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Grundvertrag mit Moskau

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Ungarn will den Gefahren, die sich aus der Auflösung des Warschauer Paktes ergeben, begegnen. Seine Chancen sind jedoch nicht ermutigend.

Obwohl gegenwärtig niemand genau zu beurteilen vermag, welche Mittel Moskau noch zur Beeinflussung des Willens der einstigen Bruderstaaten zur Verfügung stehen, scheint es den Polen in erster Linie darum zu gehen, dem mächtigen Nachbarn gegenüber Stärke zu demonstrieren. Die offizielle Parole Warschaus, möglichst weit auf Distanz zur UdSSR zu gehen, wäre zweifelsohne imposant, wenn sie nur nicht die Tatsache verdeckte, daß zwischen Polen und der Sowjetunion - im Gegensatz zu Ungarn und der CSFR - kein Vertrag über den Abzug der Sowjettruppen existiert.

Etwas günstiger ist die Lage Prags, wo man sogar die antideutschen Ressentiments über Bord zu werfen bereit ist, nur um die Unterstützung Bonns zu einer NATO-Mitgliedschaf t zu ergattern. Daß Brüssel schon längst - und zwar nicht nur einmal - abgewunken hat, scheint an der Moldau niemanden zu stören.

Die Ungarn wollen diesmal etwas realistischer bleiben. Der Tatsache bewußt, daß ihr Land fast 70 Prozent der Energie aus der UdSSR bezieht, hat sich die christlich-nationale Regierung in Budapest zu einem großangelegten diplomatischen Manöver entschlossen. Bereits vor Unterzeichnung des Protokolls über den Abbau des Warschauer Paktes (am 25. Februar in Budapest) sind Gespräche mit Moskau über einen Grundvertrag in die Wege geleitet worden.

Unterhändler David Meister, stellvertretender Staatssekretär des Außenamtes an der Donau, spricht diesbezüglich von einer künftigen Sicherheitspartnerschaft, die auf den Grundlagen sogenannter negativer Garantien beruhen soll. Demnach verpflichten sich die Partner zu gegenseitigem Gewaltverzicht. Sie sollen auf ihrem Territorium keinerlei sich gegen das andere Land richtende Aggression zulassen beziehungsweise einem eventuellen Aggressor die Hilfeleistung verweigern.

Für die Ungarn gelte dabei auf jeden Fall - so Meister - ,die Perestrojka in keiner Weise zu beeinträchtigen. Welche Kreise aber in Moskau wirklich noch Perestrojka-Anhänger sind, vermögen allerdings nicht einmal die Ungarn zu sagen. Sie müssen ständig mit dem Unsicherheitsfaktor kalkulieren, der sich bereits bemerkbar gemacht hat.

Einen Tag nach der Unterzeichnung des Budapester Protokolls hieß es in der Moskauer „Prawda”, die osteuropäischen Staaten müßten sich nun vertraglich verpflichten, keinem Bündnis beizutreten, das sich gegen die Interessen eines der Länder in dieser Region richte.

Warschau und Prag, die den ungarischen Vorstoß als eine Art Testballon betrachtet haben, sehen sich in ihrer Ansicht bestätigt, daß Moskau jede Möglichkeit zur Wahrung seines Einflusses wahrnehme. Nun ist aber Budapest auch bereit, sich von Moskau den Spielraum bestimmen zu lassen.

Die christlich-nationale Regierung Jözsef Antalls ist sich der Tatsache, ohne Rückendeckung dazustehen, wohl bewußt: die sowjetische Forderung anzunehmen hieße jedoch, gerade die Chance einer künftigen westlichen Rückendeckung aufzugeben. Im Klartext geht es darum, daß für die Magyaren die europäische Integration die schrittweise Annäherung nicht nur an die EG, sondern auch an die (Verteidigungs-)Westeuropäische Union WEU bedeutet.

An eine NATO-Mitgliedschaft wird vorerst nicht gedacht. Dafür soll aber die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit dem Nordatlantischen Bündnis vertieft werden. Dies wird auch in Brüssel begrüßt.

Die neulich von den Sowjets gestellten Bedingungen, hieß es vergangene Woche in Budapest, könnten den Sinn des in Angriff genommenen Grundvertrages in Frage stellen. Nun kommt es darauf an, wer in den nächsten Verhandlungsrunden, die in einigen Tagen fortgesetzt werden sollen, mehr Stehvermögen besitzt.

Die Ungarn wissen sehr wohl, daß sie von Moskau - wer da auch immer die Perestrojka macht - wirtschaftlich erpreßt werden können. Von den Ländern des Visegräd-Gipfels (Polen, CSFR und Ungarn, FURCHE 8/1990, Anm.d.Red.) kann diesbezüglich wenig erwartet werden, da sowohl Prag als auch Warschau mit den Schwierigkeiten einer in Destabilisierung begriffenen Volkswirtschaft konfrontiert sind (siehe Bielecki-Interview Seite 3). Die Dankbarkeit der Ungarn für die Wiedervereinigung so verbundenen deutschen Bundesregierung kann auch nicht überstrapaziert werden, da diese gerade dabei ist, von den eigenen Bürgern den Beitrag für die Einheit in Form von Steuererhöhungen einzutreiben.

In Budapest kommen auch noch innenpolitische Schwierigkeiten hinzu: die allgemeine Unzufriedenheit mit der christlich-nationalen Regierung ist in letzter Zeit nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen gewachsen.

An die ständigen Preiserhöhungen haben sich die Ungarn fast schon gewöhnt - doch immer mehr Menschen erkennen mit zunehmendem Unwillen, daß die Demokratie die mittleren Führungskräfte des vergangenen Regimes nicht nur auf ihren alten Posten belassen, sondern ihnen auch noch verfassungsmäßig garantierte Rechte gegeben hat, ihr Unwesen ungestört weiterzutreiben. Und mit all diesen Faktoren - das ist sicher - wird auch in Moskau kalkuliert.

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