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Grund zum Feiern?

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Seit Jahren hat der brasilianische Franziskanerpater Leonardo Boff Schwierigkeiten mit der Glaubenskongregation in Rom. Ein Studientag in Linz machte die berechtigten Anliegen dieses 53jährigen Befreiungstheoiogen, aber auch die Sorgen Roms verständlich.

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Seit Jahren hat der brasilianische Franziskanerpater Leonardo Boff Schwierigkeiten mit der Glaubenskongregation in Rom. Ein Studientag in Linz machte die berechtigten Anliegen dieses 53jährigen Befreiungstheoiogen, aber auch die Sorgen Roms verständlich.

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„Anlaß zum Feiern ist das für die Kolonialherren, für die Indios und die Schwarzen ist dieses Datum ein Alptraum." So sieht Leonardo Boff, führender Kopf der „Theologie der Befreiung", den 12. Oktober 1992, an dem sich die „Entdeckung Amerikas" durch Christoph Kolumbus zum 500. Mal jährt. Im Rahmen eines Studientages „500 Jahre Lateinamerika" an der Linzer Universität nahm Boff, der ausgezeichnet deutsch spricht, sehr offen und sehr engagiert zu den Problemen Lateinamerikas und zu inner-kirchlichen Spannungen Stellung und meinte, er verstehe sich als Stimme derer, deren Vertreter in Europa mehr gehört werden sollten: der Indianer und der schwarzen, von Sklaven abstammenden Südamerikaner.

Zusammenprall von Kulturen

„Wir sind das Resultat des Expansionsgeistes der europäischen Kultur", betonte Boff. Es habe in Lateinamerika keine „Begegnung", sondern einen „Zusammenprall" von Kulturen gegeben. Die Kirche sei als Mitwirkende an diesem „Kolonialprojekt" mitschuldig geworden, obwohl es zugleich immer wieder in der Kirche Männer und Frauen gegeben habe - von Bartolome de Las Casas bis zu Helder Camara -, die sich für die Rechte der Indianer und Schwarzen einsetzten.

Man könne 500 Jahre Lateinamerika aus verschiedenen Perspektiven sehen, aus jener der Männer auf den Caravellen, die das Land unterjochten und ausbeuteten und nachweislich ausschließlich oder vorwiegend auf Gold, nicht auf „Evangelisierung", aus waren, oder aus der Perspektive derer, die zunächst gastfreundlich am Strand standen und dann Opfer der Unterdrückung und eines grausamen Völkermordes wurden. Ihnen und ihren Nachkommen sei kein befreiendes Evangelium verkündet worden. Eine dritte Perspektive sei die der Selbstentdeckung, der Besinnung auf die Geschichte und die Traditionen vor Kolumbus. Man könne von den Indianern vieles lernen.

Bischöfe werden „bekehrt"

Ausgehend von dem Satz „Gott ist früher als die Missionare gekommen" plädiert Boff für Inkulturation, für einen lateinamerikanischen Katholizismus, für eine Kirche, die mehr „communial" als „pyramidal" sei, die auf einer Vernetzung von Bibelkreisen und Basisgemeinden aufbaue. Die alte Kirche Europas wolle zwar einen starken Katholizismus in Lateinamerika, jedoch einen abhängigen, kontrollierten. Lateinamerika habe aber das Recht auf einen eigenen Weg. Im Jahr 2000 werden 52 Prozent der Katholiken in Lateinamerika leben, man könne nicht von ihnen verlangen, den römischen Katholizismus immer wieder zu reproduzieren.

Von der Gefahr einer Spaltung will Boff nicht reden, aber große Konflikte seien möglich. Man leide auch in Lateinamerika unter dem konservativen Kurs der römisch-katholischen Kirche und einseitigen Bischofsernennungen. Man könne aber feststellen, „daß die Wirklichkeit stärker ist und lauter redet als die Personalpolitik des Vatikans". Wenn sich nämlich - so Boff - die neuen konservativen Bischöfe als Hirten ernsthaft „mit dem Skandal der Verarmung, mit dem

Schrei des Volkes" befassen, lassen sich viele „bekehren". So stünden zum Beispiel in Brasilien noch zwei Drittel der Bischofskonferenz (etwa 240 von 360) eindeutig zur „Option für die Armen".

Marx noch aktuell?

Boff bezeichnet sich selbst als Optimist, wenn er hofft, daß die „befreiende Tradition" der lateinamerikanischen Bischofsversammlungen von Medellin (1968) und Puebla (1979) bei der Versammlung in Santo Domingo im nächsten Jahr „bewahrt und verstärkt wird, weil die soziale Situation schlimmer geworden ist". Die bisherigen Vorbereitungspapiere für dieses Bischofstreffen hält Boff für nicht haltbar, weil sie der Realität nicht gerecht werden.

In Frühjahr 1991 entzogen seine Ordensoberen dem unbequemen Franziskaner die Leitung der Zeitschrift „Vozes" - auf Druck von Rom, das Boff schon einmal (1985) ein Jahr „Bußschweigen" auferlegt hatte. Rom wirft ihm vor allem sein In-Frage-Stellen hierarchischer Strukturen und eine marxistische Ideologisierung der Theologie vor. In Europa hat Marx ausgedient, lebt er bei den Befreiungstheologen weiter? „Wir sind nicht an Marx, wir sind an den Armen interessiert", betont Boff und beklagt, daß der Marxismus-Vorwurf das Leben vieler lateinamerikanischer Katholiken gefährde. Im Kapitalismus aber sieht er für die Dritte Welt schon gar nicht das Heil, mag man auch derzeit dazu „verdammt sein, in diesem System zu leben". Leonardo Boffs Sicht der Zukunft: „Die ökologischen Fragen werden derart groß sein, daß sie uns zwingen werden, einen alternativen Weg zu finden."

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