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Grauer Alltag für Patienten

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Wenn man heute über Spitäler liest, geht es ums Geld. Um die Spitalsfinanzierung. Oder um die enormen Kosten beim Neubau des Wiener Allgemeinen Krankenhauses (AKH), von denen etliche Millionen in dunkle Kanäle geflossen sind. Die eigentlichen Probleme, unter denen die Patienten leiden, sind demgegenüber in den Hintergrund getreten: der graue A II tag im Spitals weiß.

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Wenn man heute über Spitäler liest, geht es ums Geld. Um die Spitalsfinanzierung. Oder um die enormen Kosten beim Neubau des Wiener Allgemeinen Krankenhauses (AKH), von denen etliche Millionen in dunkle Kanäle geflossen sind. Die eigentlichen Probleme, unter denen die Patienten leiden, sind demgegenüber in den Hintergrund getreten: der graue A II tag im Spitals weiß.

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„Es ist keineswegs unberechtigt, daß viele Patienten das Krankenhaus als Krankenpflegefabrik und sich selbst als Pflegeobjekt aufzufassen beginnen” (Hans Lohmann:„Krankheit oder Entfremdung?”). Der Verfasser skizziert in diesem Report schwedische Verhältnisse.

Für Österreich malt der zuständige Gesundheitsminister Herbert Salcher ein nicht weniger düsteres Bild des Spitalsalltags: „Es ist inhuman, die Kranken in großen Krankensälen unterzubringen, sie über ihre Situation nicht ausreichend zu informieren. Es ist inhuman, die Patienten um fünf Uhr früh zu wecken und ihnen keine Auswahl beim Essen zu ermöglichen. In Tirol gibt es einige Spitäler, wo zwei bis drei Menüvorschläge täglich gemacht werden”.

Obwohl die bundesgesetzlichen Voraussetzungen für eine Humanreform gegeben sind - „die gesetzlichen Lösungen lassen das alles zu” (Salcher) - und viele Spitäler erste Schritte in diese Richtung setzen, leidet dennoch die Mehrzahl der Patienten in den Krankenanstalten unserer Alpenrepublik unter Anonymität und klinischer Kälte.

Die temperamentvolle Wiener ÖVP-Gesundheitsstadträtin Gertrude Ku-biena plädiert daher auch für eine Änderung des derzeitigen Gesundheitswesens. Nach ihren Wünschen sollen Ärzte und Pflegepersonal in der Gesprächsführung mit Patienten und den Angehörigen als „Pflichtgegenstand” ausgebildet werden.

Zudem macht sich Kubiena stark für

• offene Besuchzeiten (zumindest jeden Nachmittag bis zum Abend),

• ein gemäßigtes Modell des „roo-ming in”: das Neugeborene bleibt tagsüber bei der Mutter, in der Nacht kommt es in das Kinderzimmer;

• kürzere Spitalsaufenthalte durch bessere Organisation und rechtzeitige Mobilisierung sozialer Dienste wie Familien- und Nachbarschaftshilfe.

Schließlich faßt die engagierte Medizinerin auch ein heißes Eisen an: „Das subjektive Wohlbefinden ist unter anderem auch abhängig von der Atmosphäre im Krankenhaus. Gutes Betriebsklima schafft dafür die besten Voraussetzungen. Die derzeit bestehenden streng hierarchischen Strukturen sind zu überdenken.”

Pate steht für dieses Neuerungswollen das Modellkrankenhaus in Herdecke (BRD). „Dort gibt es keinen Chef. Ein Team von leitenden Oberärzten, jeder von ihnen ist Spezialist für ein bestimmtes Fachgebiet, bespricht jeden einzelnen Fall und trägt die Verantwortung für die Patienten”.

Freilich muß die oppositionelle Rathausärztin einräumen: „Das Krankenhaus wird von Idealisten betrieben. Sie folgen einer gemeinsamen Idee”.

Damit trifft sich die Stadträtin mit dem um Kompetenzen ringenden SPÖ-Gesundheitsminister. Auch Herbert Salcher empfindet diese Teamstruktur „als bemerkenswert, weil sich dort jeder Arzt voll verantwortlich fühlt”.

Allerdings hegt er für unser Land wenig Hoffnung: „Bei unserer heutigen Struktur in Österreich ist das nicht möglich. Es sind ja keine kleinen Spitäler da”, stellt er bedauernd fest. Um sich dann blitzartig auf die geplanten kleinen Abteilungen im heute so umstrittenen Wiener Riesenspitalsbau zu besinnen: „Die Abteilungen im AKH werden jeweils nicht mehr als 30 Betten haben”.

Abseits von Fragen der Spitalsgröße, die dem Hierarchieabbau scheinbar entgegenstehen, kann der Tiroler Minister auch sonst recht wenig Tendenzen in diese Richtung orten: „Da muß sich noch viel im hierarchischen Denken der österreichischen Gesellschaft ändern”.

Neben dem - wie es scheint - in Herdecke gelösten Hierarchieproblemen fasziniert auch noch ein weiterer Aspekt: Die Herdecke-Leute versuchen, „modernste medizinisch-technische Heilmethoden mit dem Versuch zu verknüpfen, die Familien zu integrieren und die sozialen Hintergründe ihrer Patienten kennenzulernen”, möchte Kubiena zur Nachahmung animieren.

Außerdem „wenden die Mediziner dort auch ungewöhnliche Heilmethoden an”. Die mutige Stadträtin bricht eine Lanze für die von so manchen Schulmedizinergruppen nach wie vor bekämpften Naturheilmethoden. So befürwortet sie etwa die Methoden der Heileurhytmie und Homöopathie, allerdings nur, „wenn diese von qualifizierter Medizinerhand kritisch angewendet werden und zum subjektiven Wohlbefinden des Patienten beitragen”.

Kritisch unter die Lupe nimmt Kubiena auch die Aufteilung der Klassengebühren in Österreich: „Das ist Symptom für die Hierarchie”. Allzu oft erhalte der Chef einen hohen Betrag, auch wenn er nicht operiere. „Da müßte man sich anders orientieren”.

Immerhin regt sich doch seit geraumer Zeit Menschliches im Spitalszimmer. So hat beispielsweise ein Vorstand in einem Wiener Krankenhaus für seine Abteilung sang- und klanglos die offene Besuchszeit eingeführt. Der Primarius motiviert von sich aus die Angehörigen, zu kommen und zu gehen, wie immer sie es eben mit ihren beruflichen und sonstigen Verpflichtungen vereinbaren können.

Er führt lange Gespräche mit ihnen und erklärt ausführlich die Krankheitssituation. Seine Station hat kleine Zimmer, die Schwestern werden zu persönlichem Kontakt mit Patient und Angehörigen angehalten und sogar Kinder können zu Besuch kommen, wenn es die Krankheit des Patienten erlaubt.

Ziel des fortschrittlichen Mediziners: schnelleres Gesunden seiner Patienten durch Uberwindung der Fremdheit im Spital und durch Schaffung einer familienähnlichen Situation.

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