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Großes Kunstgespräch

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Die diesjährigen 18. Kunstgespräche sollten die neuen aktuellen Schlagworte wie „Realismus und Realität“ klären helfen. Msgr. Otto Mauer sprach gleich zu Beginn von einem „wohl vergeblichen Versuch“, zu einem tatsächlichen Ergebnis zu kommen. Er verstand Kunst als Realität sui generis, mit interpreta-tivem Charakter, als einen Akt der Emanzipation von der Natur. Sie hat aber nicht die Aufgabe, Realitäten zu kopieren, doch ist sie eine Verdichtung der Realität. Diese Differenz zur optischen Wirklichkeit ist notwendig und muß stets vorhanden sein.

Nach dieser philosophischen Einleitung folgte P. F. Althaus aus Basel, der sich mit dem Thema „Kunst und Öffentlichkeit: Realität als Kommunikationsebene“ auseinandersetzte. Er meinte, daß alle

Kunst auf die Öffentlichkeit bezogen ist, der Künstler sich aber mit Gruppen auseinandersetzt, die ihn verstehen, und Fachleuten, die ihn kontrollieren und kritisieren. Der Künstler will heute wieder mit der Öffentlichkeit kommunizieren, doch es sind wenige, die ihn verstehen. Es gibt einerseits den modischen Künstler, der die Form übernimmt, ohne sie nacherlebt zu haben, anderseits den Kreativen, der ein Minimum an Kommunikation, doch ein Maximum an Wirkung erzielen kann. So hat uns der Kubismus eine ganz neue Sehweise gelehrt. Althaus fordert heute das Kunstwerk, das im Kontakt mit dem Betrachter sich stets neu kreiert.

Der Schriftsteller P. Henisch sprach über „Die Suche nach der verlorenen Wirklichkeit“. Er ist überzeugt, daß der Wirklichkeitsverlust in der Literatur ein echter Wirksamkeitsverlust ist. Er hält nichts von einem Engagement des Literaten in Fabriken usw., das er als Voyeurtum ablehnt. Die innere erlebte Wirklichkeit: um die müsse man sich bemühen.

B. Kerber von der Universität Bochum untersuchte die „Tendenz im neuen Realismus“ an Hand von Lichtbildern. Unter dem heutigen Begriff „New Realism“ läuft eine verwirrende Vielfalt von Strömungen wie Ultra-realist, Unconvential, Super artificial, Rigoros, Direct representation, Photo-realist, Illu-sive Realism und magischer Photorealismus. Perlstein sagt, sie hätten die menschliche Gestalt vom Expressionismus befreit. Durch Bildausschnitte und Verdoppelungen will der Künstler eine Aussage herbeiführen. Es ist eine Verzweiflung über das Dilemma vorhanden, die die Dinge sehen läßt, sie aber nicht begreift. Am Schluß zitierte er Handke: Man sollte die Natur und das Problem nicht verwechseln.

In der darauffolgenden Diskussion kam zum Ausdruck, daß Realität

Gegenstand und nicht Grundlage der Kommunikation ist. Heubach meint, nur wenn Kunst aktuell wäre, hätte sie eine Funktion in der Gesellschaft, wenn sie aber bereits kanonisiert ist, hätte sie, den Großteil ihrer Wirkung bereits eingebüßt. Er forderte eine Kunst, wo der Schock anhält.

Am folgenden Tag sprach F. W. Heubach von der Universität Köln über die „sogenannte Realität“. Die Wirklichkeit wird in der Kunst weitgehend verstellt und manipuliert, aber trotzdem bleibt sie unangetastet. Woher kommt also das Bewußtsein von der objektiven Wirklichkeit? Sie figuriert in der Idee als gegenständlich und in der Wahrnehmung. Die Realität sei kein Problem der Wahrnehmung, sondern des Konsensus, sie sei keine Erfahrung, sondern ein Urteil. Kunst sei daher etwas realistischer, und die Realität etwas künstlicher zu verstehen.

Nach ihm meinte Klaus Honnef, Leiter des Kunstvereins von Münster, in seinem Vortrag über den „Emanzipatorischen Charakter der

Kunst“, daß sich die Kunst wieder auf ihre alten rituellen Funktionen besinnen müsse, sie hätte nur eine Überlebenschance, wenn sie sich dem Tauschwert entziehen könnte und zwecklos würde.

Ähnlich wie Kerber am Vortag erläuterte J. Ch. Ammann vom Kunstmuseum in Luzern an Hand von Lichtbildern den „Photographischen Realismus“.

In der Diskussion wurde die Frage aufgeworfen, woran man ein Kunstwerk erkennen kann; man kam zum Schluß, daß es auf alle Fälle Interpretation sein müsse. Seit Duchamd Duchamd gebe es eine neue Sicht, es kam das erregende Objekt dazu, doch man fragt sich, wo der interpretative Akt und die ästhetische Distanz zu sehen wäre. Kerber meint, daß nur durch Deklaration das Werk zur Kunst erklärt wird, es gäbe heute kein anderes Kriterium dafür. Man war sich schließlich darüber einig, daß es schwieriger denn je geworden sei, das Neue zu beurteilen und zu werten.

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