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Grenzgänger auf geradem Weg

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Der schwarze Einband des neuen Buches, das Norbert Leser vorlegt, signalisiert zunächst eindringlich, daß es der Beschwörung der Geister Abgeschiedener gewidmet ist. „Schwarz" steht (oder stand durch ein Jahrhundert), aber auch in der politischen Farbenlehre Österreichs für alle jene, die sich im öffentlichen Leben als Katholiken bekennen und mit mehr oder weniger tauglichen Mitteln versuchten und versuchen, die Lehren ihrer Kirche im

Alltag zu verwirklichen und ihnen in der Gesellschaft Geltung zu verschaffen.

Und in der Tat: Die sieben Männer, welche Leser in diesem Buch einer allzu rasch vergeßlichen Mit- und einer oft ahnungslosen Nachwelt in ihrer Bedeutung für das österreichische Geistesleben der Ersten und Zweiten Republik in Erinnerung rufen will, sind alle als getreue Söhne ihrer Kirche angetreten.

Ihr Lebensweg brachte so manchen von ihnen jedoch nicht nur in Konflikt mit dem katholischen Milieu ihrer Zeit, sondern fand oft auch Unverständnis bei hohen und weniger hohen Amtsträgern der Kirche, ja deren Tadel. Im historischen Rückblick erweist sich erst ihre prophetische Existenz. Leser nennt sie deshalb „Grenzgänger".

Das Wort trifft im besonderen für Ernst Karl Winter zu, den großen Unbequemen des österreichischen Katholizismus der Ersten Republik und Bannbrecher eines Dialogs zwischen Konservativismus und Sozialismus sowohl im geistigen wie auch im politischen Raum. Auch für August Maria Knoll und Alfred Missong, den Kampfgefährten Winters aus dessen Jugendtagen in der gemeinsam gegründeten „österreichischen Aktion", mag es stimmen.

Ein „Grenzgänger" war auch August Zechmeister, der sich mit seiner ganzen Existenz einem christlich begründeten utopischen Sozialismus verschrieb. Vielleicht ist es auch erlaubt, Otto Mauer unter diesem Titel zu sub-summieren, insbesondere, wenn man seine Bemühungen, der modernen Kunst und den Künstlern der Moderne in der Kirche Raum zu schaffen, miteinbezieht.

Aber Gustav E. Kafka und Rene Marcic? Beiden ist mit den Vorgenannten nur gemeinsam, daß sie den Lebensweg des Autors kreuzten, als Lehrer oder Kollege Leser bleibende persönliche Eindrücke vermittelten und bei aller persönlichen Grundsatztreue durch ihre gelebte Toleranz sein Denken nachhaltig beeinflußten bzw. verschiedene noch vorhandene Vorurteile gegen Vertreter einer konservativen Geistes- und Gesellschaftslehre korrigieren halfen.

Das einzig „grenzgängerische" an Gustav E. Kafka war, daß der geborene Deutsche und engagierte Gegner des Dritten Reiches nicht nur in Graz sein spätes akademisches Wirkungsfeld fand, sondern sich auch geistig fest in Österreich eingewurzelt hat. Rene Marcic wird aber wegen seines frühen und tragischen Heimgangs vom Autor zurückschauend an der Grenze zwischen Leben und Tod beheimatet gesehen.

Alle sieben Männer haben den Lebensweg Lesers gekreuzt und ihren Beitrag zu seiner eigenen geistigen Reife geleistet. Das vorliegende Buch hat somit auch den Charakter der Abstattung einer Dankesschuld.

Dazu kommt noch etwas: Der schon aus Familientradition in der „linken Reichshälfte" beheimatete Autor bekannte sich schon früh als Katholik. Das war in einer Zeit, in der ein solches Bekenntnis im Gegensatz zu jeder tagespolitischen Opportunität stand und frei von dem Verdacht politischer Taktik war. Er erkannte und erkennt sich selbst als echten „Grenzgänger".

Der Sozialdemokrat Leser ist als Katholik zu einem Rufer gegen jede Etablierung eines linken Integralismus und zum Mahner gegenüber der allzu vorschnellen Aufgabe des Mysteriums und der Anpassung an einen allzu kurzlebigen Zeitgeist geworden.

Deshalb soll man das vorliegende Buch, in dem der Universitätsprofessor für Politikwissenschaft an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien sein Talent zum geschliffenen Essay erneut unter Beweis stellt, nicht allein als eine Beschwörung von guten Geistern, welche Werkleute am geistigen Fundament der Zweiten Republik waren oder das geistige Antlitz des Österreich der Gegenwart mitprägten, verstehen.

Kardinal Franz König hat das vorliegende Buch mit einem Vorwort ausgezeichnet. Friedrich Heer ist gerne bereit gewesen, ein Nachwort zu verfassen. Dazwischen Norbert Leser. Genaugenommen markiert dies, daß es kein Grenzweg ist, den der Autor eingeschlagen hat, sondern daß er in Loyalität, aber mit christlichem Freimut den geraden Weg geht - dem „Herz aller Dinge" entgegen.

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