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Gravitationszentrum Wien

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Das Europa der Regionen macht Fortschritte und fördert damit die Integration des Kontinents insge- samt: am vergangenen Sonntag trat die sogenannte „Pentagonale" mit dem Wiener Treffen der stellver- tretenden Regierungschefs Öster- reichs, Italiens, Ungarns, Jugosla- wiens und der CSFR in eine neue Phase. Gastgeber war Vizekanzler Josef Riegler, nachdem eine Woche davor Außenminister Alois Mock seine Amtskollegen ebenfalls in Wien versammelt hatte.

Ziel dieser regionalen Zusam- menarbeit ist die Verwirklichung konkreter Projekte in Bereichen, in denen gegenüber einer bilateralen Kooperation Vorteile, zum Beispiel durch eine notwendige Koordina- tion in Umwelt- und Transportfra- gen, erwartet werden können. Es handelt sich also um eine projekt- bezogene Zusammenarbeit in der Absicht, die Atmosphäre in Europa weiter zu verbessern, den KSZE- Prozeß zu stärken und so auch die Entwicklung zur Einheit Europas zu vertiefen.

Die erst im November 1989 ein- geleitete regionale Zusammenar- beit kann bereits mit konkreten Projekten aufwarten: so beschlos- sen die stellvertretenden Minister- präsidenten nach reger Vorarbeit der Experten im Bereich Umwelt unter anderem den Ausbau eines EDV-gestützten Informationssy- stems über umweltrelevante Da- ten, die Zusammenarbeit bei der Abfallbeseitigung und bei der Er-

richtung von Naturparks über staatliche Grenzen hinweg.

Die Frage der Sicherheit bei Kernkraftwerken dagegen enthielt eine gewisse Sprengkraft, die auch in der innenpolitischen Situation etwa Österreichs und der CSFR begründet ist.

Im Arbeitsbereich Klein- und Mittelbetriebe geht es darum, den

Übergang der osteuropäischen Länder zur sozialen Marktwirt- schaft zu fördern; daher der Be- schluß, unter anderem Informa- tionssysteme über relevante Daten für diese Betriebe aufzubauen.

Im Verkehrsbereich wurden be- reits Anfang März in Rom vor allem Fragen der regionalen Flugverbin- dungen - zum Beispiel auf österrei- chischen Wunsch die Eröffnung einer direkten Flugverbindung Villach-Vicenza-Genua - erörtert. Nach italienischen und jugoslawi- schen Vorstellungen soll die Bedeu- tung der Mittelmeerhäfen gegen- über Nordeuropa gehoben werden.

Im Bereich Information und Te- lekommunikation wurden der Aus- tausch von Journalisten und Trai- ningsprogramme für Jungjournali- sten wohl mit dem Ziel vereinbart, die demokratische Entwicklung der reformwilligen Länder Europas zu fördern.

Die Pentagonale sollte sich in die

europäischen Integrationsbestre- bungen ebenso einordnen wie in die Bemühungen um ein neues Sicher- heitssystem im Rahmen der KSZE. Dies hindert Österreichs Bestre- bung, Vollmitglied der Europäi- schen Gemeinschaften zu werden, keineswegs; im Gegenteil - zumal die ehemaligen osteuropäischen Staaten ebenfalls langfristig auf Brüssel blicken.

Europa dürfte in der Zukunft von mehreren Gravitationszentren (wie Paris, Berlin, Brüssel, Rom, War- schau, Budapest) aus gestaltet wer- den, und da hat auch Wien die Chance, aufgrund seiner kulturel- len und geistigen Ausstrahlung auf die Nachbarn eben ein derartiges Zentrum zu werden. Für die Teil- nehmer der Pentagonale war es nur natürlich, sich auch um einen koor- dinierten Standpunkt zu Demokra- tie- und Menschehrechtsfragen, zum wirtschaftlichen und sozialen Wohlergehen der Bürger im KSZE- Prozeß zu bemühen.

Potentiellen Konfliktstoff birgt dabei die Frage der nationalen Minderheiten in sich, sodaß bereits anfang Juni bei der KSZE-Men- schenrechtskonferenz in Kopenha- gen eine gemeinsame Initiative zum Schutz der Minderheiten ergriffen werden soll.

Ein vorläufiger Gipfelpunkt wird das Treffen der Regierungschefs der Pentagonale am 1. August in Vene- dig sein, auf dem auch ein Drei- Jahresprogramm beschlossen wer- den soll.

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