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Grüne Sorgenfalten

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Das Jahr 1974 war durch unsichere Weltmärkte, Rohstoff- und Ernährungskrisen sowie eine wachsende Unzufriedenheit der Bauern charakterisiert. Das 300 Millionen Menschen umfassende „Grüne Europa”, 1958 in Rom mit viel Elan und Zuversicht geboren, enttäuschte 10 Millionen Bauern. Nach mehr als einem Vierteljahrhundert gemeinsamen Agrarmarktes wurden auch die Optimisten zu Pessimisten, und selbst der bundesdeutsche Landwirtschaftsminister Erti gibt zu, daß der EWG-Agrarmarkt nur dann eine Überlebenschance hat, wenn grundlegende Reformen im Bereiche der Agrarpolitik gelingen, die Finanzierung der Förderungsmaßnahmen nicht ausufert und der agrarische Wettbewerb einigermaßen harmonisiert werden kann. Tausende Bauern demonstrierten im Jahr 1974 in allen europäischen Ländern gegen die Agrarpolitik.

• In Frankreich spießten wütende Bauern lebende Ferkel auf die Umzäunungen der Verwaltungen.

• In Holland bauten sie auf Autobahnen mit Traktoren Barrikaden.

• In Belgien und Italien drohten sie ihren Ministern mit Heugabeln.

• Im deutschen Hannover karrten sie ihren Mist vor das Landwirtschaftsministerium.

• In Cherbourg und Hamburg ließen sie eine Schiffsladung mit billigem Schweinefleisch aus Rotchina nicht ins Inland.

Von dieser Unruhe blieb Österreich nicht verschont. Der 400.000 Mitglieder starke ÖVP-Bauernbund, der 1974 ein neues Statut erarbeitete und sich zu einer Politik für den gesamten ländlichen Raum bekannte, hat in mehreren harten Verhandlungsrunden mit der Bundesregierung für die Durchsetzung berechtigter agrarpolitischer Anliegen gekämpft. Die vom Parlament beschlossene Verlängerung der Agrarmarktordnung und des Landwirtschaftsgesetzes artete in einen Nervenkrieg zwischen ÖGB und Bauernbund aus. Es war Lamdwirtschafts- minister Weihs sowie der Verhandlungsweise Präsident Minkowitschs zu verdanken, daß in Zeiten unsicherer Weltmärkte die Vernunft über parteipolitische Opportunitäten siegte. Die geltende Agrarmarktordnung schützt Konsumenten und Produzenten vor Versorgungsschwderigkei- ten und Preisschwankungen.

Das Jahr 1974 brachte vor allem für die österreichischen Rinderzüchter, insbesondere im Bergbauemge- biet, große Einkommensverluste. Das Landwirtschaftsministerium stellte zwar zur Marktentlastung auf dem Rindersektor 453 Millionen Schilling bereit und verhinderte so einen Preiszusammenbruch, trotzdem war es nicht möglich, die negativen Auswirkungen der EG-Importsperre gänzlich zu vermeiden. Ersten Berechnungen zufolge wird sich zwar die Wertschöpfung der Landwirtschaft im Jahr 1974 gegenüber 1973, als sie 38 Milliarden Schilling erreichte, neuerlich erhöhen, die gute Einkommensentwicklung der Jahre 1970/73 wird aber aller Voraussicht nach eine Stagnation erfahren. Die zu erwartende nominelle Einkommenserhöhung in der Landwirtschaft dürfte unter dem Niveau des Verbraucherpreisindex liegen. Zufrieden konnte die Landwirtschaft im Jahr 1974 mit der Rekordgetreide- emte von über 3 Millionen Tonnen und der guten Zuckerrübenemte mit 2,20 Millionen Tonnen sein, während die Weinernte mit 1,7 Millionen Hektoliter weit unter den Erwartungen blieb.

Während die Experten in Österreich und in Europa frühestens im 2. Halbjahr 1975 eine Entspannung auf dem Rindersektor erwarten, wird Österreich im kommenden Jahr den Rinder- und Schweinefleischbedarf wiederum aus der heimischen Produktion decken können. In verschiedenen Stellungnahmen über die agrarwirtschaftliche Situation des zu Ende gehenden Jahres betonten

Landwirtschaftskammerpräsident

Lehner und Bauembundpräsident Minkowitsch, daß es im kommenden Jahr vor allem darum gehen werde, gezielte Maßnahmen zur Marktstabilisierung und zur Einkommensverbesserung durchzuführen. Wenn auch die ÖVP-Agrarier mit dem Agrarbudget 1975 nicht zufrieden sind, so steht trotzdem außer Frage, daß es Landwirtschaftsminister Weihs in seinem letzten Amtsjahr gelingen dürfte, seine Bergbauemund Grenzlandpolitik weiter zu intensivieren und eine geordnete Durchführung aller Ressortaufgaben sicherzustellen. Der von den Agrar- politikem des öfteren bekundete Wille zur Zusammenarbeit sollte daher auch 1975 der Garant für eine gedeihliche Entwicklung der österreichischen Land- und Forstwirtschaft sein

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