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Als Dänemarks früherer Ju-stizminister Ole Espersen vor kurzem bei einer Tagung über die europäische Asylpolitik mit Politikern, Beamten und Experten zusammensaß, stutzte er über deren Verwendung des Fachausdrucks „The Danish Clause". Espersen wußte nicht, was die „dänische Regel" war, und danun fragte er.

So erfuhr er, welche Praxis in der Fachsprache inzwischen mit dem Namen Dänemark verknüpft ist: Asylbewerber, die auf ihrer Flucht eine Zwischenstation in einem anderen „sicheren Land" machten, in dieses Land zurückzuschicken - selbst dann, wenn diese Zwischenstation nicht mehr war als eine Zwischenlandimg.

Kein anderes Land wendet die Regel, daß der Flüchtling seinen Asylantrag im ersten „sicheren Land" seiner Flucht stellen soll, so strikt an wie Dänemark. „The Danish Clause" ist in der Tat eine dänische Erfindung.

Liberales Dänemark? Nicht in der Flüchtlingspolitik. Nicht mehr zumindest. Dabei hatte das dänische Parlament vor nur fünf Jahren ein Gesetz verabschiedet, das sich, wenn es auch nicht vollkommen war, doch gut in die dänische Tradition der Toleranz und der Solidarität einzufügen schien: Dänemark gab jedem Flüchtling, der an seine Tür klopfte, die Garantie, daß sein Antrag untersucht würde - und jedem, der als Flüchtling anerkannt wurde, einen Rechtsanspruch auf Asyl. Das war 1984.

Damals f reiUch kamen pro Jahr nur wenige hundert Flüchtlinge nach Dänemark, und da ließ sich leichter großzügig sein als zwei Jahre später, als das, was man heutzutage gerne „Flüchtlingsstrom" nennt, auch die dänischen Ufer erreichte. 10.000 Flüchtlinge in einem Jahr waren zwar nicht mehr, als Sudan pro Woche aufzunehmen hat. Doch im wohlhabenden Dänemark lösten sie panikartige „Wir können nicht mehr"-Reaktionen aus.

Und Dänemark machte die Grenzen dicht. Die schönen Worte des Ausländergesetzes hatten nur gegolten, solange sie nicht in Anspruch genommen wurden.

Zu verhindern, daß Fremde überhaupt nach Dänemark vordringen, ist seither erstes Ziel der dänischen „Flüchtlingspolitik". Die Restriktionen wirken. 1988 nahm Dänemark nicht einmal mehr 4.000 Flüchtlinge auf - die meisten von ihnen Iraner und Palästinenser —, und mit immer neuen Einschränkungen werden die letzten noch offenen Fluchtwege gesperrt. Zum Vergleich: Schweden, das sich nach wie vor um eine liberale Handhabe der Asylgesetzgebung bemüht, gewährte im Vorjahr knapp 20.000 Flüchtlingen Aufnahme.

Wer in Dänemark Asyl bekommen will, muß nicht nur die Anforderungen der Flüchtlingskonvention erfüllen. Er braucht zuallererst eiiunal ein Visum. Das ist an sich schon eine Widersinnigkeit, die enthüllt, daß es Dänemark nicht um die Menschen in Not geht, sondern um das eigene Wohlbehagen: Denn wer glaubt im Ernst, daß ein Verfolgter in Santiago, Teheran oder Colombo auf die dänische Botschaft gehen und einen Einreiseantrag stellen kann?

Wer kein Visum hat, wird abgewiesen - es sei denn, er käme direkt aus einem Land, in dem er in Gefahr ist. Daß Dänemark imter „direkt" wirklich direkt versteht, beweist die Anwendung der „dänischen Regel". Eine Zwischenlandung in Frankfurt, Athen oder Wien-Schwechat (siehe den Fall des Rimiänen Virgil Parvu, FURCHE 3/1989) genügt, und Dänemark schickt den Antragsteller

•dorthin zurück, ohne sich seinen Antrag auch nur anzusehen.

Mit Flüchtlingen aus dem Nahen und Mittleren Osten, die über Osteuropa in Dänemark einreisten, hatte man bisher Schwierigkeiten. Nach Ostberlin oder Bukarest schickt selbst Kopenhagen verfolgte Menschen nicht gerne zurück.

Der Ausweg: Man übt Druck auf die Transitländer oder deren Transportgesellschaften aus. Die Fährrouten aus der DDR nach Skandinavien, die von Flüchtlingen aus dem Libanon und dem Iran häufig benützt wurden, dürfen ohne skandinavisches Einreisevisum nicht mehr betreten werden, seit die skandinavischen Re-

gierimgen mit der Einstellung der für die DDR lukrativen Verbindung gedroht hatten.

Die Fluggesellschaften, die bis vor kurzem noch Flüchtlinge via Osteuropa nach Kopenhagen transportierten, werden seit Neujahr mit Bußgeldern von imige-rechnet fast 20.000 Schilling für jeden Passagier bestraft, der kein gültiges Visum besitzt.

Das ist eine besonders perfide Variante der „Flüchtlingspolitik", nicht nur, weil die Fluggesellschaften kaum verhindern können, daß sich ein Fluggast auf der Flugzeugtoilette seiner Reisepapiere entledigt. Man bedient sich des Personals kommerzieller Gesellschaften, um eine Art Grenzkontrolle einzurichten:

Der Mitarbeiter der Fluggesellschaft hat zu entscheiden, wen er an Bord nimmt und wen nicht, und wenn er an die gesalzene Geldstrafe denkt, die auf seine Firma wartet, wenn das Visum des Passagiers sich als gefälscht erweist, wird er im Zweifelsfall wohl gegen den Flüchtling entscheiden.

Flüchtlinge, die versuchen, illegal die deutsch-dänische Landesgrenze zu überschreiten, werden von Spezialkommandos der Polizei und von der Lokalbevölke-nmg gejagt, und besonders hysterische Dänen fordern in Leserbriefen die Einberufung von Präsenzdienern, um die Grenze vor der „Asylanteninvasion" zu schützen. Die „Invasion" besteht aus wenigen Dutzend verzweifelter Familien, aus alten Frauen und kleinen Kindern, die nach ihrer Odyssee durch die Flüchtlingslager glauben, sie könnten in Skandinavien Asyl finden.

Sie alle werden in die Bundesrepublik zurückgeschickt. Zurückschicken will die dänische Ausländerbehörde auch rumänische Flüchtlinge, die über Ungarn nach Dänemark kamen. Sie sollen nach Ungarn zurück, was bedeutet, daß Dänemark nun erstmals ein Ostland als für Flüchtlinge „sicheres"

Land anerkennt.

Da nun endlich alle Fluchtwege ins dänische Inselreich dichtgemacht zu sein scheinen, gibt es nur noch eine Gruppe, die einen Asylantrag stellen kann: Flüchtlinge, die zunächst in ein anderes Land flohen, imd dann dort um ein Visum ansuchen. Ansuchen können sie. Positive Antwort aber bekommen sie kaum: mit Visa ist Dänemark so knausrig, daß dänische Firmen schon lauthals über Geschäftsstörung klagen, weil ihre Kunden aus der Dritten Welt, wenn sie auf Geschäftsreise nach Dänemark reisen wollten, immer öfter abgewiesen werden.

Viel härter freilich trifft die Zurückhaltung die Flüchtlinge. Da sie sich nun ja schon in einem „sicheren" Land befinden - auch wenn es nur ein Flüchtlingslager in der Türkei ist -, bekommen sie in Dänemark kein Asyl. Ausnahmen macht man nur in Fällen der Familienzusammenführung. Doch auch hier gehen die dänischen Behörden ungewöhnlich rigoros vor.

Als eine Gruppe tamilischer Flüchtlinge aus Sri Lanka versuchte, Frauen und Kinder nach Dänemark zu holen, wurde deren Antrag nicht einmal behandelt. Zwar stand außer Zweifel, daß die Männer ein Recht darauf hatten, ihre Familien nachzuholen. Doch der dänische Justizminister glaubte an ein baldiges Ende des Bürgerkrieges in Sri Lanka. Da solle man, beschied er die Behörden, besser abwarten - auch jahrelang — und dann auch die Männer zurückschicken, als die Familien in Dänemark zu vereinen.

Auch den Begriff „Familie" legt Dänemark so streng aus wie nur möglich: Eltern, Gatten, Kinder. Schon Geschwister gelten nicht. Der ehemalige Parlamentarier Preben Wilhjelm, der als Mitglied in jenem Ausschuß sitzt, der über Asylvergabe entscheidet, prangerte kürzlich die restriktive Aus-legimg anhand einer iranischen Familie an, die sich illegal in einem Flüchtlingslager in der Türkei aufhält.

Der Bruder der Frau ist in Dänemark als Flüchtling anerkannt. Sonst hat sie außerhalb des Iran keinerlei Verwandte. Laut dänischem Gesetzestext soll Dänemark Menschen aufnehmen, die zu Dänemark engere familiäre Beziehungen haben als zu einem anderen „sicheren" Land. Dennoch wies der Ausschuß den Asylantrag der Frau ab: die familiären Beziehungen von Geschwistern sind nicht „eng" genug, um ein Asyl zu rechtfertigen.

Als Wilhjelm fragte, welches Land die Frau daim aufnehmen solle, bekam er zur Antwort, daß dies zu entscheiden nicht Sache Dänemarks sei.

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