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Großem tückenreicher indischer Markt

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Indien erfreute sich 1988/89 eines noch nie dagewesenen Booms. Die indische Zentralbank bescheinigte im Sommer 89 der Wirtschaft ein Rekordwachstum von zehn Prozent beim Bruttonationalprodukt und dank günstigen Wetters gar 23 Prozent bei der Landwirtschaft. Das Wachstum der Einfuhren verdop­pelte sich gegenüber 1987/88 auf 24 Prozent, denn Indiens Industrie hat bei Produktionstechnologien einen großen Nachholbedarf und muß höherwertige Vorprodukte impor­tieren. Der riesige Subkontinent mit mehr als 800 Millionen Einwohnern und einem Bruttonationalprodukt von über 3.360 Milliarden Rupien scheint zwar kaum im Bewußtsein unserer Alpenrepublik auf, ist aber als lukrative Exportmöglichkeit für Österreich nicht zu verachten.

Die unter Ex-Premierminister Rajiv Gandhi eingeleitete Liberali­sierung der indischen Wirtschaft kommt auch Österreich zugute. Seit 1986 ist die Handelsbilanz für Öster­reich positiv. 1,158 Milliarden Schil­ling Exporte österreichischer Fir­men standen 1989 912 Millionen Schilling Importen aus Indien ge­genüber.

Ungleich ist der Warenkorb. In­dien bietet Österreich nur einfache Waren: Leder und Lederwaren (23,7 Prozent), Textilien (2 8 Prozent), Be­kleidung (19,2 Prozent), Schuhe (18 Prozent), Rohstoffe (3,4 Prozent), Tee und Mate (3,7 Prozent), Kaffee, chemische Erzeugnisse, Metallwa­ren sowie Perlen und Edelsteine.

Österreich kommt im technischen Bereich zum Zug: Arbeitsmaschi­nen (26,8 Prozent), Eisen und Stahl (33,4 Prozent), weitere Maschinen (22 Prozent), chemische Erzeugnis­se (9,6 Prozent) und Metallwaren (8,8 Prozent). Besondere Wachs-tumschanchen gibt es bei Schie­nenfahrzeugen, pharmazeutischen Vorprodukten, Maschinen sowie bei Meß- und Prüfgeräten.

Schon klassisch ist das Engage­ment der österreichischen verstaatlichten Industrie. 1956 kam im neuerrichteten Stahlwerk Rourke-la das dann Weltgeltung erlangen­de LD-Verfahren der VOEST Linz und der Alpine Donawitz erstmals zur Anwendung. Nur drei Jahre ist es her, daß die VOEST-Alpine Hebetechnik und Brücken AG den Auftrag zur Errichtung des größten Stripperkrans der Welt verbuchen konnte.

Indien ist ein anspruchsvoller Wirtschaftspartner. Die Einfuhren unterliegen strengen Kontrollen und sind grundsätzlich lizenzpflichtig. Eine Ausnahme bildet die „Open General Licence", bei der zirka 1800 Waren, vorwiegend Ausrü­stungen für Industrie und Gewer­be, überwiegend von Endverbrau­chern importiert werden können. Konsumgüterimporte sind kaum möglich. Hohe Wertzollsätze von 40, 60 und 100 Prozent schützen nach wie vor die heimische Wirt­schaft. Kaum ein Produkt passiert die Grenze, wenn auch nur irgend etwas ähnliches im Land hergestellt wird.

Ausländische Investitionen ohne Technologietransfer werden selten genehmigt. Die Scheu ausländischer, Unternehmen vor dem respektlo­sen Indien - das Patentwesen wird zugunsten des Lizenznehmers aus­gelegt, internationale Markenna­men und-zeichen dürfen nicht ver­wendet werden - wird durch den „ Foreign Exchange Regulation Act" nicht gerade abgebaut: ausländische Beteiligungen sind in der Regel bis nur zu 40 Prozent genehm.

Um sich den Zugang zum großen, aber tückenreichen indischen Markt zu sichern, sind immer mehr Tech­nologiegeber bereit, im Rahmen von Joint-Ventures Aktienanteile an indischen Unternehmen zu erwer­ben. Gleisbaumaschinen erzeugt seit einigen Jahren der Plasser & Theu-rer Ableger Plasser India Private Ltd. in Faridabad und schlug so die Konkurrenz aus dem Feld. Die AKG of India produziert Sprech- und Hörkapseln für den Ausbau des indi­schen Telefonnetzes. Die Grazer AVL Gesellschaft für Verbren­nungsmaschinen und Meßtechnik GmbH zog im Vorjahr eine Meßge­räteproduktion mit vorerst hohem österreichischen Zulieferanteil auf.

Bei aller Wachstumsgläubigkeit ist jedoch nicht zu übersehen, daß Indiens Aufschwung auf wackeli­gen Füßen steht. Das wachsende Handelsbilanzdefizit ließ Indien zum größten Schuldner Asiens werden. Der indische Markt be­schränkt sich auf die mit 100 Mil­lionen Menschen geringe Mittel­schicht. Der dünnen Schicht der Reichen und Superreichen steht nach wie vor ein Drittel der Bevöl­kerung gegenüber, das in völliger Armut und Aussichtslosigkeit lebt. Auch Umweltprobleme - Ver­schmutzung der Flüsse und Rodung der Wälder - machen zu schaffen. So ist die Verbrennung des städti­schen Mülls in Bombay gescheitert, weil die Armen der Metropole alles Brauchbare aus dem Müll heraus­klauben und deshalb der Brenn­wert zu niedrig ist. Auch das ist Indien.

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