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Grünberg und der ungewollte Tagesausflug

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Mir wurde schwindlig, kaum daß ich eingestiegen war. Es roch nach Haarlack, es roch nach allem, wonach solche Menschen riechen. Ich hielt mich an der Lehne des Beifahrersitzes fest, während der Reiseleiter den Teilnehmerschein, den ich am Vortag im Büro der „Ideal Voyages" gekauft hatte, prüfte. Er prüfte so lange, bis alle - der Bus war fast voll

- nach vorne schauten. Nachdem er ein paar arabische Worte mit dem Fahrer gewechselt hatte, fragte er auf deutsch, den Mund nahe am Mikrophon: Eine Person? Diese Frage, die mir auch in den meisten Restaurants gestellt wird und deren schon fast demütigende Bej ahung immer zur Folge hat, daß mich der Kellner zum windigsten Tisch des Lokals führt, diese von mir nie als sehr sinnvoll empfundene Frage hörte ich jetzt aus vier Lautsprechern. Ich war verwirrt. Ich konnte nicht nein sagen, wollte nicht ja sagen und nickte schwach. Der Reiseleiter machte eine Bemerkung, die ich nicht verstand, ich hörte Gelächter und sah, als ich mich durch den Gang nach hinten bewegte, ver-fratzte Gesichter links und rechts. Eine Sitzbank war noch frei, allerdings über dem Rad, dessen gewölbte Verschalung meine Beinfreiheit einschränkte. Ich nahm mir vor, auf Karthago zu verzichten. Ich nahm mir vor, beim nächsten Hotelhalt auszusteigen, zu meiner Pension zurückzueilen, das Frühstück nachzuholen und dann nochmals ins Bett zu gehn. Es war mir unerklärlich, wie ich auf die Idee hatte kommen können, einen geführten Tagesausflug zu buchen und mich freiwillig in einen Touristenbus zu setzen, wo ich doch hätte wissen müssen, was für Leute und Ausdünstungen mich in einem Touristenbus erwarteten. Als ich mich umschaute, schwand die Hoffnung auf einen weiteren Halt, alle Plätze waren belegt, und daß der einzige freie Sitz neben mir noch besetzt werden würde, schien unwahrscheinlich. Ich überlegte, ob ich Brechreiz vortäuschend, nach vorne gehen und den Fahrer bitten sollte, anzuhalten und mich aussteigen zu lassen. Der Widerwille, erneut ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, hielt mich zurück. Nach wenigen Minuten bemerkte ich, daß der Bus, statt direkt in die Hauptstraße nach Tunis einzubiegen, eine Zusatzschlaufe machte, langsam durch eine Palmenallee rollte und vor einem Torbogen anhielt. Ich wollte aufstehen, da wurde mein Raum zur flimmernden Wand, ein Riese drückte mich ins Polster.

Hätte ich auf die Zähne gebissen, ich wäre entkommen, was meinst du? Hätte ich mich damals, geschwächt durch Jahre des Wohlbefindens, nicht vom Schwindel bezwingen lassen, dann wäre mir das andere vielleicht erspart geblieben. Nur taumelnd hätte ich die Flucht geschafft, aber draußen, draußen hätte ich mich gestrafft, hätte den Regen umarmt und mich, Meerwind im Haar, federnd entfernt, und wir säßen vielleicht nicht hier, ich leicht geschrumpft und in zu weiten Kleidern, du mit dem Schreibblock auf dem Knie, was meinst du? Ist dir der Stuhl bequem? Er ist dir nicht bequem, ich kenne alle meine Stühle, und dieser sogenannte Zig-Zag-Stuhl aus Ulmenholz ist für das Auge konstruiert, nicht für die anderen Körperteile, lehnst du dich an, so scheuert die Oberkante des massiven Rückenbretts am Dornfortsatz des vierten oder fünften Lendenwirbels, trotzdem zu Recht ein weltbekannter Stuhl, ein Wurf, stark und genau und eine Zumutung wie alle Kunst, ich schweife ab.

Blind war ich nur sekundenlang, der Vorhang hat sich rasch gehoben: Der Bus fuhr bereits, vorne beim Reiseleiter stand ein junger Mann in Shorts, der Reiseleiter schwenkte sein Ticket und sprach - über Mikrophon

- auf ihn ein, entschlossen, sich vor der Busladung erneut zu profilieren. Ich bekam mit, daß der Mann Amerikaner war, weder Deutsch noch Französisch verstand und also in Kauf nehmen mußte, den Erläuterungen des Fremdenführers nicht folgen zu können. Den Amerikaner schien dieser Sachverhalt, falls er ihn faßte, nicht zu quälen, jedenfalls sagte er zweimal okay und zweimal no problem, kam nach hinten und setzte sich neben mich. Er gab mir die Hand und stellte sich vor, Grünberg, Ohio. Ich hatte noch nie einen Amerikaner stottern gehört, Grünberg stotterte und gefiel mir, aber ich war zu wenig konzentriert, um ein Gespräch zu führen, ich fühlte mich ungut und mußte oft gähnen, auch begann der Reiseleiter, sobald wir auf der Hauptstraße waren, mit seinen zweisprachigen Ausführungen. Er stellte zuerst sich selber vor, wahrscheinlich als Ali, Mohamed oder Farouk, dann die tunesische Geschichte im Abriß, und Grünberg, die Hände über dem Geschlecht gefaltet, schlief ein, zuckte, pendelte und kam an meiner Schulter zur Ruhe. Es störte mich kaum, mich störte einzig das Geschwätz des Reiseleiters, der zwar vorzüglich Deutsch und Französisch sprach, aber alles so mechanisch hersagte, wie man nur tausendmal Gesagtes sagen kann. Auch die Spaße waren erprobt, man lachte zuverlässig, meine Verstimmung wuchs. Ich sah überall abstoßende Hinterköpfe auf dürren Hälsen oder auf verspeckten Hälsen, überall sah ich die schau-derhaftetsten Ohren, das fleischigste gehörte meinem Vordermann, sein Ohrläppchen war ein Ohrlappen, unten angewachsen, während die monströse Muschel so weit abstand, daß ich nicht um den Leberfleck auf ihrer Hinterwand herumkam: eine ovale, schwarzviolette Spinne, behaart, bereit zum Sprung. Um mich abzulenken, betrachtete ich eine Weile lang Grünbergs Armbanduhr, aber auch sie war häßlich, klobig wie jede Uhr, die mehr als Uhr sein will. Die in Zeitzonen eingeteilte Weltkarte auf dem Zifferblatt empfand ich als Hochstapelei, und daß der schlummernde Grünberg jetzt noch den Mund öffnete, was den geistreichsten Schläfer zum Trottel macht, verdroß mich vollends.

Ich schloß die Augen, ich versuchte nach Reginas Anweisung positiv zu denken, erfolglos, ich merkte, daß ich negativ über Regina zu denken begann. Man kann eine Stimmung nicht abschütteln. Man kann sich nur fragen, woher sie kommt, ich sah den Vortag vor mir, Regen wie heute, Wind wie heute, Aufhellung gegen Mittag und Spaziergang am Strand, Halsweh, Sand in Sandalen und Ohren, Verfolgung durch halbwüchsige Händler: warum in Hammamet, wenn weder Holzkamel noch Stoffkamel? Flucht in die Stadt, Gang durch die klägliche Medina, alles verdorben, alles verwüstet, nichts als Folklore und nordische Bäuche, Tourismus muß strafbar werden. Am Handgelenk gepackt, in ein Geschäft gezerrt, mit Lederkamelen aus Kamelleder bedroht, Flucht auf die Kasbah, Rentnerinnenschenkel, von Böen entblößt, Flucht an den Stadtrand, dort dann das Unverfälschte: ein Souk für Hiesige, bunt und betäubend, Schrauben, Gewürze, Hühner, alles, dabei die Scham, hier einzudringen, verschleierte Frauen zu streifen, und plötzlich Gemurmel und finstere Blicke, ein Weib, ein blondes T-Shirt-Weib in schwarzen Stiefelchen und schändlichen Hotpants wedelt sich durchs Gewimmel, bauchnabelfrei, bauchna-belfrei! Und die verhöhnten Araber? Packen sie nicht. Werfen sie nicht zwischen die Safran-Säcke. Tun ihr das Fällige nicht an. Ich ging.

A bends Couscous mit Paprika-ZA schoten, Verbrennung des Mun-J. \.des und Schweißausbruch. Schräg gegenüber ein Paar, er um die Dreißig, Tunesier, Anzug, sie ziemlich älter, Deutsche, mit Sorgfalt verjüngt, der Mann tut feurig: die Bekanntschaft ist frisch. Dem Einzelgänger husten die Flöhe, logisch, ich trinke Feigenschnaps, staunend über das zügige Vorspiel schräg gegenüber. Er lobt ihren Leib, faßt ihre Hände, und - ob du es glaubst oder nicht - er sichert ihr Manneskraft zu. Ich trinke Feigenschnaps. Fällt sie? Sie bleibt recht blaß, nur Hals und Ausschnitt verkupfern sich. Ein Junge kommt und bietet Jasminsträußehen an, ich kaufe eines, rieche daran und suche ein anderes Wort für himmlisch. Die Frau schaut rasch zu mir herüber, ich bin abwesend, ich rieche. Sie sagt sehr leise: „Ich habe meine Tage." Der Kellner bringt den dritten Feigenschnaps, dazu ein Teiggebäck, gefüllt mit Dattelpaste. Ich esse, und während ich esse, schlägt sich - ob du es glaubst oder nicht -, schlägt sich der Mann gegenüber an die Stirn und spricht von einem wichtigen Termin, zahlt hastig, krault sie am Kinn und geht. Die Welt ist unhaltbar. Ich klammere mich ans Jasminsträußehen, sauge den Duft ein, will mich blindriechen, will mich taubriechen. Und gebe dir den Rat: Riech nie zu lang an einem Jasminstrauß, nach drei Minuten ist dir plötzlich, als stecktest du die Nase in ein Nachtgeschirr. Ich zahle: Dann ins Hotel, Flucht ins oktoberklamme Bett, Unzucht im Nebenzimmer, die Welt ist unhaltbar.

A ls Grünberg, geweckt vom Brül-

/\ len der Passagiere - der Reise-X \. führer hatte gerade über Flora und Fauna referiert und dabei das Vordringen der Wüste bedauert, was ihm Gelegenheit zu einem seiner eingeplanten Scherze gab, nämlich lieber Sex in der Wüste als Sand im Bett, schwach, schwach, aber insassengerecht -, als Grünberg erwachte, befanden wir uns bereits auf dem Damm, der über den See von Tunis nach La Goulette führt. Grünberg fragte, ob er geschlafen habe, ich sagte yes. Er fragte, warum ich Englisch könne und was ich von Beruf sei, er selbst sei Elektroniker. Ich hätte, angesichts des nahen Karthago, ein wenig schwindeln sollen, statt dessen sagte ich die Wahrheit, von da an blieb er bei mir.

Mehrmals betonte er, daß es für ihn ein großes Glück sei, Karthago zusammen mit einem Archäologen besichtigen zu können. Ich wehrte ab, ich präzisierte nochmals, daß ich kein Archäologe, sondern Denkmalpfleger sei, ausbildungsmäßig ein Historiker mit Schwerpunkt Bau- und Kunstgeschichte, und ich erklärte, mich mit Karthago nie befaßt zu haben, nie mehr als flüchtig jedenfalls, zum letzten mal im Studium, vor vielleicht zwanzig Jahren, mit den Ergebnissen rezenter Bodenforschung sei ich nicht vertraut. What a lucky chance, sagte Grünberg, der entweder nicht zugehört hatte oder mir nicht glaubte, aber sein Stammeln stimmte mich weich. Es paßte nicht zu seiner bunten Hose, wohl aber, wie mir schien, zu seinen Augen. Die flehten irgendwie und zögerten.

Ich bat ihn abermals, mich nicht und auch Karthago nicht zu überschätzen, Karthago sei, was die phö-nizische beziehungsweise punische, kurz die ursprüngliche Gestalt betreffe, aufs gründlichste versunken, archäologisch - soviel ich wisse, mein Wissen sei wie angetönt sehr lückenhaft -, archäologisch nicht sonderlich sensationell, ja unergiebig. Don't worry, sagte Grünberg. Ich brauche Sauerstoff, Moment, bleib nur, laß dich nicht stören, nur zehn Züge, siehst du, hier gabelt sich der Kunststoffschlauch, geht doppelläufig weiter, ein Endstück kommt ins linke und eins ins rechte Nasenloch, das ist schon alles, Augenblick.

Beginn des in Kürze erscheinenden Romans: BIS BALD. Von Markus Werner. Residenz Verlag, Salzburg/Wien 1992. 224 Seiten, öS 278,-.

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