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Gottesstaat Israel?

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Sechs Wochen vor den israelischen Parlamentswahlen: Der Wahlkampf wird ausschließlich in der Presse ausgetragen. Amerikanische Juden spielen eine Hauptrolle.

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Sechs Wochen vor den israelischen Parlamentswahlen: Der Wahlkampf wird ausschließlich in der Presse ausgetragen. Amerikanische Juden spielen eine Hauptrolle.

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Obwohl Israel heute — 40 Jahre nach der Staatsgründung — vor dem schwierigsten Problem steht, das ihm je gestellt wurde, und das bei den kommenden Wahlen entschieden werden muß, bewegt der Wahlkampf die Israelis kaum.

Soll Israel ein Festungsstaat in Grenzen eines Groß-Israels oder ein Kleinstaat sein, der sich mehr als geistiges Zentrum des Judentums und weniger durch seine Machtpolitik behauptet?

Die Festungsstaats-Ideologie wird von Jizchak Schamirs Li-kud-Partei vertreten, die auf keinen Zentimeter der besetzten Gebiete verzichten und den Palästinensern keine politischen Rechte einräumen will. Die zweite Theorie hingegen ist die der Arbeiterpartei Schimon Peres', der bereit ist, auf die besetzten Gebiete zu verzichten, wobei innerhalb der Partei immer noch diskutiert wird, ob man einen Palästinenserstaat oder eine Konföderation mit Jordanien anstreben soll.

Diese ideologische Auseinandersetzung kommt öffentlich kaum zur Sprache. Der Versuch, Wahlveranstaltungen abzuhalten, ist von beiden Seiten — mangels Interesse — schnell wieder eingestellt worden.

Die Presse trägt den Wahlkampf heute aus, wobei die amerikanischen Juden hier eine Hauptrolle spielen. Schimon Peres, Jizchak Schamir sowie die Minister der beiden Parteien, die gemeinsam auch die große Koalitionsregierung bilden, begaben sich in die USA, um dort, bei reichen Juden, für den Wahlkampf zu sammeln.

Der rechtskonservative Likud hatte dabei mehr Erfolg. Denn die jüdischen Milliardäre sind erzkonservativ, und der Likud spricht sie mehr an. Daher sieht man heute in jeder halbwegs auflagenstarken Tageszeitung zwei bis drei Seiten Likud-Werbung und höchstens eine Seite der Arbeiterpartei Maarach.

Der Likud baut hauptsächlich auf die angeborene Angst der jüdischen Bevölkerung vor einem neuen Holocaust. Aus diesem Grund dürfe man die besetzten Gebiete nicht zurückgeben, denn nur so könne man den Judenstaat gegen seine Feinde schützen. Ferner wird dieser Judenstaat dauernd von seiner Umgebung bedroht. Die Intifada — der Volksaufstand der Palästinenser, die einen eigenen Staat ohne Israel anstreben — wird deswegen von Likud nur als ein Kampf zur Vernichtung Israels betrachtet.

Die Arbeiterpartei will nicht aus Angst, sondern aus Hoffnung gewählt werden: Hoffnung auf Frieden, auf bessere Lebensqualität, mehr Universitätsbildung. Im Wahlkampf selbst kommt dies kaum zum Ausdruck.

Schamir und Peres besuchen die verschiedenen Fußgängerzonen der Städte, die Märkte, die Ortschaften des Landes, treffen Leute, die sich davon überzeugen, daß auf Peres Verlaß ist und daß Schamir Eindruck macht. Uber Politik wird kaum gesprochen.

Die Arbeiterpartei hat auch Angst, nämlich daß ihre Politik beim Volk nicht ankommt. Denn die Intifada beweist, daß der Weg zum Frieden ein sehr langer ist. Und wer einen Stein auf den Kopf bekam, reagiert erst mit Wut, bevor er wieder logisch denken kann. So versucht Peres seine Kompromißbereitschaft in seinem Wahlprogramm so weit wie möglich zu verwässern. Auf diese Weise kann er auch die Falken in seiner Partei — mit Verteidigungsminister Jizchak Rabin an der Spitze — beschwichtigen.

Viele wollen das Land retten. Uber dreißig neue Wahllisten wurden aufgestellt. Die meisten haben nicht einmal genügend Anhänger, um bei den Wahlen zugelassen zu werden. Sogibt es zum Beispiel zwei Listen, die das Los der Verbrecher, die hinter Schloß und Riegel sitzen, verbessern wollen. Zwei weitere Listen wollen das Araberproblem in Israel durch erzwungenen Transfer ein für allemal lösen. An der Spitze der einen Liste steht ein ehemaliger General, an der Spitze der anderen der berüchtigte faschistoide Rabbi Meir Kaahane.

Die Religiösen gehen zum Großteil zusammen mit dem Likud, der ihnen das gottverheißene Groß-Israel garantiert. Diese streben einen theokratischen Staat an und werden vom Likud dabei unterstützt, der sich so seine Rückendeckung sichert.

Links der Arbeiterpartei stehen die Liberale Bürgerrechtspartei (RAZ) und die linkssozialistische MAPAM, die beide bereit sind, einen Palästinenserstaat und die PLO als Gesprächspartner zu akzeptieren. Noch weiter links stehen die Kommunistische Partei und die „Fortschrittliche Friedensliste“. Beide identifizieren sich hauptsächlich mit der PLO und stehen in deren Fahrwasser.

Obwohl diese Parteien Anhänger bei den israelischen Arabern haben, sind sie nicht in der Lage, am israelischen Parteienkampf teilzunehmen. Die rechts vom Likud plazierten kleinen Parteien sind alle bereit, gemeinsame Sache mit dem Likud zu machen. Hingegen sind die links von der Arbeiterpartei Stehenden nur bedingt dazu bereit.

Da die ideologischen Gegensätze kompliziert sind und der Israeli im allgemeinen ein Gewohnheitstier ist, meinen die Wahlexperten, daß die Mehrheit die Partei wählt, für die sie bisher gestimmt hat — ungeachtet der politischen Entwicklungen der letzten Jahre. Der Wahlkampf muß deswegen heute hauptsächlich um die zehn Prozent der unentschlossenen Wähler geführt werden.

Der Wahlkampf wurde mittlerweile sogar zu einem Gesellschaftsspiel: Man lädt Bekannte zu Kuchen und Kaffee ein und läßt sich einen Redner irgendeiner Partei kommen. Statt Kartenspiel oder Tratsch — ein Diskussionspartner. Ist doch einmal was anderes.

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