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Digital In Arbeit

Gründerfunktion erfüllt, zur Vision nicht fähig?

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Es ist davon auszugehen, daß die allgemein gültigen Zeichen der Zeitenwende auch die Gewerkschaftsbewegung erfaßt haben. Jene Generationen, die den 2. Weltkrieg nicht miterlebt haben und das Nachkriegsleid nicht erdulden mußten, denen es also nicht mehr um die Sicherung des materiellen Wohlstandes allein, sondern immer mehr um den geistigen Wohlstand geht (und dieser ist nicht nur von Soll und Haben, sondern auch von Sein und Sinn bestimmt), sind überall Mehrheit geworden. Darauf ist Rücksicht zu nehmen.

Neue Technologien sind von der grundsätzlichen Perspektive her als Chance zu sehen. Die Mikroelektronik ist erst zu fünf Prozent

ausgeschöpft. Wir müssen uns die neuen Technologien nutzbar machen, weil sonst der mittelfristige Abbau an Arbeitsplätzen wegen des Verlustes an Konkurrenzfähigkeit furchtbare Auswirkungen haben würde.

Außerdem bietet die Entwick-lungxmd Einführung neuer Technologien ungeahnte Möglichkeiten zur Humanisierung unserer Arbeitsbedingungen. Und sie ermöglichen auch Produktionsprozesse, die mit teuren Energien und knappen Rohstoffen sparsamer umgehen und die Umwelt bedeutend geringer belasten.

Stagnation der Wirtschaft und Stillstand des technischen Fortschritts können wir uns daher nicht leisten, wenn nicht die soziale Sicherheit aufs Spiel gesetzt werden soll.

Aufgabe der Gewerkschaften muß es sein, nicht den notwendigen Strukturwandel zu verhindern, um damit vielleicht kurzfristig Arbeitsplätze zu zementieren, dabei aber langfristig umso mehr zu verspielen, sondern darum bemüht zu sein, die zukunftsorientierte Innovation sozial abzusi-

ehern; also nicht defensiv, sondern offensiv zu agieren.

Nach dem Kampf um mehr Mitbestimmung könnte jetzt eine Phase zu mehr Mitbeteiligung eingeleitet werden. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es immerhin mehr als tausend Unternehmen, an denen die Arbeitnehmer beteiligt sind, in Österreich nicht gerade fünf solcher Modelle.

Mitbeteiligungsmodelle unter klaren Rahmenbedingungen könnten ein interessanter neuer Ansatz gerade auch gewerkschaftlicher Aktivitäten in der nächsten Zeit sein.

Trotz eindeutiger Gesetze müssen viele Arbeitnehmer noch unter unwürdigen Bedingungen ihre Arbeit tun. Wer Betriebsbesuche macht, kann das täglich sehen. Der Arbeitsmedizin, der Arbeitssicherheit und dem Ausbau der Gesundheitsvorsorge und auch der verstärkten Kontrolle muß mehr Bedeutung als bisher geschenkt werden.

Die Summe der vorhandenen Arbeitsplätze in den OECD-Staaten wird sich in den nächsten zwei Jahrzehnten im großen und ganzen nicht sehr verändern.

Arbeitsplätze in den traditionellen Bereichen, das betrifft vor allem Arbeiter und Angestellte, werden verlorengehen; viele Arbeitsplätze werden durch neue Technologien, insbesondere auch im Umwelt- und mitmenschlichen Bereich, geschaffen werden können.

Eine Sockelarbeitslosigkeit wird bleiben. Sie ist für Österreich letztlich seit Jahren zu hoch. Die Vollbeschäftigung als unser

oberstes Ziel immer in den Augen habend, muß es daher zu neuen Formen der Arbeitszeitgestaltung und auch des Arbeit-Teilens kommen.

Die Arbeitnehmer wollen von ihrer Gewerkschaft Hoffnung signalisiert bekommen. Nur wer selber eine Vision über die Zukunft der Arbeit hat, kann sie auch ausstrahlen.

Vor allem aber ist es eine große Herausforderung für die Gewerkschafter, in ihrem Denken und Handeln jene viel stärker einzu-beziehen, die bis jetzt eher stiefmütterlich behandelt wurden: die Arbeitslosen. Sie haben ein Recht darauf, gewerkschaftlich vertreten zu sein. Sie sind es aber nicht.

Denn bei allen wesentlichen Verhandlungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber geht es immer nur um jene, die im Arbeitsprozeß stehen, und nicht um die, die draußen sind. Das gut auch für Hausfrauen, für die Studenten und andere auch.

Gerade ihnen gebührt Solidarität. Sie sind weder in der Gewerkschaft noch in der sogenannten Sozialpartnerschaft vertreten. Und weil die Sozialpartner über die eigentlichen Wünsche und Bedürfnisse derer, die sie zu vertreten hätten, immer mehr hinwegregieren, werden die Verbände und wird die Sozialpartnerschaft zunehmend - und zu Recht - kritisiert.

Daher gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder es setzt sich mit

dem baldigen Personenwechsel an der Spitze der Sozialpartnerschaft die Erkenntnis durch, daß wenige Mächtige am grünen Tisch allein nicht entscheiden können, was jene, in deren Namen sie entscheiden, zu wollen haben; oder die gegenwärtige Form der Sozialpartnerschaft wird aufgelöst, weü sie ihre Gründungsfunktion erfüllt, nun aber zur Vision nicht fähig ist, weil sie Neues nicht will und nicht sieht.

Die Sozialpartnerschaft hat mithelfen können, Konflikte zwischen Arbeit und Kapital zu lösen. In ihrer heutigen Verfassung hat sie die Lösungskapazität verspielt, wenn sie nicht wahrhaben will, daß es den Konflikt zwischen Arbeit und Umwelt gibt. Lösen kann man aber ein Problem erst, wenn man den Konflikt eingesteht Der Bereich Arbeit — Umwelt — Wirtschaft ist für die Zukunft die zentrale Thematik.

Eine Aufgabe bleibt dennoch aus der Vergangenheit für die Zukunft erhalten: der Kampf um soziale Gerechtigkeit. Es ist eine Minderheit, aber dennoch gibt es zu viele Menschen, die mit ihrem Einkommen nicht ' auskommen können.

Zigtausende Arbeitnehmer, darunter viele Familienväter, müssen mit 4.500 oder 5.000 Schilling monatlich auskommen und können es logischerweise nicht. Aufgabe der Gewerkschaften könnte es sein, leidenschaftlich für einen Mindestlohn (einen Mindestlohn durch Arbeit) einzutreten.

Ich persönlich bin der Meinung, daß ein solcher Mindestlohn bei einem Alleinerhalter zur Zeit

nicht weniger als 7.000 Schilling netto (ohne Zulagen) betragen dürfte. Dieser Frage müssen wir uns verstärkt und ohne vordergründige Polit-Hascherei zuwenden. Denn die Einkommensentwicklung der letzten Jahre bedeutet für einen Teü der Menschen jedenfalls zunehmende Reallohn-Verluste bis hin zur nicht mehr möglichen Finanzierung des täglichen Lebens.

In der letzten Sozialenzyklika „Laborem exercens", die Papst Johannes Paul II. 1981 „über die menschliche Arbeit" erlassen hat, wird auch die Bedeutung der Gewerkschaften gewürdigt. Es ist für alle Gewerkschafter eine Ermunterung und Freude, wenn es darin heißt, daß die Gewerkschaften ein unentbehrliches Element des sozialen Lebens, der sozialen Ordnung und der Solidarität, von dem man nicht absehen kann, geworden sind.

Was aber allen, die zwischen Gewerkschaft, Partei und Regierung keinen Unterschied mehr machen, besonders eindringlich in Erinnerung gerufen sei, ist folgender Kernsatz der Enzyklika:

„Es ist nicht Aufgabe der Gewerkschaften, .Politik zu machen'. Die Gewerkschaften haben nicht die Eigenschaft politischer Parteien, die um die Macht kämpfen, und sollten auch nicht den Entscheidungen der politischen Parteien unterstellt sein oder in zu enger Verbindung mit ihnen stehen. Sonst verlieren sie nämlich leicht den Kontakt mit ihrem eigentlichen Auftrag, der Sicherung der berechtigten Ansprüche der Arbeitnehmer im Rahmen des Gemeinwohls des ganzen Landes, und werden stattdessen ein Werkzeug für andere Zwecke."

Der Autor ist Landtagsabgeordneter und Landessekretär des Arbeiter- und Angestelltenbundes der Steirischen Volkspartei. Der Beitrag ist ein Auszug eines Referats im Rahmen der Arbeitnehmertage 1985,. erstveröffentlicht in „politicum 26", Josef-Krainer-Haus-Schriften.

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