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Große Verantwortung

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Es gibt mehr und wirksamere Verhütungsmittel - und mehr ungewollte Babys als je zuvor. Wer sich verwundert mit dieser Frage ausein- andersetzt, wird in der Dissertation, aus der wir nebenstehend Auszüge bringen, aufschlußreiches Orientierungsmaterial vorßnden.

Die Dissertantin. eine Studentin aus Südtirol, hat sich damit den Doktorgrad an der Universität Innsbruck - und die Anerkennung aller verdient, denen der Problemkreis „Verantwortungsbewußte Se-

xualität" ein wirkliches und nicht nur ein rhetorisches Anliegen ist.

An Hand einer gewissenhaften Befragungsaktion unter 61 Wöchnerinnen in Südtiroler Spitälern, die alle unverheiratet und unter 18 Jahren waren, hat sie erhärtet, was viele Wissenschafter bereits thesenweise verbreitet haben:

Keineswegs sind junge Menschen heute lusttolle Sexualautomaten. Liebe und Treue sind für die weitaus meisten Voraussetzung einer Intimbeziehung.

A her in dieser Intimbeziehung ist dann ein erstaunliches Maß an Leichtigkeit, um nicht zu sagen Leichtfertigkeit festzustellen, wenn es um das Schwangerschaftsrisiko geht.

Bei näherem Zusehen stellt sich dann freilich heraus, daß dieses Risiko oft bewußt eingegangen wird und ein ,.unerwünschtes" Kind manchmal gar nicht so unerwünscht ist: Das junge Mädchen erhofft sich

neben schwärmerischer Selbstwertsteigerung oft davon, den Partner fest an sich zu binden. Die große Enttäuschung kommt, wenn dieser die werdende Mutter verläßt, was gar nicht so selten der Fall ist.

Dann stellt sich freilich heraus, daß Eltern, Freunde. Nachbarn heute weitaus häufiger und aufgeschlossener als früher bereit sind, eine unverheiratete Mutier aufzunehmen, außereheliche Kinder zu tolerieren. So erfreulich dieser Gesinnungswandel im Prinzip ist. so sehr haftet ihm auch eine negative

Wirkung an: Das Schwangerschaftsrisiko wird noch leichtfertiger in Kauf genommen.

Wahr aber bleibt: Noch immer haben es viele solcher Kinder schwer, und für zwei blutjunge Menschen kann eine zu frühe Elternschaft das ganze Leben in falsche Bahnen lenken.

Hier ist ein Problemkomplex ent- . standen, dem sich die christliche Sexualmoral offener, klarer und phantasievoller. als es vielfach geschieht, zu stellen hat.

Vorehelicher Geschlechtsverkehr ist auch unter Tausenden überzeugter jungen Katholiken ein Faktum geworden, das durch Wegsehen nicht zum Verschwinden gebracht wird. Den jungen Menschen muji klargemacht werden, daji die leichtfertige Zeugung eines Kindes eine unverhältnismäßig größere Schuld begründet als die Wahl des , falschen" Verhütungsmittels.

Dasein scheint eine Schwangerschaft oft die einzige Form der Selbstverwirklichung zu sein. „Sie wünschen gelegentlich unbewußt das, was eine objektive Einschätzung ihrer Lage ihnen auf der bewußten Ebene verbietet“ (Ko- schorke 1978; in: Schuhmann 1979, S. 105).

Nach Anselmier (1975) verzichten besonders jene Jugendliche auf die Anwendung kontrazeptiver Maßnahmen, die von der eigenen Familie vernachlässigt werden oder ihre familiäre Umgebung berechtigt oder unberechtigt als unerträglich empfinden.

Für sie ist die Schwangerschaft ein Druckmittel, um geheiratet zu werden und dadurch der Familie zu entkommen, oder eine Maßnahme, mit der sie ihre .Auflehnung gegen die eigenen Eltern und ihr Streben nach Unabhängigkeit gegenüber dem Vormund bezeugen.

Nicht selten aber kann ein gestörtes Verhältnis zu den Eltern junge Mädchen auch dazu bringen, um jeden Preis ein „Baby“ zu wollen, um ihrem Bedürfnis, Liebe zu bekommen und geben zu dürfen, gerecht zu werden.

Auch übertrieben idealistische Einstellungen zur geschlechtlichen Liebe sind für bestimmte Jugendliche, so Anselmier (1975), ein Grund dafür, mechanische Mittel oder gar die tägliche Einnahme der „Pille“ abzulehnen.

Es ist anzunehmen, daß solche Jugendliche kaum die Folgen und die Verantwortung, die eine Schwangerschaft in sich birgt, abzuschätzen wissen und daß sich diese Einstellung eher bei unreifen und emotional vernachlässigten Mädchen bzw. Jungen ergibt.

Dies gilt ebenso für Jugendliche, die der Ansicht sind, der Geschlechtsverkehr sei nur dann „ehrlich“ und „echt“,

wenn er ohne Vorausplanung, also spontan, vollzogen wird.

Für andere Mädchen sind Sexualität und Fortpflanzung unmittelbar mit einander verbunden, d. h. Lust ohnq Ri; siko der Schwangerschaft löst bei ihnen Schuldgefühle aus.

Es sei damit daraufhingewiesen, daß es nicht nur darauf ankommt, Verhütungsmittel zugänglich zu machen und zu propagieren, sondern daß es ebenso notwendig ist, die Einstellung Jugendlicher zu kontrazeptiven Mitteln zu ergründen und zu beeinflussen, ihnen eine realistische und verantwortungsbewußte Haltung zu Partnerschaft, Liebe, Geschlechtsverkehr und Schwangerschaft zu vermitteln und nahezulegen. Die Grundsätze dazu seien: 1. Die Achtung vor dem Partner: Liebe kann nur geschenkt, aber niemals erzwungen werden, auch nicht durch eine Schwangerschaft.

2. Die Achtung vor dem werdenden Leben: Ein Kind darf niemals zu einem Druckmittel werden. Jedes Kind ist dažu berechtigt, sich um seiner selbst Willen als erwünscht und nicht als ein Mittel zum Zweck zu verstehen. Ės hat das Recht, in eine vollständige Familie hineingeboren zu werden und das Kind einer Mutter zu sein, die in ihrer Arbeit und ihrer Beziehung zur Allgemeinheit bereits die Vollendung ihrer selbst gefunden hat und sie nicht im Kind zu erreichen sucht.

Es ist und bleibt also eine unserer ersten Aufgaben in der Erziehung, durch Aufklärung, Bereitstellung kontrazeptiver Mittel und Einstellungsvermittlung wirkungsvoll dahingehend zu wirken, (zu) jungen Mädchen eine Mutterschaft und den heranwachsenden Burschen eine Vaterschaft zu ersparen.

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