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Grenada — ein Jahr nach der US-Intervention

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Am 25. Oktober, dem Jahrestag der amerikanischen Landung auf Grenada, soll der neue Großflughafen Point Salines offiziell eröffnet werden. Seine Feuertaufe hatte er bereits im vorigen Jahr erhalten.

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Am 25. Oktober, dem Jahrestag der amerikanischen Landung auf Grenada, soll der neue Großflughafen Point Salines offiziell eröffnet werden. Seine Feuertaufe hatte er bereits im vorigen Jahr erhalten.

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Damals setzten amerikanische Kampfhubschrauber eine alliierte Streitmacht von US-Truppen und Soldaten karibi-scher Nachbarstaaten auf die halbfertige Betonpiste ab. Der Invasion war ein Staatsstreich in der Inselhauptstadt St. Georges vorausgegangen: Regierungschef Maurice Bishop, ein Günstling Fidel Castros, war von seinen Stellvertretern Coard und General Austin gestürzt und ermordet worden.

500 amerikanische Medizinstudenten auf Grenada, so verlautete aus Washington, hätten vor dem Zugriff der Putschisten geschützt werden müssen. Aber nicht nur die drohende Wende zu einem noch radikaleren Regime, sondern das Flughafenprojekt auf Grenada hatte die Amerikaner beunruhigt.

In den Augen Washingtons war die Insel ein Satellit Kubas, neben Nikaragua ein Stützpunkt im ka-ribischen Castro-Dreieck. Bereits früher waren kubanische Transportmaschinen auf dem Weg nach Angola auf Grenada zwischengelandet. Die Piste des alten Flughafens Pearls war für Düsenmaschinen zu kurz.

Im März 1979 hatte Maurice Bishop mit kubanischer Assistenz das Regime des Westentaschendiktators Sir Eric Gairy zu Fall gebracht. Die sozialistische Revolutionsregierung, die den Bau des neuen Flughafens als „das größte und teuerste Projekt in der Geschichte Grenadas" verkündete, wollte sich nicht von der Konkurrenz der Nachbarinseln ausstechen lassen und verwies auf den Nachbarstaat St. Lucia, der auch einen Düsenflughafen bekommen hatte. Der geplante Flughafen von Point Salines solle dem Tourismus und der Wirtschaft dienen.

Ursprünglich hatte sich Grenada an den Internationalen Währungsfonds und an die Europäische Gemeinschaft gewandt. Auf Betreiben Washingtons wurden Grenadas Kreditwünsche aber abgelehnt. Die Nordamerikaner meinten, Point Salines könne zu einer militärischen Nachschubbasis, zu einem Sprungbrett östlicher Aktivitäten in der Karibik werden. Von hier aus ließe sich im Konfliktfall der Schiffsverkehr zwischen Süd- und Nordamerika stören. In der Nähe liegen auch die venezolanischen Erdölfelder.

Den Löwenanteil der finanziellen und technischen Hilfe übernahm Kuba mit 90 Millionen Dollar. 50 Millionen Dollar kamen aus radikalen arabischen Ländern wie Libyen, Irak, Algerien und Syrien. Sechs Millionen Dollar der Europäischen Gemeinschaft nahmen sich dagegen bescheiden aus.

Vornehmlich Kubaner, außerdem Sowjetrussen, Ostdeutsche und Tschechoslowaken, wurden für den Bau des Flughafens herangezogen. Bis Ende 1983 sollte des Projekt abgeschlossen sein.

Für viele Europäer war Grenada bis zum 25. Oktober vorigen Jahres ein böhmisches Dorf. Die südlichste Insel der Kleinen Antillen ist mit ihren beiden Nebeninseln Carriacuo und Petit Martinique kleiner als der Pyrenäenstaat Andorra. Kolumbus, der das Eiland auf seiner dritten Amerikareise im Jahre 1498 entdeckte, benannte es vermutlich nach dem andalusischen Granada.

Nach vierhundertjähriger Kolonialzeit war Grenada 1974 unabhängig geworden; es ist seither „more on the map", wie die vorwiegend schwarzen Bewohner karibischer Ministaaten zu sagen pflegen. Aber erst die amerikanische Intervention und die Schlagzeilen der Weltpresse haben Grenada „mehr auf die Landkarte" gebracht.

Einst hatten sich Franzosen und Briten um das Eiland gebalgt. Kriegerische Karibenstämme hatten die Europäer lange daran gehindert, Grenada zu besiedeln. Als schließlich die Ubermacht der europäischen Feuerwaffen obsiegte, begingen die letzten Kariben Selbstmord. Die europäischen Pflanzer beschafften sich schwarze Arbeitskräfte aus Afrika.

Auf dem vulkanischen Inselboden gedeiht neben vielen einheimischen und eingeführten Tropenpflanzen vor allem die Muskatnuß. Der Anbau dieses Gewürzes dominiert in einem Maße, daß humorvolle Geister im Unabhängigkeitsjahr vorschlugen, die Muskatnuß als Flaggenemblem zu verwenden. Und so geschah es denn auch.

Noch vor der touristischen Erschließung hatten Filmgesellschaften die schöne Insel entdeckt. Grenada wurde zum Schauplatz des Hollywoodstreifens „Island in the sun". Mit diesem Film, mehr noch mit dem gleichnamigen Schlager wurde Harry Belafonte weltberühmt.

Nostalgie, Heimweh, die Sehnsucht nach einer heilen Inselwelt werden rührend artikuliert und von Steelbands, Combos, bekannten und unbekannten Sängern ständig variiert. Daraus ist ein Ohrwurm, ein karibisches Heimatlied geworden.

Jahrelang freilich klang das Lied von der „Insel in der Sonne" eher wie Hohn, nicht nur, weil Grenada zu den ärmsten Inseln der Karibik gehört, sondern weil der junge Inselstaat von Männern regiert wurde, die es mit den Menschenrechten nicht so genau nahmen.

Unter Eric Gairy wie auch unter Maurice Bishop verschwanden Oppositionelle auf rätselhafte Weise, wurde eine freie Meinung nicht geduldet. Um so mehr blühte ein Führerkult, der an Graham Greenes „Komödianten" und George Orwells „großen Bruder" erinnerte.

Der Volksgesang Calypso, dessen kritische Anspielungen niemanden ungeschoren lassen, verkam zu humorloser Lobhudelei und Agitation. In den Hotels sah man nicht viele Gäste, aber hin und wieder kamen Minister und Funktionäre, umgeben von ihren Aufpassern, um feudal zu speisen und sich an Alkoholika zu laben.

Auf viele Besucher, vor allem auf Kreuzfahrttouristen, wirkt die Insel wie ein Paradies. Es will nicht recht einleuchten, daß Grenada den armen Entwicklungsländern der Vierten Welt angehört. Auf der Insel leben rund 110.000 Grenadiner, dagegen viermal mehr im Ausland. Viele Insulaner leben von Geldüberweisungen ihrer Angehörigen auf Trinidad, Barbados, auf den Niederländischen und Französischen Antillen, in Venezuela, England, den USA und Kanada.

Die von östlichen Lebensmustern wenig erbauten, eher anglo-philen Grenadiner hoffen nun, daß Karibikreisende nicht länger einen Bogen um ihre schöne Insel machen. Der mit US-Hilfe fertiggestellte Düsenflughafen soll den Anschluß an den Fremdenverkehr herstellen. Eine ruhigere politische Entwicklung in demokratischen Bahnen verspricht man sich von den Parlamentswahlen, die für den 3. Dezember auf Grenada angesetzt wurden.

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