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„Grob mißbräuchlich, sachlich absolut falsch“

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Wenn wir das Verhältnis zwischen Kirche und Parteien in seiner Entwicklung beobachten, sind viele Verwirrungen, aber auch ungute politische Schachzüge zu beklagen. Immerhin ist im Prinzip Positives zu vermerken. Der schwere historische Gegensatz von Sozialistischer Partei Österreichs und Kirche konnte durch beiderseitiges Bemühen abgebaut werden. Damit fallen Grenzen für die seelsorgerische Tätigkeit weg, die nach deren Wesen gar nicht bestehen dürften.

Auch in der österreichischen Volkspartei hat es begrüßenswerte Klarstellungen gegeben, nicht zuletzt durch das Salzburger Grundsatzprogramm von 1972. Die Volkspartei betont zwar, daß sie im wesentlichen von christlichen Grundsätzen inspiriert ist und daß ihre führenden Politiker in hohem Maß religiösen Wertvorstellungen verpflichtet sind. Sie erklärt aber dezi-diert, keine klerikale Partei und von der Kirche völlig unabhängig zu sein.

In letzter Zeit hat sich jedoch eine Entwicklung angebahnt, die dem bisherigen Klärungsprozeß eher entgegenläuft und die eindeutig in den Bereich negativ zu beurteilender Wahltaktik zu verweisen ist. Von den Sozialisten wird nämlich ins Treffen geführt, daß Christentum und Sozialismus nicht nur in keinem Gegensatz stehen - worüber redlich zu diskutieren durchaus möglich ist -, sondern daß sie einander sogar bedingen. Diese Behauptung wird in die gängige Formel gefaßt, daß man „Sozialist ist, weil man Christ ist“ und weil man sich den Prinzipien der Gleichheit und sozialen Gerechtigkeit verpflichtet fühlt. Hier begeht die heutige Regierungspartei eine Anmaßung, wie sie von der Volkspartei nie gewägt wurde; jedenfalls ist aus jüngerer Zeit kein Ausspruch eines führenden Politikers der Volkspartei bekannt, daß man als Christ nur seiner Partei Vertrauen schenken könne.

Es muß zu denken geben, daß einzelne führende Sozialisten ihre Theorie von der Konvergenz christlicher und sozialer Zielsetzungen unter Berufung auf die Katholische Sozialakademie vertreten. Zunehmend erhebt sich für den kritischen Beobachter die Frage, ob es sich dabei um eine Zufälligkeit oder um eine von beiden Seiten geplante Strategie handelt.

Man wird in diesem Zusammenhang daran erinnert, wie oft schon die Katholische Sozialakademie mit Enuntia-tionen Anstoß erweckt hat, die Unke Gesellschaftskritik zum Hauptgegenstand der Interpretation christlicher Soziallehre gemacht haben. Immer wieder stößt man seit dem Tod des früheren Direktors der KSÖ, Pater Dr. Riener, auf marxistische Terminologie im Schriftgut der Sozialakademie. Es fehlt auch nicht der Ausdruck des Verständnisses für gewisse Erscheinungsformen des Terrorismus. In den letzten Tagen fällt wiederum ein Kommentar im Nachrichtendienst der KSÖ auf, der genau in diese Richtung geht. Hier wird das Grundsatzprogramm der Handelskammer kritisch unter die Lupe genommen, was gewiß zu den legitimen Aufgaben der Sozialakademie zählt. Geradezu bestürzend wirkt aber die vollkommen undifferenzierte Hauptaussage des Kommentars, die das System der sozialen Marktwirtschaft grundsätzlich ablehnt und dieses als „herrschende Wirtschaftsordnung', die „Unnützes oder Schädliches herstellt“, und als „Gewinnverwendung durch egoistische Gruppen“ charakterisiert.

Damit erscheint der Zeitpunkt gekommen, mit aller gebotenen Klarheit festzustellen, daß es eine grob mißbräuchliche und sachlich absolut falsche Interpretation der Katholisqhen Soziallehre bedeutet, wenn man das System der sozialen Marktwirtschaft an sich in Frage stellt. Es ist umgekehrt vielfach belegbar, daß die Wirtschaftsordnung, die im freien Teil Europas nach dem Zweiten Weltkrieg aufgebaut wurde, eine optimale Annähe-' rung an jene Werte sozialer Gerechtigkeit ermöglicht, wie sie in den Dokumenten der christlichen Soziallehre gefordert werden. Vor allem muß den

Unken Ideologen, die sich in den traditionsreichen Räumen am Schottenring etabUert haben, die Frage entgegengehalten werden, was sie sich für eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung wünschen und wie sich das von ihnen gewünschte System noch vom soziaUstischen unterscheidet, welches die Katholische SoziaUehre von Anfang an scharf abgelehnt hat.

Für eine große Zahl von Praktikern und Theoretikern, die sich in Österreich der christUchen SoziaUdee verbunden fühlen, drängt sich immer vehementer folgende Frage auf: Wie lange müssen wir noch zusehen, daß eine von der Bischofskonferenz ins Leben gerufene und getragene Institution mit den abgedroschenen Phrasen ultraünker Gesellschaftskritiker jene freie Gesellschaftsordnung attackiert, die unserem Volk Sicherheit und Wohlstand wie nie zuvor gebracht hat? Wie lange können es die Oberhirten unserer Glaubensgemeinschaft noch auf sich nehmen, daß unter dem Etikett „kathoüsch“ jenen geistigen Kräften in die Hand gearbeitet wird, die sich sonst in den kirchenfeindüchen Aktivitäten der Jusos artikuUeren?

Vor kurzem wurde bekannt, daß der Leitung der KSÖ ein Kuratorium beigegeben wurde, welches dazu beitragen soU, daß die Dinge wieder zurechtgerückt werden. Der jüngste Nachrichtendienst scheint eher ein Hinweis dafür zu sein, daß dieses Kuratorium unter den gegebenen Umständen seine Aufgabe nicht oder noch nicht erfüUen kann. Es ist zu hoffen, daß eine Änderung mögUch ist. Die oben gestellten Fragen an die Verantwortüchen aber bleiben bestehen.

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