7020689-1988_43_15.jpg
Digital In Arbeit

Große Eile bei der Geldgemeinschaft

Werbung
Werbung
Werbung

Mit der Verabschiedung des Weißbuchs zur Vollendung des Binnenmarkts und der Einheitlichen Europäischen Akte hat der Integrationsprozeß innerhalb der Europäischen Gemeinschaft (EG) erheblich an Dynamik gewonnen. Bis Ende 1992 soll sich die EG in einen einheitlichen Wirtschaftsraum ohne Binnengrenzen verwandeln. Die sogenannten „vier Freiheiten“ sollen die Freizügigkeit von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital innerhalb der gesamten Gemeinschaft sicherstellen.

Von der Realisierung dieses ambitiösen Binnenmarktkonzepts dürfen sich die EG-Mitglieder wesentliche Impulse für ihre Wirtschaft erhoffen. Wie eine Untersuchung im Auftrag der EG-Kommission herausfand, ist ein Wachstumsstoß im Ausmaß von etwa fünf Prozent-Punkten möglich: einmal aufgrund der Tatsache, daß nun jeder im billigsten Markt ein- und im teuersten Markt verkaufen kann; darüber hinaus werden aufgrund des größeren Marktes beträchtliche Skalenerträge (Kostenersparnisse durch größere Einheiten) erwartet; und schließlich sollte der verstärkte Wettbewerb zu vermehrten Einsparungen führen.

Unbestreitbar erscheint, daß der nunmehr in Gang gekommene Integrationsprozeß irreversibel sein dürfte. Bis zum Jahresende möchte die EG-Kommission zu nahezu allen der insgesamt 286 Richtlinien des Weißbuchs zum Abbau der innergemeinschaftlichen Handelsschranken Vorschläge unterbreiten; mehr als ein Drittel der Richtlinien hatte der Ministerrat zu Jahresmitte bereits angenommen. Wenn auch der vorgegebene Zeitplan möglicherweise nicht eingehalten werden sollte, in seinen wesentlichen Grundzügen wird der Binnenmarkt Mitte der neunziger Jahre Wirklichkeit sein.

Auch bei vollständiger Implementierung des Weißbuch-Programms wird der europäische Binnenmarkt kein perfekter sein; sogar in den USA gibt es nach mehr als 200 Jahren Bestehen noch Unvollkommenheiten, Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesstaaten. Nach wie vor werden unterschiedliche Steuersätze (direkte wie indirekte) in den einzelnen Ländern gelten, irgendeine Art behördliches Meldeverfahren wird — allein schon zum Mehrwertsteuerausgleich — im grenzüberschreitenden Warenverkehr nach wie vor erforderlich sein.

Welche Auswirkungen sind von der Realisierung des Binnenmarktkonzepts auf Österreich zu erwarten? Ganz allgemein dürfte sich in Österreich die Auffassung durchgesetzt haben, daß die Vorteile aus einer Teilnahme am Binnenmarkt die Nachteile deutlich überwiegen. Rund zwei Drittel unserer Ausfuhren gehen in EG-Länder, was die überragende Bedeutung dieses Wirtschaftsraums für Österreich demonstriert. Durch den verschärften Wettbewerb dürfte der Strukturwandel spürbar beschleunigt werden. Aber selbst dann, wenn eine Integration Österreichs eine Verschlechterung im Vergleich zum Status quo darstellen sollte, wäre dennoch eine Binnemarktteilnah-me ratsam, da Österreich ansonsten Gefahr liefe, von der Entwicklung innerhalb der Gemeinschaft zunehmend abgekoppelt zu werden. Überdies werden von mancher Seite in steigendem Maße protektionistische Tendenzen der EG befürchtet, die Österreich vermehrt Probleme bereiten könnten. Auch in anderen Ländern, etwa in den USA oder Japan, werden ähnliche Befürchtungen gehegt (Stichwort: „Festung Europa“).

Österreich brauchte bei einem allfälligen EG-Beitritt einen Vergleich mit den zwölf Mitgliedern der Gemeinschaft beileibe nicht zu scheuen. So lag das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Österreich schon 1985 um etwa sechs Prozent über dem EG-Durchschnitt; noch günstiger fällt der Vergleich von Wachstum, Inflation oder Arbeitslosigkeit aus. Die sogenannte „Europareife“ hat unsere Wirtschaft also schon längst erlangt.

Für die österreichischen Kreditunternehmen hat bereits in den vergangenen Jahren die Einbindung in die internationalen Finanzmärkte, unabhängig von der EG-Integration, große Fortschrit-

„Die Einbindung in Kreditmärkte macht bereits Fortschritte“ te gemacht. Bereits jetzt sind die österreichischen Banken an den großen internationalen Finanzplätzen mit Niederlassungen und Filialen vertreten. Daher dürften im Finanzsektor weniger weitreichende Anpassungen an EG-Entwicklungen und -Standards erforderlich sein als in anderen Wirtschaftsbereichen. Österreich hat mit der Novelle des Kreditwesengesetzes 1986 bereits eine wesentliche Vorleistung an Erfordernisse der EG erbracht, etwa was die Eigenmittelausstattung der Banken betrifft. Auch die Quellenbesteuerung von Zinserträgen ist letztlich nur eine Vorwegnahme von EG-Normen, insbesondere im Hinblick auf das weltweit einmalige österreichische Bankgeheimnis. Die jeweilige Gestaltung des Bankgeheimnisses dürfte nämlich nur dann nationalen Regelungen vorbehalten bleiben, wenn eine Harmonisierung der Kapitalertragsbesteuerung herbeigeführt werden kann. ,

Im Juni dieses Jahres hat der EG-Ministerrat die Direktive über die vollkommene Liberalisierung des innergemeinschaftlichen Kapitalverkehrs beschlossen. Mit Ausnahme von Griechenland, Irland, Portugal und Spanien, für die Ubergangsregelungen bis 1992, zum Teil auch länger, gelten, sind die Mitgliedsländer der EG verpflichtet, bis Mitte 1990 sämtliche Devisenkontrollen und Kapitalverkehrsbeschränkungen abzubauen. Auch im Verkehr mit Drittländern plant die EG — auf Basis der Gegenseitigkeit — eine möglichst weitgehende beziehungsweise vollständige Kapitalverkehrsliberalisierung. Österreich wird daher, um im Finanzbereich am Binnenmarkt partizipieren zu können, noch bestehende Beschränkungen im Kapitalverkehr aufheben müssen. Dennoch ist festzuhalten, daß besonders im Wertpapier- und Kreditgeschäft der Liberalisierungsgrad derzeit höher ist als in der Mehrzahl der EG-Länder.

Aufgrund der fortschreitenden Integration der europäischen Finanzmärkte, wie sie nach Aufhebung der Kapitalverkehrskontrollen zu erwarten ist, ist jedoch auch mit einer Zunahme spekulativer Kapitalbewegungen und damit mit einer merklichen Verstärkung der Wechselkursschwankungen innerhalb der Gemeinschaft zu rechnen. Um dem entgegenzuwirken, wird von verschiedenen Seiten ein Ausbau des EWS vorgeschlagen, der letztlich in einer europaweiten Zentralbank

„Der krönende Abschluß soll die gemeinsame Währung sein“ und einer einheitlichen Währung münden soll. Auch der EG-Ministerrat hat eine Arbeitsgruppe, bestehend aus den Notenbankgouverneuren der Mitgliedsstaaten und einigen hochrangigen Experten, eingesetzt, um Chancen und Risken einer europäischen Währungsunion zu untersuchen.

In der aktuellen Diskussion lassen sich zwei einander diametral entgegengesetzte Positionen abgrenzen. Die „Fundamentalisten“ sehen in einer Währungsunion den Grundstein für eine echte wirtschaftliche Integration; über eine stärkere Institutionalisierung und Regelbindung der währungspolitischen Zusammenarbeit bis hin zu einer eventuellen Errichtung einer europäischen Zentralbank soll die monetäre Integration gestärkt werden. Umgekehrt argumentieren die „Krönungstheoretiker“, daß durch eine bessere Abstimmung der nationalen Politiken schrittweise die Vorbedingungen für eine monetäre Integration geschaffen werden, deren „krönender Abschluß“ die gemeinsame Währung sein soll.

Für Österreich bedeutete eine europäische Währungsunion im Prinzip nur eine graduelle Änderung der bisherigen Politik. Die österreichische Währungspolitik ist zweifellos bereits „europareif“. Gemeinsam mit D-Mark, Schweizer Franken und nieder-läpdischem Gulden bildet der österreichische Schilling eine Zone währungspolitischer Stabilität. Mit der engen Bindung an die D-Mark hat sich Österreich somit besser auf das Europäische Währungssystem (EWS) eingestellt als manches Mitgliedsland. Durch die Unterordnung der Geldpolitik unter da.s Wechselkursziel hat Österreich andererseits bereits jetzt de facto einen Teil seines Entscheidungsspielraums aufgegeben. Eine von der EG-Linie abweichende Politik wäre angesichts der Größenordnungen noch schwerer möglich, vor allem bei freiem Kapitalverkehr. Allerdings würden sich auch die Vorteile, die Österreich aus der Hartwährungspolitik zieht, entsprechend vergrößern: das Gebiet stabiler Währung umfaßte in Zukunft statt der Bundesrepublik die gesamte EG.

Der Autor ist Generaldirektor der Girozentrale.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung