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GroBes Vakuum

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Maos Tod ist gewissermaßen ein überlebensgroßes Ereignis. Er veranlaßt die weltpolitischen Orakeldeuter, ihre in die Zukunft starrenden Seher-Pupillen auf größte Entfernung einzustellen. Dabei kann der Blick auf das Nächstliegende verlorengehen. Dürfen wir die aktuellen Neuigkeiten der afrikanischen, der asiatischen Politik wirklich noch in das gleiche Koordinatensystem einordnen wie vor zehn Tagen?

Kaum, denn lange, bevor man in der Lage sein wird, sich eine Meinung über die zukünftige innen-und außenpolitische Linie Chinas zu bilden, wird sich Maos Tod in der Dritten Welt auswirken. Daß China jetzt in eine Phase wenn schon nicht der gewaltsamen Richtungskämpfe und des inneren Chaos (eine Möglichkeit, mit der immerhin gerechnet werden muß), so doch auf jeden Fall einer rnülhsaimen Neuorientierung eintritt, scheint so gut wie sicher. Das kann nur eine Abwendung von den vielen kleinen Nebenfronten der Weltpolitik bedeuten. Aber gerade Chinas Aktionen auf ebendiesen vielen kleinen Nebenfronten haben insgesamt in den letzten Jahren zu einem guten Teil das weltpolitische Geschehen bestimmt.

Ganz zu schweigen vom Einfluß des kalten Krieges zwischen Sowjetunion und China auf die Beziehungen zwischen den beiden Supermächten. Es braucht die Sowjetunion nicht China zu überfallen (was immerhin möglich erscheint), es braucht China nicht aus seinen inneren Schwierigkeiten in ein kriegerisches Abenteuer zu flüchten (was unwahrscheinlich ist), um USA und Sowjetunion einem Gegenüber unter völlig gewandelten Umständen auszusetzen. Der Einfluß Chinas auf die Weltpolitik in der Phase-zwischen Kulturrevolution und Maos Tod wird sicher bald eines der interessantesten zeitgeschichtlichen Themen darstellen.

Chinas Politik in Schwarzafrika und Asien ist ebenso wie die der Sowjetunion bis in die lächerlichsten Einzelheiten von der sowjetisch-chinesischen Rivalität bestimmt. Jeder schwarzafrikanisohe Politiker weiß, daß zwar die Verweigerung beispielsweise eines amerikanischen Kredits in den letzten Jahren längst nicht mehr automatisch die Rubel lockermachte, daß aber der Sowjetunion kein Aufwand zu groß war, wo immer möglich die Chinesen auszustechen, und das Gegeneinanderaus-spielen von Moskau und Peking war eines der beliebtesten afrikanischen Gesellschaftsspiele.

Die eiserne Befolgung der grundlegenden Spielregel, wonach sich China stets auf die Gegenseite der sowjetischenProtektionskinder schlug (und selbstverständlich umgekehrt), überdeckte die ideologischen Präferenzen Moskaus wie Pekings in der Dritten Welt bis zur Unkenntlichkeit.

China hatte vor allem den schwarz-af rikandschen Know-how-Habenichtsen sehr viel zu bieten. Die Tansania-Bahn, die sambisches Kupfererz über 1800 km Distanz nach Dares-salaam befördert, und nicht nur von Chinesen gebaut wurde, sondern dank chinesischen Fachleuten auch verläßlich und pünktlich ist, ist ja nur ein spektakuläres Beispiel für Entwicklungshilfe auf chinesisch. Ein anderes, weniger bekanntes ist die in Brazzaville (Republik Kongo) von Chinesen errichtete Werft, in der kongolesische Arbeiter den Bau hölzerner Spezialschiffe mit bis zu 150 Tonnen Tragfähigkeit bei Tiefgängen von nur eineinhalb Metern (!) erlernen. Für viele, vor allem schwarzafrikanische Länder ist Moskau nur noch ein Machtfaktor — China aber hat das rote Charisma.

Natürlich wird China seine Fachleute kaum über Nacht heimholen. Aber Chinas Dritte-Welt-Politik wird in Peking in der Wertigkeit gegenüber anderen Problemen zumindest für einige Zeit zurücktreten. Das bedeutet ein Vakuum. Und nicht zuletzt 'das Ringen um dieses Vakuum wird schon sehr bald die Beziehungen der Großmächte USA und Sowjetunion verändern.

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