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Grüne am Scheideweg

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Nach der Euphorie über zahlreiche Wahlerfolge, Genugtuung über das erfolgreiche Engagement in der Friedensbewegung hat die bundesdeutschen Grünen nun der politische Alltag eingeholt. Und der ist, wie sich zeigt, für die Partei, die eigentlich gar keine sein will, höchst gefährlich geworden.

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Nach der Euphorie über zahlreiche Wahlerfolge, Genugtuung über das erfolgreiche Engagement in der Friedensbewegung hat die bundesdeutschen Grünen nun der politische Alltag eingeholt. Und der ist, wie sich zeigt, für die Partei, die eigentlich gar keine sein will, höchst gefährlich geworden.

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Just zu dem Zeitpunkt, wo im Bundesland Hessen die dortigen Grünen dabei sind, ein Stück Politikfähigkeit zu beweisen, ist in der Bonner Bundestagsfraktion ein Konflikt ausgebrochen, der die Zukunft der Grünen nachhaltiger in Frage stellt als alle bisherigen Streitereien.

Der grüne Bundestagsabgeordnete Gert Bastian, ehemals General bei der Bundeswehr und engagierter Friedenskämpfer, drohte seinen Kollegen mit dem Austritt aus der Partei unter Mitnahme seines Mandats — was die dem imperativen Prinzip huldigenden Grünen besonders erregen muß. Der Unmut hatte sich bei Bastian seit langem aufgestaut. Ihm paßt es nicht, daß die Fraktionsarbeit durch die Kaderpolitik kommunistischer Gruppen im grünen Spektrum mehr und mehr fremdbestimmt wird.

Vor allem die in Bündnisstrategien bestens geschulten Leute aus dem ehemaligen Kommunistischen Bund (KB) machen nach Bastians Urteil immer stärker ihren Einfluß geltend. Das äußert sich dann in Einseitigkeiten bei der Abrüstungskampagne, in mehr oder weniger offenen Unterstützungsaktionen für von der moskautreuen DKP gesteuerten Unternehmungen aller Art.

Weil diese Leute von der sogenannten Z-Fraktion gelernt haben, zäh und zielstrebig ihre Absichten zu verfolgen, haben sie gegenüber den auf Spontaneität und unkonventionelle Aktionen setzenden „normalen" Grünen erhebliche Vorteile. Da dient dann der Umweltschutz, Keimzelle der grünen Bewegung, nur noch als eines von vielen Mitteln zum eigentlichen Zweck: dem sozialistischen Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Bundesrepublik.

Auch das aus dem basisdemokratischen Konzept herrührende Rotationsprinzip, nach dem die grünen Abgeordneten, die normalerweise für vier Jahre in die Parlamente gewählt sind, spätestens nach zwei Jahren Nachrückern Platz machen müssen, bereitet zunehmenden Verdruß.

Denn nicht nur daß zwei Jahre in den Augen von Bastian zu wenig sind, um sinnvolle Arbeit zu leisten, vielmehr müssen aufgrund der „Sindelfinger Beschlüsse" der Grünen vom Jänner 1983 die Mandatsträger mit ihren Nachrückern von Anfang an eine Bürogemeinschaft bilden — zur Einübung, wie es heißt. Diese Bürogemeinschaften aber sind Ausgangspunkt zahlloser Konflikte. Sie führen, wie Bastian in seinem Brief an die eigene Partei schreibt, zu „Leistungsverlusten" und bewirken eine „Konkurrenzsituation, in der sich augenblickliche und künftige Mandatsträger nicht als Partner, sondern eher als Kontrahenten betrachten".

Hinzu kommt, wie Bastian beklagt, die oftmals absolute Unzulänglichkeit der Nachrücker. Bastians Austrittsdrohung ist schon deshalb für die Grünen ein schwerer Brocken, weil einem solchen Schritt mit Sicherheit andere prominente Parteigänger folgen würden.

Während diese Konflikte immer stärker hochkochen, kommt den Grünen weiteres Ungemach durch das Verhalten ihrer Jünger in Hessen ins Haus. Obwohl die dortige grüne Truppe per Basisbeschluß mehrheitlich die Verhandlungen mit der Landes-SPD für eine langfristige Zusammenarbeit gutheißt, ist diese Entwicklung auf Bundesebene heftig umstritten. Der Krach ist die Auswirkung eines Geburtsfehlers der Grünen.

Als man sich 1980 aus mehreren Gruppierungen zur Partei zusammenraufte, blieb eine klare politische Konzeption auf der Strecke. Im hektischen Aktionismus verdrängte man die ungelöste Kardinalfrage, ob man denn fundamentalistische Opposition zu allen etablierten Parteien betreiben oder unter Preisgabe des Prinzips, mit den „Agenten des bestehenden Systems" keinerlei Verbindungen einzugehen, dort mitmischen solle, wo sich die Gelegenheit biete.

Je länger nun die Grünen auf den Parlamentsbänken sitzen, desto größer wird die Versuchung, fundamentalistischen Strategien abzuschwören und den Verlok-kungen der Macht nachzugeben. Die korrumpierende Erkenntnis, daß mitregieren muß, wer mitbestimmen will, findet im alternativen Lager mehr und mehr Anhänger.

Der neue Trend gelangte im hessischen Usingen jetzt erstmals auch an der Basis zum Durchbruch. Der Landtagsabgeordnete Karl Kerschgens, einer der Wortführer des pragmatischen Kurses bei den grünen Hessen, überzeugte die Mehrheit mit einer plakativen Frage: „Wollen wir nun Sauerteig in der Politik sein, also Wirkung haben, oder wollen wir den Sauerteig im Kühlschrank einfrieren?" Die Fundamentalisten, die das Parlament allenfalls als Klamaukbühne akzeptieren und jede Berührung mit dem „todbringenden Industriemoloch und seinen Agenten" (Rudolf Bahro) scheuen, bleiben abgeschlagen auf der Strecke.

Damit aber hat die eigentliche Auseinandersetzung in den grünen Reihen erst richtig begonnen.Und auch die Grünen selbst räumen ein, daß das Ringen mit Abspaltungen enden kann, die die Bewegung insgesamt empfindlich schwächen. Daß reine Fundamen-tal-Opposition außer Selbstbefriedigung nichts bewirkt, wollen die Anhänger dieser Richtung nicht wahrhaben. Ihnen geht es um die Reinheit ihrer konfusen Lehre, die im Kern - durchaus richtig - die Grünen nur als AntiReflex gegen alles Etablierte versteht.

Dagegen hält Joschka Fischer, einer der pragmatischer denkenden grünen Abgeordneten im Bundestag: „Politik, das ist Vergewaltigung oder Kuhhandel. Wir Grünen haben uns entschieden für den reformerischen Weg, den Weg der Machtbeteiligung, das heißt auch den Weg des Kuhhandels."

So sinnvoll das im Kalkül der Grünen ist, die endlich eigene Erfolge in der Politik sehen wollen, so sicher ist es auch das langfristig wirksam werdende Todesurteil für diese Partei. Denn realistischerweise kann der einzige Partner für Machtbeteiligung nur die SPD sein, deren Entwicklung auf Teilgebieten eine ernsthafte Konkurrenz zu grünem Gedankengut etabliert hat. Wenn sich aber die Unterschiede mehr und mehr verwischen, das spezifisch Grüne keinen Alleinvertretungsanspruch mehr rechtfertigt, ist einem Herüberschwappen des Protestwählerpotentials zur SPD auf Dauer nicht zu wehren.

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