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„Grünes” Rezept aus Kolumbien

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Sonnenkollektoren aus ausgebrannten Leuchtstoffröhren, die Warmwasser erzeugen; Windmühlen mit Windfängern aus Alublech, die Wasser aus dem Boden pumpen; und Kleinstkraftwerke an Bächen, die Strom erzeugen; In Kolumbien wird über „grüne” Alternativprojekte nicht nur diskutiert. Eine Gruppe von Universitätslehrern ist gemeinsam mit Siedlern darangegangen, sie auch zu verwirklichen.

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Sonnenkollektoren aus ausgebrannten Leuchtstoffröhren, die Warmwasser erzeugen; Windmühlen mit Windfängern aus Alublech, die Wasser aus dem Boden pumpen; und Kleinstkraftwerke an Bächen, die Strom erzeugen; In Kolumbien wird über „grüne” Alternativprojekte nicht nur diskutiert. Eine Gruppe von Universitätslehrern ist gemeinsam mit Siedlern darangegangen, sie auch zu verwirklichen.

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Nach der Verfassung ist Kolumbien eine Demokratie. Tatsächlich herrscht seit Jahrzehnten Ausnahmezustand, und hinter der Zivilregierung steht ein Militär, dessen Art und Einfluß - Folterungen auch bis zum Tode, ungerechtfertigte Festnahme sozial Tätiger, Gewerkschafter, Bauern- und Bürgerführer und Intellektueller - seit der Geiselnahme in Bogota auch in Europa bekannt geworden sind.

Extrem wie der Gegensatz zwischen (vielen) Armen und (wenigen) Reichen, wie das Klima und die Völker des Landes am Äquator sind auch die Möglichkeiten: Während in Bogota auch in Regierungskreisen diskutiert wird, ob man den milliardenträchtigen Marihuanahandel legalisieren soll, unterstützte dieselbe Regierung das größte und erfolgreichste Alternativprojekt der Welt, das ausschließlich auf Sparsamkeit und Lebensqualität fernab jedes (Marihuana-)Luxus gerichtet ist.

Das klingt wie ein Langzeit-Forderungskatalog der Grünen. Für 5000 Familien ist es nach zwölf Jahren des Experimentes in den Llanos, den Tiefebenen des Orinokobeckens von Kolumbien der Alltag.

Die Bedingungen, welche eine zielstrebige Gruppe von kolumbianischen Universitätslehrern mit zunächst nur einigen Dutzend Siedlerfamilien vorfanden, sind hart: die Tiefebene trocknet jedes Jahr für vier Monate völlig aus; der Boden ist so karg, daß er nicht in üblicher Weise bewirtschaftet werden darf; das schmale Dschungelband, welches die Wasser-Lebensadern zwischen den baumlosen Ebenen schützt, bietet das einzige Holz, darf aber nicht gerodet werden; das wehige Grün der Llanos geht in der Äquatorglut der trockenen Monate regelmäßig in Flammen auf.

Dennoch gibt es in „Las Gaviotas” Wasserkraftwerke, Brunnen, dieaus der Tiefe das ganze Jahr Wasser bringen, reiche Gemüse- und Palmenernten und sogar Viehzucht.

Und nicht nur das: Es gibt ein gut funktionierendes Kommunal- und Kulturleben zwischen den weit verstreuten Höfen und dem „Las-Gaviotas-Zen-trum”.

Das Schulwesen, das Lehre und Praxis nicht trennt (jeder Meister, sei er Tischler, Elektriker, Gärtner oder Mechaniker ist in seiner Werkstatt auch Lehrer in seiner Schule), ist ebenso wie die Verwaltung und das Kulturleben ganz auf die Bedürfnisse der jungen Gemeinde ausgerichtet und von ihr entworfen.

Der Gründerelan hält seit zwölf Jahren an. Das Erfolgsrezept von Las Gaviotas - die UNO empfiehlt es wärm-stens weiter: Man sieht sich in vergleichbaren Regionen in anderen Erdteilen nach bereits bestehenden energiesparenden Methoden um.

Ein Beispiel: Die Technik, Gemüse in Gegenden, wo der Boden durch Ackern sofort verlorengeht, in Kisten und Töpfen unter (wieder verwendbaren) Plastikdächern zu ziehen, ist nicht neu. Neu ist, wie sie den Llanos so angepaßt worden ist. Jedes Gemüse wächst reichlich ohne den sündteuren Stickstoffdünger. Gedüngt wird nur mit einigen (weit billigeren) Spurenelementen.

Auch Windmühlen für das Heraufpumpen von Trinkwasser sind keine Sensation mehr. Sensationell ist die Verbesserung zu einer leichten Variante ohne Fahne, deren Windfänger aus Alublech sind. Diese Variante kostet um zwei Drittel weniger als üblich. Das Windrad pumpt auch in den Trok-kenmonaten genug Wasser für einen Hof, der im Schnitt sechs Kilometer vom Nachbarn entfernt ist.

Auch beim Vieh mußte man sich sorgfältig umsehen: die zarte Rasennarbe verträgt keine intensive Weide, aber die indischen Zeburinder und eine

Schafart aus Kenia schonen das magere Grün.

Zur Selbstversorgung der Kolonistenhöfe gehören auch Warmwasser und Strom. Das Warmwasser liefern Sonnenkollektoren, die aus ausgebrannten Leuchtstoffröhren zu den billigsten Kollektorenmodellen der Welt zusammengebaut werden (vor kurzem lieferte Las Gaviotas diese Technik in die kolumbianische Großstadt Medel-lin: Dort wurde sie für einen Wohnblock mit 68 Appartements installiert).

Den Strom liefern Klein- und Kleinstkraftwerke, die das geringe Gefälle der Bäche oder den Druck eines Stauteiches (er ist gleichzeitig Badeidylle im grünen Dschungelschatten) nützen.

Inzwischen sind die Versuche zu ausgereifter Technik geworden. Im Las Gaviotas-Zentrum wurde eine Fabrik errichtet, in der die Siedler an ihren Serienprodukten für den Export arbeiten. Die Geräte, die heuer noch in Produktion gehen sollen, sind billig und einfach zu warten. Ihre Herstellung ist nach den Gegebenheiten der meisten bevölkerungsreichen Entwicklungsländer äußerst rationell: sie ist materialsparend und handarbeitsintensiv.

Von den vielen Dingen, die den besonderen Alltag von Las Gaviotas ausmachen, seien kurz noch erwähnt:

• Von den Staudämmen über die Kanäle, den Haus- und Straßenbau bis hin zur Errichtung der neuen Fabrik wird alles von den Siedlern selber gemacht. Die Techniker der Universitäten und der Regierung kommen aus Bogota nur, um zu beraten, nicht um Anordnungen zu treffen.

• Indianertradition wird, wo es sinnvoll ist, übernommen, so etwa bei der ölgewinnung aus Palmnüssen. Auch die Heilkunde der Indianer ist oft nutzbringender in dieser Gegend als ein Er-ste-Hilfe-Kurs.

• Zweisprachige Schulbücher versuchen, das indianische Kulturelement, das durch die Kolonisation in Südamerika weiterhin brutal zurückgedrängt wird, zu erhalten. Laientheater und Gemeinschaftsspiel sollen helfen, die verschiedenen alten und neuen Ausdrucksformen zu pflegen.

• Energiesparsamkeit (jeder Tropfen Erdöl muß ebenso wie jedes Stück Holz von weit her geschafft werden -deshalb auch die Freude der Siedler über die „Devisen” aus dem Export von Palmöl und eigenen Maschinen), Materialsparsamkeit und Arbeitsintensität bleiben als roter Faden:

Zuckerrohr wird mit einer handbetriebenen Maschine ausgepreßt; die nährstoffreiche Wurzelfrucht Man-diok, die nicht lagerfähig ist, wird in einer Mühle gemahlen, die ein Mann über Fahrradpedale treibt. Das Trocknen der Substanz zum haltbaren Man-diokmehl besorgt dann die Sonne.

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