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Grenzland weiter das Sorgenkind

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Jubel in Niederösterreich: Die vorläufige Auswertung der Volkszählungsergebnisse vom 12. Mai hat ergeben, daß der seit 1945 anhaltende Bevölkerungsrückgang im größten Bundesland gestoppt scheint. Mit vorläufig gezählten 1,439.561 blaugelben Landesbürgern ist sogar eine Zunahme von 25.400 Bewohnern zu verzeichnen. Was Wien drohen wird - eine Abwanderung von Nationalratsmandaten -, dürfte Niederösterreich erspart bleiben.

Das gute Gesamtergebnis kann allerdings nicht über die vielen ungelösten Probleme hinwegtäuschen, die sich dahinter verbergen.

Die 21 politischen Bezirke im Land unter der Enns teilen sich nämlich in 11 „Zuwachsbezirke“ und zehn Bezirke mit durch die Volkszählung dokumentiertem Bevölkerungsschwund. Und die zehn „Schwundbezirke“ umzirkeln genau jene Problemgebiete, an denen Niederösterreich schon immer laboriert: Das Grenzland und die in den letzten Jahren durch Strukturüberalterung zu Problemgebieten gewordenen alten Industriezonen südlich von Wien.

Die stärksten Bevölkerungszuwächse lassen sich im näheren und ferneren Umland von Wien ablesen.

Hier führt mit einem geradezu gewaltigen Zuwachs der Bezirk Mödling mit einem Plus von 16,8 Prozent. Es folgen Wien-Umgebung (+ 7,6 %), Wiener Neustadt (+ 7,1 %), Tulln (+ 6,6 %), St. Pölten (+ 5 %) und Baden (+ 4,8 %) sowie Korneuburg (+ 3,7 %).

Überraschend stark auch die Zuwächse in den eher von Wien entfernten und doch überwiegend agrarisch strukturierten Bezirken Amstetten (+ 3,5 %) und Scheibbs (+• 3,6 %). Die Bezirke Melk mit 1,4 % und Gänserndorf mit 0,1 % hingegen weisen eher geringes Bevölkerungswachstum auf.

Der Bezirk mit dem meisten Bevölkerungsschwund ist Hollabrunn mit einem Minus von 7,3 Prozent. An diesen Weinviertier Bezirk schließt sich Gmünd, Grenzlandbezirk im obersten Waldviertel, mit einer Abnahme von 5,7 Prozent. Es folgen dann sofort die Waldviertler Bezirke Waidhofen/ Thaya (- 5,4 %) und Horn (- 5,2 %). Die Liste setzt dann der Weinviertier Bezirk Mistelbach mit einem Minus von 4,9 % fort, gefolgt vom Bezirk Lilienfeld (Alpenvorland, Traisental) mit minus 3,1 Prozent. Dann folgt Zwettl (- 2,6 %) im Waldviertel, Neunkirchen (Grenzbezirk zur Steiermark) mit — 2 %, der Bezirk Krems (Wachau, unteres Waldviertel) mit einem Minus von o,7 % und der Heimatbezirk des vormaligen Landeshauptmanns Andreas Maurer, Bruck an der Leitha, mit einem Abgang von 0,6 %.

Wie bereits erwähnt: Die „Abnahmebezirke“ rekrutieren sich überwiegend aus den Problemgebieten Niederösterreichs. Dazu gehört eben das ganze Waldviertel - ohne größere Industriezonen, somit ohne gesicherte Arbeitsplatzmöglichkeit. Das Traisental (Lilienfelder Bezirk) hatte in den letz

ten Jahren als altes Industrieland mit den Folgen der Stahlkrise zu kämpfen.

Einige Betriebe haben hier schließen müssen. Neunkirchen - südlich von Wiener Neustadt - war alter Industriebezirk. Leider wurde verabsäumt, rechtzeitig überalterte Industriestrukturen zu erneuern. Die Krise hat gutgehende Betriebe in den Zusammenbruch geführt (etwa die VEW in Ternitz, die Klimatechnik in Grünbach). Gänserndorf mit seiner geringen Zuwachsrate ist Pendlerbezirk, Bruck überwiegend Agrarbezirk.

Rund um Wien aber wurde bereits in den fünfziger Jahren der Industriegürtel Süd gelegt. Hier wurden Indu- strieansiedlungen vom Land und von den Gemeinden in jeder Weise gefördert. Daher zogen diese Bezirke wie Magneten Fach- und Industriearbeiter an. Es ist ein offenes Geheimnis in Niederösterreich, daß das Land nun unter diesem „Fabrikswasserkopf4 leidet, denn in Niederösterreich ansiedlungswillige Unternehmer gehen über diese Quasi-Bannmeile von Wien nicht hinaus. Ins Waldviertel oder ins Weinviertel „verirrt“ sich kaum ein größerer Betrieb (einige kamen wohl, kassierten alle Förderungsmittel der öffentlichen Hand - machten Pleite und verschwanden).

Wie sehr Industrie - also Arbeitsmöglichkeit - die Volkszählungsergebnisse beeinflussen kann, beweist die kleine Gemeinde Wiener Neudorf. Hier wuchs die Zahl der Gemeindebürger seit der Volkszählung 1971 um 95 Prozent! Der Bezirk Tulln hingegen weist in sich ein „Bevölkerungsgefälle“ auf. In seinem Anteil nördlich der Donau - überwiegend Agrarland - ein Schwund, der von einem Zuwachs südlich der Donau ausgeglichen und wettgemacht wird.

Soweit die regionalen Unterschiede und ihr Niederschlag in den Volkszählungsergebnissen.

Die Zunahme der blau-gelben Landesbürger ist aber nicht auf „natürliche“ Art erfolgt - durch Steigen der Geburtenrate. Sie ist dem Zuzug von Zweitwohnsitzern zu danken - vor allem solchen aus Wien -, die sich im Land unter der Enns zählen! ließen. Denn der bejubelten Bevölkerungszunahme steht eine erschreckende Geburtenbilanz gegenüber.

1980 - und dieses Jahr gilt als geburtenstark - wurden 16.016 Geburten notiert und 19.149 Todesfälle gezählt. Auch im „Super“-Bezirk Mödling standen 880 Geburten 1.175 Todesfällen gegenüber, in Wien Umgebung 755 Geburten 1.299 Todesfällen.

Typische Zweitwohnsitzer-Gemein- den rund um Wien haben den höchsten Zuwachs: Breitenfurth + 33,8 %; Gaa- den + 30 %; Gießhübel + 53,3 % usw.

Rein politisch hat Niederösterreich also das Gerangel mit Wien um die Zweitwohnsitzer gewonnen. Die anstehenden Probleme sind durch die Volkszählung eher deutlicher geworden.

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