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Grenzenloser Appetit

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Seit Ende Jänner sorgte Italiens MultiUnternehmer Carlo De Benedetti für Aufregung in Europas Finanz- und Wirtschaftswelt. Trachtete der erfolgreiche Konzernherr aus Mailand (Olivetti) doch nach der Kontrolle über den größten belgischen Konzern, die „Societe Generale de Belgique“. Der Ausverkauf dieses altehrwürdigen Unternehmens — mit 1.200 Unternehmen den belgischen Markt im Energiebereich, bei Waffen, Diamanten und Banken beherrschend — konnte dieser Tage nur durch das entschlossene Handeln eines Konsortiums französischer, belgischer und luxemburgischer Anteüseigner verhindert werden.

Spektakuläre Unternehmensaufkäufe dieser Größenordnung sind in Europa gang und gäbe. Der endgültige Wegfall aller Schranken mit der Verwirklichung des Binnenmarktes 1992 wird die EG noch mehr zum offenen Feld für unternehmerische Konkurrenzkämpfe dieser Art machen.

Der Londoner „Economist“ beschäftigte sich erst vor kurzem mit solchen Mammuthochzeiten und den Auswirkungen auf Europas Wirtschaft. Italiens Zuckerkonzern Ferruzzi beispielsweise gelang die Kontrolle über Frankreichs größten Speiseölerzeuger Lesieur. Gleichzeitig kam der größte französische Zuckerproduzent Beghin-Say unter italienische Aufsicht. Nur knapp, heißt es im „Economist“, scheiterte der Verkauf des Kognac-Erzeugers Martell an den britischen Multi Grand Metropolitan. Das Rennen machte der kanadische Whiskyerzeuger Seagrams. Frankreichs größter Schnittbroterzeuger Jac-quet wiederum erwarb die größte bundesdeutsche Bäckerei für Haltbarbrot, Rugenberger.

Keine Frage, Europas Nahrungsmittelindustrie wird tiefgreifend umgestaltet. Daß dabei auch Auswirkungen auf die gesamte politische und soziale Struktur des Kontinents zu erwarten sind, macht eine Studie der OECD in Paris klar. „Die Regierungen werden sich daran gewöhnen müssen, ihre Wähler mit unliebsamen Veränderungen vertraut zu machen“, erklärt dazu OECD-Generalsekretär Jean-Claude Paye in einer Presseaussendung. „Wenn man Bereiche wie die Landwirtschaft ständig subventionieren muß und gleichzeitig mit einer hohen Arbeitslosenquote zu kämpfen hat - im EG-Durchschnitt elf Prozent -, so schlägt sich das unmittelbar auf die Preise und somit auf die Konkurrenzfähigkeit durch“, stellt dazu Richard O'Brien, führender Manager der American Express Bank in London, fest.

Im Noch-nicht-Mitgliedsland Osterreich stellt man sich inzwischen die bange Frage, ob unsere

Nahrungsmittelindustrie in einem offenen Schlagabtausch mit der Konkurrenz überhaupt bestehen könnte. Die derzeitige Kostenstruktur wäre jedenfalls bei offenen Wirtschaftsgrenzen nicht mehr zu halten. Immerhin gut die Alpenrepublik bei den Grundnahrungsmitteln als Hochpreisland (FURCHE 2/1988).

Die großen Handelsketten wie Aldi oder Metro in der Bundesrepublik Deutschland, Salisbury und Tesco in Großbritannien und Carrefour und Leclerc in Frankreich konnten jedenfalls trotz landwirtschaftlicher Uberschüsse und Preisverfall ihre Marktpositionen weiter stärken. Ihre Hauptaktivität geht seit einigen Jahren in die Richtung, immer mehr Konsumenten zu immer teureren exotischen und — dem geänderten Gesundheitsbewußtsein folgend — gesünderen Nahrungsmitteln zu verlocken. Entsprechend hoch sind die Werbebudgets dieser Firmen dotiert.

Als Giganten der internationalen Nahrungsmittelkonzerne gelten nach Untersuchungen des französischen Agrarforschungs-unternehmens „Agrodata“ der britisch-holländische Konzern Unilever und die schweizerische Nestle. Mit Abstand folgen dann Firmen wie die französische BSN-Danone oder die italienische Ferruzzi.

Während nun kleine und mittlere Firmen — auch in Osterreich — mehr über ihre Grenzen hinweg zu denken und zu investieren lernen, exerzieren die Riesenkonzerne bereits die neuen Dimensionen vor.

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