Dieser FURCHE-Text wurde automatisiert gescannt und aufbereitet. Der Inhalt ist von uns digital noch nicht redigiert. Verzeihen Sie etwaige Fehler - wir arbeiten daran.
Gottes Spielplatz
Auf den Untergang der polnisch-litauischen Republik (1569-1795) folgte ein sich ständig hinziehender Kampf der polnischen Bevölkerung um die Wiedererrichtung eines eigenen und unabhängigen Staates. Mit dem Untergang dieser ersten Republik war auch der Niedergang einer einheitlichen Zivilisation verbunden, deren Kultur und Institutionen vom Westen Europas beeinflußt worden waren.
So charakterisiert der auf Polen spezialisierte britische Historiker Norman Davies, Professor für osteuropäische Geschichte in London, die Ausgangsposition eines jüngeren Abschnittes in der so wechselvollen Geschichte dieses Landes. In seinem in England und denUSAgleichzeitigerschienenen Werk, „God's Playground- A Hi-story of Poland”, stellt Davies die gesamte polnische Geschichte von ihren prähistorischen Anfängen bis zur Entstehung der Gewerkschaft „Solidarnosc” dar.
Die über 1300 Seiten umfassende Arbeit, die streng wissenschaftlich, aber dennoch auch literarisch gelungen ist, avancierte im anglo-amerikanischen Sprachraum bereits zu einem Sachbuch-Bestseller. Im deutschen Sprachraum ist sie bis jetzt leider nur einem Fachpublikum bekannt.
Davies ist überzeugt, daß die Erinnerung an das vielfältige Erbe der Geschichte, das im Land an der Weichsel vor allem durch das
Medium der Literatur am Leben erhalten wurde und wird, die Einschätzung der Polen über ihre gegenwärtige Lage entscheidend mitprägt. Während andere nationale Bewegungen in europäischen Ländern vornehmlich im 19. Jahrhundert entstanden, tragen die Polen ständig das Bild ihrer eigenen, längst vergangenen Republik als Idealbild vor Augen.
Zeiten der Unterdrückung und der Auslöschung von der politischen Landkarte Europas lassen es nicht zu, daß die Polen auf übermäßig viele glanzvolle militärische, politische oder wirtschaftliche Erfolge hinweisen können.
Davies bezeichnet Polen treffend als ein „Land auf Rädern” (a country on wheels). Ständig war es im ost-mitteleuropäischen Kräftefeld irgendwelchen politischen oder geographischen Veränderungen ausgesetzt.
Das einigende Band über alle Zeiten der Unterdrückung hinweg aber waren der gemeinsame katholische Glaube und die gemeinsame Kultur. Durch sie erwies sich Polen als ein permanenter Faktor auf der europäischen Bühne.
Die politische Entwicklung Polens in seiner jüngsten Geschichte nennt der britische Historiker nicht unvermutet tragisch. Alle Bemühungen, die Republik alten Stils wiederherzustellen, erwiesen sich schlechterdings als undurchführbar. Der nach dem Ersten Weltkrieg entstandene polnische Staat verschwand innerhalb einer Generation.
Die Volksrepublik Polen wiederum, mit Hilfe der Roten Armee nach der Niederringung der fünf Jahre im Land wütenden Hitleri-sten errichtet, entbehrt jeglicher grundsätzlicher Freiheiten und der Unabhängigkeit des Landes.
Bei der dritten Teilung Polens 1797 schworen sich die damaligen Mächte, Rußland, Preußen und Österreich, den Namen „Polen” für immer aus der Geschichte zu tilgen; und es schien so, als ob nach den Aufständen von 1831 und 1863, vor allem aber in der Zeit der deutsch-sowjetischen Besetzung zwischen 1939 und 1941 dieses Ansinnen tatsächlich gelingen könnte.
Ständig am Rande einer Katastrophe
Freilich: Polen ist noch immer nach all den vielen Niederlagen wiedererstanden, sowohl in politischer als auch geistiger Hinsicht. Paradoxerweise scheint es auch gerade durch die Katastrophen immer wieder zu sich selbst zu finden.
Norman Davies folgert aus dieser tragischen und wechselvollen Geschichte: Polen sei vom „Spielplatz Gottes” zum Spielplatz eines ungerechten Schicksals geworden.
Polen, ständig am Rande einer Katastrophe, ständig vor dem Zusammenbruch, läßt den Gedanken aufkommen, „daß dieses Volk nicht so sehr lebt, sondern am Leben bleibt. Dieses Volk, das an seinem Grabe von Millionen von Bajonetten umzingelt und versiegelt ist, durch ein dreifaches Siegel von drei Mächten, hört nicht auf zu denken, zu atmen, zu reden, zu hoffen und zu leiden.” (Joseph Conrad)
GOD'S PLAYGROUND. A History of Poland (Zwei Bände) By Norman Davies. Oxford University Press, Oxford-New York, Pbck., Je Band ca. öS 460,-.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!