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Grenzenloser Fernsehmarkt
Die Verständigung der Völker bedarf freier Medien, die Informa- tionsvielfalt sichern und auch je- nen, die im Konzert der Macht und Finanzkraft nicht den Ton ange- ben, ihre Stimme verleihen, damit auch sie ihre Anliegen den Völkern Europas kundtun können.
Doch Europas Medienpolitik wird finanzkräftigen Medienkonzernen überlassen, die überwiegend Kom- merzinteressen nachgehen.Nicht zufällig ist Fernsehen der einzige Medienbereich, der von der EG als regelungswürdig befunden wird. Hier ist viel Kapital erforderlich und nur großräumige Verwertung sichert Gewinne, sodaß Medienma- gnaten um Konsumenten und Wer- beumsätze in ganz Europa kämp- fen.
Im vorigen Sommer wurde die EG-Fernsehrichtlinie beschlossen. Daß die EG fast nur auf wirtschaft- liche Tätigkeiten ausgerichtet ist, läßt sich auch hier ablesen.
Fernsehen wird nur als Dienst- leistung angesehen und fällt unter die Dienstleistungsfreiheit. Die wichtigsten Bestimmungen, die bis 3. Oktober 1991 in nationales Recht umzusetzen sind:
• Der freie Empfang und die freie Weiterverbreitung (zum Beispiel über Kabelnetze) der Ware Fern- sehsendung aus anderen Mitglie- derstaaten sind ohne Beschränkun- gen zu ermöglichen. Ein Staat kann zwar einheimische Fernsehveran- stalter mit strengeren Maßstäben messen, wird es im Alleingang kaum tun, da private Programme aus dem Ausland trotzdem nur den EG-Min- deststandard beachten müssen.
• Der Hauptanteil der Sendezeit, die nicht aus Nachrichten, Sport- berichten, Spielshows oder Wer- bung und Videotext besteht, ist europäischen Werken vorzubehal- ten. Mindesten 10 Prozent sind von Herstellern zu beziehen, die nicht vom Fernsehveranstalter abhängen.
• Werbung darf im Durchschnitt 15 Prozent der Sendezeit in An- spruchnehmen. Rassendiskriminie- rung, Verletzung religiöser oder politischer Überzeugung ist verbo- ten, Kinder sind in ihrer physischen und psychischen Gesundheit zu schützen.
• Recht auf Gegendarstellung. Die Fernseh-Konvention des Euro- parates stellt im Gegensatz zur EG das Gewicht auf Würde und Grund- freiheiten des Menschen, Gegen- darstellungsrecht, Zugang der Öf- fentlichkeit zu wesentlichen Ereig- nissen und propagiert einen ange- messenen Anteil an Sendungen, welche die künstlerischen Aus- drucksmöglichkeiten und das Erbe sowie die kulturelle Vielfalt Euro- pas fördern. Doch ordnet sich diese Konvention freiwillig der EG-Re- gelung unter und bleibt unverbind- liche Sonntagsrede.
Die öffentlich-rechtlichen Sen- der fühlen sich durch die EG-Richt- linien benachteiligt, weil der Auf- trag nach umfassender Information, Förderung von Kultur, Wissen- schaft und Volksbildung, dem sie unterliegen, keinerlei Berücksich- tigung findet. Sie beklagen diese Tendenz weg vom „Treuhandmo- dell", das ein Recht des Bürgers nach hochwertigem Programm ein- zulösen verspricht, hin zum reinen „Marktmodell", das nur das ver- breitet, was sich gut verkaufen läßt.
Journalistengewerkschaften, so auch die deutsche Mediengewerk- schaft, kritisieren, daß die weitere Ausdehnung transnationaler Me- dienkonzerne nicht eingeschränkt wird, obwohl in vielen Bereichen Doppelmonopole im Zeitungs- und Rundfunkbereich bestehen und das Bürgerrecht auf freie Information unternehmerischen Interessen zum Op- fer falle. Entgegen ursprünglichen Ab- sichten fehle die Re- gelung der Urheber- rechte.
Die deutsche IG Medien fordert:
• Gesetze auf euro- päischer Ebene, die das Recht auf freie Information und Unabhängigkeit von politischen und un- ternehmerischen In- teressen sichere.
• Ein europäisches Kartellgesetz um rücksichtslose Aus- dehnung internatio- naler Medienkon- zerne zu verhindern.
• Sicherung und Ausbau des öffent- lich-rechtlichen Rundfunks.
Unterdessen wird Fernsehen vom „freien Spiel des Marktes" be- herrscht. Durch pri- vate Sender erhöht sich der Programm- bedarf und entspre- chend steigen die Preise. So konnte die Europäische Rund- funk Union, eine Ko- operation der öf f ent- lich-rechtlichen Sender, im vorigen Jahr die Übertra- gungsrechte für das Wimbledon-Tennis Turnier sich nicht mehr leisten. Rigide Sparmaßnahmen sind die Folge.In der BRD beispielsweise droht dem Dortmun- der Lokalfernsehen, entstanden aus dem einzigen von öffent- licher Hand finan- zierten „offenen Kanal", gar der Ver- kauf an die Berlus- coni-Gruppe. Eine Demonstration der Dortmunder am 8. März konnte den Verkauf eines der wenigen Experi- mente bürgernahen Fernsehens vorerst verhindern.Für poli- tische Ansprüche eines geeinten Euro- pas mündiger Bür- ger, bleibt in naher Zukunft offenbar nicht mehr viel übrig.
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