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Griff ins Einst

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Um Selbstsucht geht es in der phantastischen Parabel aus dem Venedig des Jahres 1765 „Der schöne grüne Vogel“ von Carlo Gozzi, einem philosophischen Märchen, das im Burgtheater zur deutschsprachigen Erstaufführung gelangte. Die Zwillinge Renzo und Barbarina halten sich, den Lehren des Zeitalters hörig, für Philosophen, werfen jenen, die ihnen Gutes taten vor, dies sei lediglich aus Selbstsucht geschehen. Ihnen setzt Gozzi ein warnendes optisches Symbol entgegen, Calmon, den König der Marmorbilder, der ebenfalls in allen Menschen nur Eigennutz zu finden glaubte, worauf sein Herz versteinerte, seine Glieder kalter Marmor wurden.

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Um Selbstsucht geht es in der phantastischen Parabel aus dem Venedig des Jahres 1765 „Der schöne grüne Vogel“ von Carlo Gozzi, einem philosophischen Märchen, das im Burgtheater zur deutschsprachigen Erstaufführung gelangte. Die Zwillinge Renzo und Barbarina halten sich, den Lehren des Zeitalters hörig, für Philosophen, werfen jenen, die ihnen Gutes taten vor, dies sei lediglich aus Selbstsucht geschehen. Ihnen setzt Gozzi ein warnendes optisches Symbol entgegen, Calmon, den König der Marmorbilder, der ebenfalls in allen Menschen nur Eigennutz zu finden glaubte, worauf sein Herz versteinerte, seine Glieder kalter Marmor wurden.

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Führt nun Gozzi, der die Philosophie der Aufklärung haßte, die Lehren vom Egoismus ad absurdum? Renzo verliebt sich in eine Statue und will, daß sie lebe — Liebe als Egoismus —, Barbarina entbrennt in Habgier nach dem tanzenden Wasser und den singenden Äpfeln, um noch schöner zu sein. Also gibt Gozzi, entgegen seinen Absichten, den Selbstsuchtphilosophen doch recht. Und im Widerspruch auch wieder dazu hilft Calmon den beiden Eigensüchtigen, es hilft ihnen auch der nur sporadisch auftretende grüne Vogel.

Das ist in eine Vielfalt märchenhafter Vorgänge verstrickt. Renzo und Barbarina sind Königskinder, erfahren es erst am Schluß, es gibt die Typen der Commedia dell'arte, Tartaglia als König, Truffaldino, Smeraldina, Brighella. Aber was sich da ereignet, zerfällt, das sind lediglich Bruchstücke des Märchenhaften, es entsteht keine Legierung, die schludrig angelegte Parabel klafft, mißlingt. Das Stück ist ein Wechselbalg.

Um das Zerfallende zu binden, hat der italienische Regisseur Roberto Guiccardini in Zusammenarbeit mit den Übersetzern Eva Zilcher und Rudolf H. Weys für das Burgtheater eine eigene Einrichtung geschaffen, die vorsieht, daß dieses Stück während des Karnevals in einem venezianischen Palast gespielt wird, wobei sich den Hausbewohnern von draußen maskierte Eindringlinge zugesellen. Es gibt also nur ein einziges Bühnenbild, das Lorenzo Ghiglia entwarf, ein riesiges, im Verfall befindliches Glasgehäuse, in dem sich eine Etage befindet, zu der seitliche Treppen führen. Da nun entfaltet Guiccardini ein faszinierendes Getriebe der vielfältig verschiedenen Gestalten im raffinierten Gegensatz unterschiedlicher Bewegungen und zeitweiligen Erstarrens. Manches wird ironisiert.

Klaus Höring als Renzo und Cornelia Froboess als Barbarina sind ein impulsives Zwillingspaar, Kurt Beck bekundet als infantiler König in seinem Spieltemperament Vielseitigkeit, Eva Zilcher ist als Königinmutter eine elegant-attraktive Paradeböse. Unter den Commedia-delT-arte-Typen erweist Herwig Seeböck als Truffaldino in den standardisierten Bewegungen Perfektion, Judith Holzmeister gibt der Smeraldina Vehemenz. Die großartige Aufmachung fesselt nicht bis zum Schluß, das aber liegt am Stück.

Im Volkstheater wird ein „lustiges Trauerspiel“ von Nestroy aufgeführt, das anno 1838 und 1840 nur neunmal gespielt wurde und seither vermutlich nie wieder. Und siehe, es kommt zu guter Wirkung. Dieses Stüok in drei Begebnisfolgen mit dem Titel „Gegen Torheit gibt es kein Mittel“ ist eigentlich eine Charakterkomödie, in der uns der Lebenslauf des Simplicius Berg vorgeführt wird, der sich starrköpfig in seiner Gutherzigkeit, raschen Entflammbarkeit und Leichtgläubigkeit ständig hereinlegen läßt, von einem jungen Frauenzimmer, von einem abgefeimten Croupier, bis er sich schließlich als Gealterter noch einmal selbst eine amouröse Schlinge legt.

Die Wiener von damals goutier-ten derlei nicht, für sie war das eine moralisierende Kritik an wienerischer Leichtlebigkeit. Wir sind dieser Charakterisierung doch etwas entrückt, so spüren wir vor allem nur den Charme in so manchen Szenen. Man lacht, denn es sind Schwächen, die vorgeführt werden, der vereinzelten Gemeinheit, die der simplizische Simplicius zu begehen im Begriff ist, wird er sich in seiner Torheit gar nicht recht bewußt. Nichts Possenhaftes bei dem Possenschreiber Nestroy? Doch, da sind zahlreiche witzige Couplets. Aber das geistvoll Scharfkantige ist nur spurenweise vorhanden.

Im Volkstheater werden Nestroys Possen, so auch dieses lustige Trauerspiel unter der Regie von Gustav Manker, in vorbildlicher Leichtigkeit und in trefflicher Besetzung dargeboten. Herbert Propst hat unaufdringlich die sympathische Tumbheit des unsinnig eigensinnigen Simplicius. Heinz Petters wandelt sich erstaunlich vom lakaienhaften Bedienten zur Vortäuschung eines grotesk-pompösen Erbonkels und schließlich zu einem simandlbaften Haushofmeister. Brigitte Swoboda ist eine leichtfertige Junge, Hilde Sochor eine fesche Hantige, dann, gealtert, ein abschreckender weiblicher Feldwebel. Dem Croupier, früher Seiltänzer, gibt — sehr beachtlich — Rudolf Strobl hoffmanneskes Profil. Eugen Stark überzeugt als nachsichtiger Simplicius-Bruder, Bernhard Hall in der Rolle des Monsieur Narciß als Gigerlspezialist. — Maxi Tschunko verzichtet zurecht in den Bühnenbildern auf Biedermeierakribie. Ein sich stark verjüngender leerer Raum wird hinten durch wechselnde Schauplatzandeutungen abgeschlossen. Die liebenswürdigen Melodien von Adolf Müller richtete Norbert Pawlitzky ein und ergänzte sie.

Nicht nur im Akademietheater, auch im Theater in der Josefstadt gab es vor Weihnachten die Premiere einer Komödie von Georges Feydeau: „Ein Klotz am Bein.“ Die virtuose Konstruktion der Handlung mit den immer wieder präzise angewandten Gags, die alle seine Stücke kennzeichnet, wurde schon oft gerühmt. Es geht um einen feschen Kerl, der sich von seiner Geliebten, einem Varietestar, löst und nach vielerlei Verwicklungen eine Baronesse heiratet. Feydeau ein Moralist, ein Gesellschaftsfcritiker? Weder — noch. Über Lügen und Betrügereien sollten wir lachen. Man kann über Schwächen lachen, nicht über Gemeinheiten. Mannsbilder in Unterhosen als „Hauptspaß“ im Akademietheater... Das Publikum lacht. Flotte Aufführung unter der Regie von Paul-Emile Deiber mit Peter Vogel, Brigitte Neumeister und Susanne Granzer sowie Kurt Sowi-netz und Kurt Heintel in den Hauptrollen. Den beiden Wohnräumen unter den Bühnenbildern von Gottfried Neumann-Spallart eignet raffinierte Eleganz.

In einer der beiden Dependancen der „Josefstadt“, im Kleinen Theater im Konzerthaus, zelebrieren Elfriede Ott als muntere Disease und Gerhard Bronner am Pianino wie als Diseurerich eine treffliche, von Hans Weigel zusammengestellte Vortragsfolge „Schon wieder ein Zimmer“, deren Autoren er, Bronner — vor allem auch als Komponist —, Trude Marzik, Peter Orthofer, aber auch Kurt Tucholsky und andere sind. Da gibt es elegischen Skeptizismus um die Liebe, Bedauern um verschwundene Romantik und deren Verlästerung, Melancholie mit Flin-serin und den Charme des Wienerischen, Gefühle, aber nicht gratis, bei der Profidame, Anspielungen an Aktuelles von der Fußgängerzone bis zur Frau Sopherl vom Supermarkt. Kurz: Vorwiegend eine launige Psychographie des hiesigen Menschenschlags, fernab heraufziehenden schwarzdräuenden Gewölks.

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