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Grenzland-Impulse

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30 Jahre unbeachtet, eine tote Grenze im Norden, den größten Truppenübungsplatz inmitten und die innere Resignation im Herzen. Diese Ausgangssituation fand ich vor dreieinhalb Jahren nach meiner Bestellung vor.

Das Problem der Uberproduktion in der Landwirtschaft ist in Ungunstlagen doppelt spürbar. Wenn im Marchfeld die Ernte längst abgeschlossen ist, kann der erste Bauer im Waldviertel mit dem Einbringen der Frucht beginnen. Durch diese Verspätung findet der Waldviertler Landwirt verstopfte Märkte und hat außer dem meist geringeren Hektarertrag einen zusätzlichen Nachteil durch niedrigeren Preis.

Wir überlegten zunächst, welche Produkte im Waldviertel in der Vergangenheit angebaut wurden. Dabei stellten wir fest, daß die traditionellen Bodenfrüchte wie Mohn, Lein und verschiedene Heil- und Gewürzkräuter wegen des hohen Anteils an Handarbeit in Vergessenheit gerieten. Nachdem wir uns über die Absatzmöglichkeiten informiert hatten, begannen wir diese Alternativen wieder heimisch zu machen.

Zur ersten Informationstagung erschienen trotz 1500 persönlichen Einladungen und Werbung über Presse und Rundfunk gezählte drei Bauern. In einer Unzahl von Vorträgen und Einzelgesprächen wurden und werden Landwirte aber direkt angesprochen. Gemeinsam mit den Schülern konstruierten die Lehrer der Fachschule Edelhof verschiedene Bearbeitungsmaschinen, um die beschwerliche Handarbeit zu erleichtern. Gleichzeitig wurden verschiedene Früchte im Feldanbau erprobt.

Dabei konnte bei den Heil- und Gewürzkräutern ein wesentlich höherer Gehalt an Inhaltsstoffen als in anderen Anbaugebieten festgestellt werden. Dies ist auf die lange Wachstumsperiode und den hohen Taufall zurückzuführen. Mit interessierten Firmen wurde Kontakt aufgenommen, um für eine organisierte Vermarktung zu sorgen. Heute gibt es rund tausend Hektar Sonderkulturen im Waldviertel, die zwar keine landwirtschaftspolitische Bedeutung haben, aber dem einzelnen Betrieb ein ordentliches Einkommen ermöglichen.

Gesteigerte Bedeutung gewinnt im Zuge der Gesundheits- und Umweltschutzwelle der biologische Landbau. Durch diese Wirtschaftsform und eine geschickte Vermarktungspolitik ist es möglich, mit einem 17-ha-Betrieb zwei Familien Arbeit und Einkommen zu sichern.

Landwirtschaftliche Alternativen auf dem tierischen Sektor stellen die Schaf-, Enten- und Gänsezucht dar, um nur einige aufzuzählen. Wichtig ist für die Zukunft, daß der einzelne Betrieb flexibel arbeitet, um rasch auf die jeweilige Marktsituation zu reagieren.

„Wannst a Superskigelände suachst oder Summer, Sun', Strand und an Hauf'n Leit brauchst, dann bist bei uns verkehrt!“ So könnte . die Fremdenverkehrsparole des

Waldviertels lauten. Daher versuchen wir mit einer Unzahl.von alternativen Urlaubsformen spezielle Gästeschichten zu gewinnen. So existieren seit eineinhalb Jahren ein 1.500 km langes, markiertes Reitwegenetz, ein Waldviertler Radl-Rundweg mit einer Streckenlänge von 375 km und eine Unzahl von Wanderwegen.

Nicht zu übersehen ist der Gesundheitstourismus mit den Moorbädern Harbach und Bad Großpertholz, Großgerungs, dem Herz- und Kreislaufrehabilitationszentrum und dem brandneuen Biotrainingszentrum des Willi Dungl in Gars am Kamp. Mit diesem Haus wird eine wichtige Querverbindung zur Landwirtschaft hergestellt, da die Einkaufspolitik des Hauses Waldviertler Produkte bevorzugt.

Als der Tip schlechthin wird das Waldviertel bei den touristengeplagten Westösterreichern und gestreßten Managern als der Ort zum Relaxen gehandelt. Das Waldviertel wird von der europäischen Raumordnungskonferenz als eines der letzten intakten Urlaubs- und Erholungsgebiete bezeichnet, und die Verwirklichung meiner Vision würde so aussehen: Der gestreßte Manager aus den europäischen Industriezentren wandert, radelt oder reitet durch das Waldviertel, erfreut sich an den blühenden Mohnfeldern und Leinfeldern und plaudert am Abend im Dorfgasthaus mit den Waldviertlern.

Große Probleme hat, mehr denn je, natürlich auch der traditionelle Kleinhandwerksbetrieb. Während die Produktion reibungslos abläuft, fehlen meist geeignete

Absatzwege, oder es mangelt einfach an der Organisation.

Bei den Sägewerken hat sich die, Gründung eines Vereines mit 25 Mitgliedsbetrieben bewährt. Die Geschäftsführerin, Gerti Müllner, versucht, Geschäftsbeziehungen im In- und Ausland aufzubauen und vermittelt diese an die Betriebe weiter. Meisterstück ist sicher die Gründung einer Gesellschaft in Mailand mit direktem Verkauf an den italienischen Endverbraucher.

Diese Aktivitäten sind aber erst der Beginn einer Gesundung des Waldviertels. Aber ein bekannter Dichter sagt: „Jede Reise, und mag sie auch noch so weit sein, beginnt mit einem Schritt.“

Der Autor ist Landesbeauftragter für das Waldviertel.

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