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Große Märchen- und Zauberoper

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Ein so umfangreiches Strauss-Festival, wie es derzeit die Wiener Staatsoper veranstaltet, hat es - soweit wir die europäische Opemszene überblicken - während der letzten drei Jahrzehnte nirgends gegeben. Innerhalb von zehn Tagen werden nämlich, in bestmöglicher Besetzung, sechs Strauss- Opem aufgeführt. „Die Frau ohne Schatten“ leitete am vergangenen Sonntag den Zyklus ein und beschließt ihn am 26. Jänner. Karl Böhm, der sich immer wieder (und mit besonderem Erfolg an der Met und in Salzburg) für das Riesenwerk eingesetzt hat, dirigiert auch die neue „Ariadne“, Silvio Var- viso sind zwei Aufführungen des „Rosenkavaliers“ anvertraut, und zweimal wird Heinrich Hollreiser bei „Arabella“ am Pult stehen. Für Abwechslung ist also gesorgt, und auch was die Qualität der Ausführenden betrifft, kann es ein richtiges Wiener Strauss-Festival werden.

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Ein so umfangreiches Strauss-Festival, wie es derzeit die Wiener Staatsoper veranstaltet, hat es - soweit wir die europäische Opemszene überblicken - während der letzten drei Jahrzehnte nirgends gegeben. Innerhalb von zehn Tagen werden nämlich, in bestmöglicher Besetzung, sechs Strauss- Opem aufgeführt. „Die Frau ohne Schatten“ leitete am vergangenen Sonntag den Zyklus ein und beschließt ihn am 26. Jänner. Karl Böhm, der sich immer wieder (und mit besonderem Erfolg an der Met und in Salzburg) für das Riesenwerk eingesetzt hat, dirigiert auch die neue „Ariadne“, Silvio Var- viso sind zwei Aufführungen des „Rosenkavaliers“ anvertraut, und zweimal wird Heinrich Hollreiser bei „Arabella“ am Pult stehen. Für Abwechslung ist also gesorgt, und auch was die Qualität der Ausführenden betrifft, kann es ein richtiges Wiener Strauss-Festival werden.

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Hier in Wien war und ist Richard Strauss nicht nur eine zuverlässige Spielplanattraktion, sondern hier hat er auch häufig als Dirigent gewirkt und war sogar, vom 1. Mai 1919 an, fünf Jahre lang Operndirektor. Daß Kodi- rektionen nie so recht funktionieren, erwies auch die wenig harmonische Zusammenarbeit von Franz Schalk und Richard Strauss, an deren Ende ein Mann mit Witz feststellte: „Strauss ist ein Schalk und ging, aber Schalk ist kein Strauss - und blieb.“ Man hat mit allen Mitteln versucht, Richard Strauss an Wien zu binden, auch durch die Schenkung eines Stadtpalais in der Jacquingasse, wie der Herr von Fani- nal im „Rosenkavalier“ eines besaß. Aber Strauss war ein vielgefragter Dirigent und häufig aufgeführter Komponist, der berühmteste seiner Zeit Davon profitierte auch die Wiener Staatsoper, die er mit einem triumphalen Gesamtgastspiel nach Südamerika brachte.

Im ersten Jahr seiner Direktion, und zwar am 10. Oktober 1919, wurde in der Wiener Staatsoper „Die Frau ohne Schatten“ unter der Leitung von Franz Schalk, mit Bühnenbildern Alfred Rollers und Maria Jeritza in der Titelrolle, uraufgeführt. Es war, wenn wir Von der zweiten Fassüng der „Ariadne“ absehen, die erste „Weltpremiere“ einer Strauss-Oper in Wien. Und es war das „opus magnum“ der beiden großen Künstler Strauss und Hofmannsthal, das auch heute noch für jedes Haus eine Bewährungsprobe darstellt, und zwar nicht nur für alle Ausführenden (einschließlich des Orchesters), sondern auch für das Publikum. Denn „Die Frau ohne Schatten“, deren Idee von zwei einander gegenübergestellten Paaren, ihren wechselseitigen schicksalhaften Beziehungen, ihrer Gefährdung und Rettung Hofmannsthal erstmalig bereits 1913 kam, ist nicht nur ein mächtiges, sondern auch ein schwieriges, symbolträchtiges Werk, dessen Komposition und Instrumentierung Richard Strauss von Anfang des Jahres 1914 bis Ende 1917 beschäftigte.

Die Riesenpartitur ist für ein Orchester von 110 Mann geschrieben und fordert, neben vielfach geteilten Streichern, je 21 Holz- und 21 Blechbläser, 6 chinesische Gongs, 4 Tamtams, Xylophon, 2 Celestas, Klavier und Orgel und auch Chöre hinter der Szene. Die Dichtung Hofmannsthals verarbeitet Motive aus „1001 Nacht“, aus Gozzis chinesischem Märchen, Raimunds Zauberstücken, Grimmschen Märchen und arabischen Heldensagen. Zwar ist die Grundidee leicht zu erfassen, besonders wenn man, wie die beiden Autoren, „Die Frau ohne Schatten“ als „moderne Zauberflöte“ auffaßt Aber sie im Detail nachzuerzählen, ist an dieser Stelle nicht mög lich; da möchten wir denjenigen, die sich das Stück ansehen wollen, dringend die Lektüre des Textbuches, womöglich des Hofmannsthalschen Märchens mit dem gleichen Titel (jetzt im Band „Die Erzählungen“ in der Gesamtausgabe) nahelegen. Besonders, da durch das Strausssche Riesenorchester mit seinen unzähligen Nebenstimmen kaum ein ganzer Satz zu verstehen ist. Und dies trotz größter Bemühungen der Sänger um Wortdeutlichkeit.

In Wien fanden die letzten Neuinszenierungen 1955 beim Opernfest und 1964 unter der Leitung Karajans statt. Dann gab es aber noch die großartige Aufführung bei den Salzburger Festspielen von 1974, ebenfalls in Dekorationen von Günther Schneider- Siemssen, die mit ihren stereotypen Grautönen mehr phantastisch-abstrakt als märchenhaft wirken. - Die bestens gelungene Aufführung am vergangenen Sonntag in der Staatsoper war um so mehr zu bewundern, da für ihre Proben angeblich nur knappe zwei Wochen zur Verfügung standen. Zwar haben mehrere Protagonisten ihre Rollen bereits hier oder anderenorts gesungen, aber in so kurzer Zeit sich zu einem Ensemble zu formieren - das ist schon eine große Leistung.

Die beiden weiblichen Hauptpartien, mit denen diese Oper steht und fällt, waren mit Leonie Rysanek als Kaiserin und Birgit Nilsson ideal be setzt. Die erstere hat das schönere Timbre, die andere die größere Kraft. Aber auch Ruth Hesse als Amme und Walter Berry als Färber Barak waren erstklassig. Neu im Ensemble: der junge finnische Tenor Matti Kastu in der Rolle des Kaisers. Für ihn hatte sich Hofmannsthal (in einem Brief an Strauss Ende Dezember 1913) „eine süße, schön geführte Stimme in dem Ganzen“ gewünscht, und über eine solche verfügt Herr Matti Kastu, in Schweden entdeckt und von Dr. Böhm nach Philadelphia geholt, durchaus. - Dem Rang der Protagonisten entsprechend waren auch alle Nebenrollen, etwa ein Dutzend, besetzt. - Unverständlich wie immer und nicht immer sehr schön klingend - die verschiedenen Chöre hinter der Bühne.

Mit der Regie von Helge Thoma kann man sich im Ganzen einverstanden erklären, mit Ausnahme des letzten Aktes, in dem mehrmals ein ganz gewöhnlicher, nicht bemalter Zwischenvorhang fällt, was sehr ernüchternd wirkt, nach soviel Zauberei und Projektionen in den vorhergegangenen Bildern. Aber aequo loco mit den Künstlern auf der Bühne sind die im Orchestergraben zu würdigen: Die Wiener Philharmoniker spielten diese hochkomplizierte Partitur, als handle es sich um ein Repertoirestück. Aber das gelingt nur unter Dr. Böhm so vollkommen, mit dem sie ja schon in Salzburg „Die Frau ohne Schatten“ erarbeitet haben. Bei späteren Aufführungen (zunächst am 20. und 26. Jänner) wird man wohl einige Zwischenspiele ein wenig dämpfen. Aber sicher nicht den Jubel für Karl Böhm und alle Ausführenden.

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