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Gründerzeit und Weltausstellung

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Als er starb, konnte sich kaum jemand noch an die Zeit erinnern, da es „den Kaiser" noch nicht gegeben hatte. 86 Lebens-, 68 Regierungsjahre umschlossen die fran-zisko-josephinische Zeit, die an diesem 30. November 1916 beendet war.

An ihrem Anfang stand die bürgerliche Revolution von 1848, die den Schlußstrich unter das Biedermeier gezogen hatte. Kurz nach ihrem Ende brach die bolschewistische Revolution aus, die die Welt verändern sollte — nicht zu ihrem Vorteil.

Diese sieben Jahrzehnte, in denen Österreich zum modernen Industriestaat wurde, sind mehr, als — nach Ansicht der Veranstalter — in einer einzigen Ausstellung zusammengefaßt werden könnte.

1980, der 150. Geburtstag Franz Josephs, der dieser Zeit seinen Namen gegeben hat, wäre ein geeignetes Datum gewesen, dem neuerwachten Interesse der Öffentlichkeit eine umfassende Dokumentation zu bieten. Damals standen die Ausstellungen für Maria Theresia und Josef II. im Vordergrund.

Dieses Interesse hatte schon bald nach Kriegsende eingesetzt. Vergleiche mit andern Fremdherrschaften ließen auch bei denen, die einst gegen den „Völkerkerker" gekämpft hatten, die verflossene Ära in einem milderen Licht erscheinen.

Die Kunsthistoriker entdeckten die Leistungen des Historismus, der Ringstraßenarchitektur, die Wirtschaftshistoriker die Aktivitäten der Gründerzeit, die so vieles vorwegnahmen, worum heute noch diskutiert wird.

So stießen die Initiatoren der Ausstellung auch auf offene Hände, als sie die Kollegen in den Nachfolgestaaten um Leihgaben baten.

Adam Wandruszka, Nestor der Habsburgforscher und verantwortlich für die wissenschaftliche Gestaltung, hätte gerne in drei Teile geteilt: die Zeit des Neoab-solutismus und des Liberalismus zuerst, etwa bis Königgrätz, die Gründerzeit bis nach Mayerling dann, schließlich die Endzeit bis zum Untergang der Monarchie. Das wäre zu viel gewesen.

So mußte man sich mit zwei Teilen begnügen. Der erste, bis zum Höhepunkt der Gründerzeit, bis zur Weltausstellung 1873, wurde am Freitag eröffnet. Der zweite soll 1987 folgen.

Mit Schloß Grafenegg stand auch ein Schauplatz zur Verfügung, wie er nicht passender gedacht werden konnte. Im vorigen Jahrhundert war das alte Renaissance-Schloß im Zeitgeschmack des Historismus völlig umgebaut worden. Makartscher Prunk bietet nun wieder das zeitgemäße Ambiente, nachdem der neue Besitzer, Graf Albert Metternich-Sandor, mit Hilfe des Landes Niederösterreich in mehrjähriger Arbeit viele Millionen in die Restaurierung investiert hatte. Nach dem Jahrzehnt der Russenbesatzung war es fast als Ruine zurückgeblieben.

In diesen Räumen bietet sich nun „das Zeitalter Franz Josephs" dar, nicht er allein. Hier werden die Völker wieder gegenwärtig, die in zehn Sprachen sprechend, sich zu sieben Religionen bekennend, die Monarchie zwischen Bodensee und Karpaten, zwischen Fichtelgebirge und den

Bocche ,di Cattaro bevölkerten.

Die „Gemischtwarenhandlung" ist ebenso naturgetreu aufgestellt wie Webstuhl und Kipppflug, mit denen Handwerk und Landwirtschaft intensiviert wurden.

Hier wird verständlich, wie der Bau der Eisenbahnen den Handel und die Mobilität der Menschen förderte, wie die Schleifung der Wiener Befestigungen zu einem Bauboom und damit zum Aufschwung der Gründer jähre führte — und schon damals gab es Proteste, die Erholungsstätten, die grüne Lunge der Wiener auf dem Glacis zu zerstören ...

Hier wird aber auch deutlich, wie die Menschen vor hundert Jahren lebten — wenn neben dem

Uniformrock des Hofrats die Auflistung steht, wie ein Beamter (mit drei Kindern) mit 2000 Gulden im Jahr auskommen sollte. Und nur die höheren Ränge verdienten 2000 Gulden im Jahr...

Die kaum zählbaren Porträts Franz Josephs vom schmalen Jüngling, wie er 1948 auf den Thron des Onkels gehoben wurde, über den jungen Mann und Bräutigam der schönen Elisabeth und den Herrscher am Höhepunkt seiner Zeit bis zum kahlgewordenen alten Mann am Ende der achtziger Jahre lassen noch nicht ahnen, wie ihn die Tragödien der späteren Jahre zerbrechen sollten.

Der Besucher braucht Zeit, um sich durch all diese Dokumentationen durchzuarbeiten.

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