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Großes Stabilitäts-Bla-Bla

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Unter den vielen Übeln, die die derzeitige Wirtschaftspolitik kennzeichnen, stechen neuerdings zwei besonders heraus: Das eine ist die Tatsache, daß von offizieller oder halbofflzieller Stelle alle paar Wochen eine neue und noch höhere Inflationsrate für das kommende Jahr genannt wird (Anfang September nannte Finanzminister Dr. Androsch 7 Prozent, den Bundesvoranschlag erstellte er auf der Grundlage einer Inflationsrate von 7,5 Prozent, wiederum später nannte Dr. Kreisky eine mögliche Inflationsrate von 8 Prozent und zuletzt wollte Professor Nemschak, Leiter des Wirtschaftsforschungsinstitutes, in der Wirtschaftspolitischen Aussprache bereits 10 Prozent nennen, was der Bundeskanzler freilich verhinderte); das zweite Übel ist die Eskalation der Androsch'schen „Stabilitätsgipfel“. Zwar versicherte er noch vor 18 Monaten wörtlich, er „persönlich halte nichts von so großartig aufgemachten Stabilisierungsprogrammen“ („Presse“ vom 17. Februar 1971), doch das tut nichts zur Sache — vor wenigen Tagen hat er zum vierten „Stabilitätsgipfel“ in diesem Jahr (und zum zweiten seit Ende September) geladen, ohne daß dabei auch nur irgend etwas von Relevanz für die Wiederherstellung der Preisstabilität in Österreich herausgekommen ist.

Denn der „Sunnyboy der Nation“ („Kronen-Zeitung“) hat am vergangenen Mittwoch im Grunde gar nichts anderes gemacht, als die Sozialpartner dazu gedrängt, doch bitte sehr das zu tun, was er selbst nicht tun will oder tun kann: maßhalten. Als Gegenleistung versprach er, den Kreditapparat stärker zu schröpfen, was die BAWAG und die Zentralsparkasse sicherlich mit großer Befriedigung erfüllen wird, und die Budgetermessenskredite zu binden.

Gerade was die Budgetpolitik des Finanzministers betrifft, ist aber größte Skepsis angebracht. Schließlich hat er sich ja auch im laufenden Budgetjahr bereits der gebundenen Ermessenskredite bedient. Erst recht muß an seinen Stabilitätsbemühungen gezweifelt werden, wenn er das Versprechen in sein Stabilitätsprogramm einbindet, daß es Budgetmehrausgaben nur dann gibt, wenn sie durch Ausgabenminderungen in anderen Ressorts ausgeglichen werden. Aber kennt der Finanzminister das Bundesflnanzgesetz nicht? Untersagt das Virementverbot dem Finanzminister doch jedwede Überschreitungen der flnanzgesetzlichen Ansätze ohne Zustimmung durch das

Parlament! Dies hat der Verwaltungsgerichtshof zuletzt in seinem Erkenntnis vom 19. Dezember 1962 eindeutig ausgesprochen, weil dadurch das Bewilligungsrecht des Nationalrates (wie immer man dazu steht) gesprengt werden würde ...

Aber auf dieser Ebene bewegen sich die Ideen des Finanzministers, dem offenbar der Regierungs-Streß doch stärker zugesetzt hat, als man dies bei seinem Auftreten in Pressekonferenzen vermuten würde. Noch vor wenigen Wochen sicherte er der Wirtschaft eine 30prozentige Sonderabschreibung zu, dann nahm er diese Zusage zurück und vertröstete auf das Jahr 1974. Im September 1972 meinte er, eine Baubremse sei nicht zweckmäßig; dann jedoch kürzte er die Budgetausgaben für Schulbauten der Unterrichtsverwaltung und zuletzt verspricht er wieder, die „Baubremse anzuziehen“.

In zwei Dingen aber zeigt sich Hannes Androsch äußerst standfest: Der konjunkturpolitisch falsche Einführungstermin der Mehrwertsteuer bleibt ebenso wie der Mehrwertsteuersatz; an den Ausgabenansätzen des völlig verfehlten Bundesvoranschlages 1973 wird nichts geändert.

Damit bleibt, man muß das immer wiederholen, folgendes wahr: der Bundesvoranschlag 1973 birgt das höchste Budgetdefizit (11,2 Milliarden Schilling), das höchste inlandwirksame Budgetdeflzit (5 Milliarden Schilling), die höchste Zuwachsrate bei den inlandwirksamen Ausgaben ( plus 17 Prozent), die höchste Zuwachsrate bei den bereinigten Ausgaben (plus 15 Prozent), seit ein Finanzminister in der Zweiten Republik (und das ist immerhin seit 27 Jahren) einen Bundesvoranschlag erstellt hat. Das ist, man weiß es ja schon aus der Budgetrede des Finanzministers, ein Budget, das weder mit den Budgets vergangener Jahre zu vergleichen ist noch mit künftigen Budgets gemessen werden kann. Womit Finanzminister Dr. Androsch unzweifelhaft recht hat.

Horst Knapp hat gemeint: „Was sich jetzt abspielt, ist der Ritt über den Bodensee: Ein Vabanquespiel mit der Autorität der ÖGB-Füh-rung; mit der Parteitreue sozialistischer Betriebsräte.“ Dem muß man voll und ganz zustimmen! Wer die letzten Bundesrechnungsabschlüsse (1970 und 1971) und die letzten Bundesvoranschläge (1972 und 1973) hinsichtlich der Lohnsteueranteile an den Nettoeinnahmen des Bundes prüft, wird das feststellen müssen, was an sich grotesk klingt: keine Bundesregierung und kein Finanzminister hat in den letzten zwölf Jahren die Arbeitnehmer stärker zur Ader gelassen als ausgerechnet die unter dem Vorzeichen „sozialreformatorisch“ angetretene Regierung Kreisky mit Finanzminister Androsch. Im Durchschnitt der Jahre 1960 bis 1971 lag der Lohnsteueranteil bei 8,9 Prozent, 1971 lag er bei 11,7 Prozent, 1972 und 1973 wird er bei 12,5 beziehungsweise rund 14 Prozent liegen. Diese Entwicklung zeigt recht deutlich, daß die Arbeitnehmer tatsächlich zu den Leidtragenden des gesamtwirtschaftlichen Verteilungskampfes unter inflationären Bedingungen gehören.

Diese Entwicklung zeigt aber überdies, daß sich unter einer von der SPÖ gestellten Bundesregierung die funktionelle Einkommensverteilung (das ist die Verteilung auf die Produktionsfaktoren Arbeit-Lohn und Kapital-Gewinn) zuungunsten der Arbeitnehmer verschlechtert hat.

Unter diesen Umständen darauf zu hoffen, ÖGB-Präsident Benya könnte eine Zwischenlohnrunde im kommenden Frühjahr verhindern, ist schlichter Selbstbetrug. Daß die Bundesregierung derlei unter der Vorspiegelung von „großen“ Stabilitätsprogrammen, die offensichtlich nur Bla-bla sind, begeht, ist fatal und läßt für die wirtschaftliche Zukunft Österreichs nichts Gutes ahnen.

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