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Grenzsozialismus…

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Vergebens kämpfte der slowenische Triestiner Professor Samo Pahor um das Recht, mit den Verwaltungsund Gerichtsorganen in slowenischer Sprache verkehren zu dürfen, wie es ihm gemäß Artikel 5 des Sonderstatuts des ehemaligen Freien Territoriums Triest zusteht, das im Londoner Abkommen von 1954 verankert ist.

Professor Samo Pähör weigerte sich, einem Triestiner Polizisten seine Dokumente vorzuweisen und tat dies erst, als ein anderer Polizist hinzutrat und von ihm auf Slowenisch die Dokumente verlangte. Dann verurteilte aber ein Triestiner Gericht den Professor zu achtzigtausend Lire Geldstrafe, und zwar gemäß dem unter Mussolini erlassenen Artikel 137 der Strafprozeßordnung aus dem Jahre 1933, der den italienischen Staatsbürgern befiehlt, mit den Behörden und mit den Gerichten nur in italienischer Sprache zu verkehren.

Da das Triestiner Abkommen und das Südtiroler Paket gleichrangig sind, könnten derzeit auch Südtiroler wegen des Gebrauchs der deutschen Sprache zu Geldstrafen verurteilt werden, falls Emotionen oder politische Erwägungen das zu verlangen scheinen. Doch damit ist die Geschichte des Triestiner Professors noch nicht zu Ende. Das Finanzamt verfügte die Pfändung zweier Aquarelle von Robert Hlavaty in der Wohnung des Professors, der seine Steuer nur auf einem zweisprachigen Steuererlagschein zu begleichen bereit war, den ihm das Finanzamt nicht zur Verfügung stellte, wozu es nämlich nach dem besagten Artikel verpflichtet gewesen wäre.

Doch nicht nur diese Episode am Rande regt die Slowenen in Italien und im benachbarten Jugoslawien auf. Vittorio Vidali, kommunistischer Senator und in der Zeit zwischen 1948 und 1955 Sekretär der KP von Triest, veröffentlichte im vergangenen Jahr seine Memoiren unter dem Titel „Das Tagebuch des XX. Kongresses” (gemeint ist jener Kongreß der russischen KP, auf dem Stalins Persönlichkeitskult verurteilt wurde), womit er in Jugoslawien ein Unbehagen auslöste, das sogar in dem ideologisch „gehobenen” Parteiorgan „Komunist” seinen Niederschlag fand. Vittorio Vidali, einer jener Aktivisten, die bis zum Ende an Stalins Unfehlbarkeit glaubten, stellt sich in seinen Memoiren als Büßer hin und versucht, in seiner Selbstkritik bis ans bittere Ende zu gehen. Er äußert die Überzeugung, daß Stalin die jugoslawischen Parteiführer im Jahre 1948 hätte ermorden lassen, wenn sie sich nicht vorgesehen hätten. Daß ferner die jugoslawischen Parteiführer recht hatten, wenn sie damals nicht nach Bukarest kommen wollten, denn dort hätten sie wahrscheinlich ein schlimmes Ende gefunden. Die Resolution des Kom- inform gegen Jugoslawien in demselben Jahre sei eine „schamlose, verleumderische; ..Hetze” , gewesen, wie Vidali inzwischen erkannt hat.

Dennoch „wurde er böse”, als Chruschtschow im Jahre 1955 Jugoslawien besuchte und die jugoslawischen Stalinisten mit Pero Popi- voda an der Spitze, die nach der Resolution des Kominform in die Sowjetunion geflohen waren, als Abenteurer bezeichnete. In der Zeitung „II Lavoratore” verurteilte Vidali damals die sowjetischen Parteiführer, die Stalins Verwünschungen gegen Jugoslawien widerriefen und Belgrad besuchten.

Nach der Resolution des Kominform gegen Jugoslawien im Jahre 1948 blieb die KP Triests moskautreu. Sie hob gerade unter Vidalis Leitung alle Verbände ihrer slowenischen Mitglieder auf und befahl ihnen, ihre Kinder aus den slowenischen Schulen zu nehmen, die sie als „titoistisch” bezeichnete. Binnen weniger Jahre italienisierte sich somit jene slowenische Arbeiterschicht Triests, die während der ganzen Ära des Faschismus jedem Druck widerstanden und eine fast gleichbleibende Zahl aufgewiesen hatte. Die Volkszählungen in der Monarchie (1910) und im Jahre 1946 ergaben gleicherweise rund 80.000 Seelen. Heute spielen die Slowenen in Triest keine relevante wirtschaftliche oder soziale Rolle mehr.

Nach dem Anschluß Triests an Italien im Jahre 1955 kam es zur Versöhnung zwischen Moskau und Belgrad und dadurch zur Annäherung des jugoslawischen Bundes der Kommunisten an die KPI. Nun wurde auch jugoslawischerseits dem Rest der Triestiner Slowenen empfohlen, sich den italienischen „progressiven” Kräften (der KPI und den Sozialisten) anzuschließen, was neuerlich einer Assimilation gleichkommt. Diese Haltung wurde seitens der KPI keineswegs honoriert. Nicht nur Vidali, auch die KPI brachte kein Verständnis auf für den jugoslawischen „besonderen Weg zum Sozialismus” und anläßlich der diplomatischen Auseinandersetzungen um die Zone B im März des vergangenen Jahres appellierte Belgrad ohne Erfolg an die „demokratischen” Kräfte Italiens.

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