krankheit und Elend aller Art gepeinigt werden. Denn der Geist der Armut und der Liebe ist Ruhm und Zeugnis der Kirche Christi“ (Gaudium et spes 88).

Ausdrücklich nennt das Konzil an dieser Stelle das ganze Volk Gottes, das sich einsetzen muß, „wobei die Bischöfe mit Wort und Beispiel vorangehen müssen“... „und zwar nach alter Tradition der Kirche (soll) nicht nur aus dem Uberfluß, sondern auch von der Substanz (gegeben werden)“ (ebenfalls Gaudium et spes 88).

Im Zusammenhang mit all diesen Problemen muß gefragt werden, ob das noch zu Mission und zum Auftrag, den Menschen bei uns und in der ganzen Welt die Frohe Botschaft zu verkünden, gehört.

Gaudium et spes spricht bei diesem Dienst an den Notleidenden nicht von einem „anstatt“, als handle es sich dabei um eine neue Form der Evangelisierung, sondern von der Frucht der Evangelisierung, die ganzheitlich sein muß. Sie umfaßt alle Bereiche des menschlichen Seins. „Evangelii Nuntiandi“ (1975) spricht von Evangelisierung als Erneuerung der Menschheit, um „das konkrete Leben und das jeweilige Milieu umzuwandeln“ (Nr. 18) ...

Einige konkrete Beispiele, wie dieses Gedankengut in verschiedenen Teilen der Welt umgesetzt wird:

Kardinal Stefan Kim von Seoul/Südkorea. Er glaubt, wie er selbst einige Male von sich gesagt hat, an die Kraft und Macht des Heiligen Geistes, der auch hier und heute Wunder wirkt. Nach ihm ist ein solches die „Revolution der Rosenkränze“ auf den Philippinen. Die Kirche, mit all ihren Gliedern, habe dabei eine entscheidende Rolle gespielt

Ahnliches wünscht sich der Kardinal für Korea. Bauern und Fischer leiden schwer unter Ungerechtigkeiten. Im städtischen Bereich sind die Arbeiter dem Druck multinationaler Konzerne ausgeliefert...

1985 hat Kardinal Evaristo Arns von Sao Paulo einen dramatischen Aufruf erlassen: Er wendet sich an alle sogenannten entwik-kelten Länder und fordert sie auf, sich für globale Gerechtigkeit und Frieden einzusetzen. Konkret fordert er:

1. Respekt vor jedem Land, seiner Kultur sowie seinen ethnischen und politischen Besonderheiten. 2. Eine neue ökonomische und politische Logik. Die Erste Welt darf nicht mehr länger dulden, daß 80 bis 90 Prozent der Menschen am Rande der Weltwirtschaft dahinvegetieren. 3. Innerhalb der Nationen müssen die Prioritäten an der Majorität des Volkes gemessen werden. Unterentwicklung ist nicht ein Problem der Ressourcen, sondern der Beteiligung des Volkes an den Gütern. 4. Die Nationen der Dritten Welt sind nicht länger gewillt, den Mythos der Ersten Welt zu akzeptieren, daß es um den Schutz „höherer Werte“ gehe, wenn es in Wirklichkeit um die Eigeninteressen der Ersten Welt und deren Regierungen, Banken und Unternehmen geht...

Mauro Morelli, erster Bischof der brasilianischen Diözese Du-que de Caxias im Staate Rio de Janeiro, schlägt Papst Johannes Paul II. vor, für das Jahr 1992, das 500. Gedenkjahr der Entdeckung Amerikas, ein „Gnadenjahr des Herrn“ (Lk 4,19) auszurufen. In Anlehnung an die sozialen Vorschriften in Lev 25,8-31, die in jedem 50. Jahr ein Jubeljahr vorschreiben, in dem die Schulden erlassen und die Ländereien, die durch nicht einzubringende Kredite erworben wurden, zur Rückgabe freigestellt werden müssen, schlägt der Bischof vor, eine weltweite Aktion der Länder der Dritten Welt durchzuführen, um mit aktiver Unterstützung der ganzen Welt ein wirkliches Gnadenjahr feiern zu können.

Die Gläubigerländer müßten während eines Jahres ihre Rüstungskosten um ein Drittel vermindern oder ein Prozent ihres Bruttosozialproduktes den Schuldnerländern schenken. Morelli wörtlich: „Ist nicht der Gott Jesu Christi durch Idole und Götzen ersetzt worden, die gierig nach dem Leben und der Freiheit unserer Völker trachten? Im Namen Gottes werden Völker unterjocht, die große Mehrheit einem .Wirtschaftswunder' geopfert, so-daß sie vom Abfall leben müssen.

Der Name Gottes ist auf Geld geschrieben: Jn God we trust'...“

Nach diesen Beispielen sollten wir uns noch einmal in Erinnerung rufen, daß es sich dabei nicht um irgendwelche gewagte und ausgefallene Ideen handelt, sondern daß alles in konsequenter Anwendung der Forderungen des Evangeliums und im Zusammenhang mit entsprechenden kirchlichen Dokumenten geschieht. Diese Menschen sind demnach keine Außenseiter, sondern konsequente Vertreter des Anliegens Jesu.

Auszüge aus einem am 22.2.1988 im Wiener Raiffeisenhaus gehaltenen Vortrag des Wie-ner Weihbischofs und Bischofvikars für Mission und Entwicklung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung