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Grundwerte - Grundrechte: Ordnung im Rechtsstaat

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Mit 986 Hörern lag die Teilnehmerzahl der heurigen Salzburger Hoch- schulwöchen etwas unter dein Durch- schnitt der letzten Jahre. Das mag wohl auch an der juristisch-rechtsphilosophisch orientierten Themenstellung gelegen sein, deren Attraktivität naturgemäß geringer ist als jene von Themen der letzten Jahre, wie „Frage nach Sinn - Frage nach Gott“ oder „Grenzerfahrung Tod“.

Die etwas abstrakte Formulierung „Rechte, Werte, Normen“ mochte zusätzlich den Eindruck verstärken, hier handle es sich ausschließlich um eine trockene Juristenangelegenheit. Offenbar wollte der Veranstalter damit zum Ausdruck bringen, daß er nicht willens ist, dem gerade herrschenden Modetrend nachzulaufen, nämlich der „Grundwertedebatte“, die seit 1970 in der Bundesrepublik Deutschland im Gange und vor den letzten Bundestagswahlen zum Wahlkampfthema geworden ist. Inzwischen hat sich diese Auseinandersetzung über den Zusammenhang von Grundwerten und Grundrechten hoffnungslos festgefahren, die wesentlichen Positionen sind hinlänglich bekannt und die berechtigte Frage ist, ob hier überhaupt noch neue Einsichten zu gewinnen sind. Die Salzburger Hochschulwochen - übrigens die besten seit vielen Jahren - haben in diesem Punkt auch den Skeptiker und Zweifler eines besseren belehrt.

Es ging bei diesen Hochschulwochen um die wachsende Schwierigkeit, die Ordnung des freiheitlichen Rechtsstaates im Hinblick auf die offenbar schmäler gewordene Basis des Konsenses der Bürger über die gemeinsamen Grundwerte entsprechend zu legitimieren. Es sind die tragenden Fundamente unseres gesellschaftspolitischen Gemeinwesens, die heute nicht nur zur Diskussion, sondern - wie man es vor wenigen Jahren noch nicht für möglich gehalten hätte - auch zur Disposition stehen, und über die sich nicht nur Konservative und Klerikale ernste Sorgen machen.

„Jedermann in der Bundesrepublik beruft sich heute auf das Grundgesetz, jedermann bekennt sich zum Grundgesetz, und niemand bekämpft heute - im Unterschied zur Zeit der Weimarer Republik - offen die Verfassung“,

sagte der deutsche Verfassungs- und Verwaltungsrechtler Prof Josef isen- see, Bonn, in seiner Vorlesungsreihe: „Ethische Grundwerte im freiheitlichen Staat“. Isensee erblickt mit Recht in dieser Popularität des Grundgesetzes einen außerordentlichen Erfolg des geteilten und in seiner politischen Tradition mehrfach gebrochenen Deutschland.

Wie vielleicht nirgendwo sonst in der westlichen Welt sei hier die Verfassung geradezu zum Synonym der nationalen Identität geworden, an das sich geradezu religiöse Heilshoffnungen knüpfen.

Prof. Isensee versäumte jedoch nicht, auch auf die Kehrseite der Medaille hinzuweisen: gesetzt, die Grundwerte sind tatsächlich verfassungsmäßig inkorporierte Elemente des politischen Konsenses der Bürger, so stellte sich heute mehr denn je die Frage, ob der Boden des Grundgesetzes tatsächlich so sicher sei, wie man das bis vor kurzem angenommen hatte; ob hinter der Bejahung des Verfassungstextes, in den jeder seine Absichten und Wünsche hineindenkt, nicht in Wirklichkeit ein schleichender Dissens hinsichtlich der fundamentalen Werte stehe.

Wie Prof. Isensee ausführte, sei gegenüber dieser Gefahr des „schleichenden Dissenses“ der offene Kampf, wie er in der Weimarer Republik von einflußreichen politischen Gruppierungen gegen die Verfassung geführt wurde, vergleichsweise harmlos gewesen. Isensee sprach in diesem Zusammenhang von einem neuen Typus von Revolution. Um heute Revolution zu machen, ist es nicht mehr notwendig, die Macht- und Nervenzentren des Staates durch einen militärischen Handstreich in die Gewalt zu bekommen: es genügt vollauf, die Verfassung umzuinterpretieren.

Kernpunkt dieser Salzburger Hochschulwochen war wohl die neuzeitliche autonome Freiheit, mit der sich Prof. Hermann Krings in seiner Rede auseinandersetzte. Machen wir uns diesbezüglich nichts vor: nur sehr zögernd widerstrebend habe sich die katholische Kirche mit diesem autono-

men Freiheitsverhältnis anfreunden können. Was wir heute erleben und wofür nicht zuletzt die diesbezüglichen Hochschulwochen Zeugnis ablegten, sei die verspätete Rezeption der Kantischen und Nachkantischen Philosophie der Freiheit durch das katholische Rechts-, Sozial- und Staatsdenken. Es wäre gewiß zu einseitig, wollte man diesen Vorgang ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des „Zusammenbruchs des Naturrechts“ und der klassischen katholischen Soziallehre sehen.

Mit Entschiedenheit wandte sich Prof. Krings gegen die Theorie vom „Zweiten Sündenfall“, die bis zum II. Vatikanischen Konzil weitgehend das Verhältnis der katholischen Kirche zur Moderne bestimmt hat, und kritisierte die Defensivstrategie der Kirche gegenüber den modernen Freiheitsbewegungen, weil sich diese dadurch der Möglichkeit begeben habe, diese Entwicklung mitzugestalten. Nicht der autonome Freiheitsbegriff der Neuzeit, der das Risiko des Bösen mitein- schließt, war falsch, sagte Krings, und die moderne Freiheitsgeschichte kein Irrweg, wie bestimmte christliche Konservative behaupten. Der fundamentale Fehler liege in dem Versuch, die Idee der Freiheit zu verdinglichen: man wolle Freiheit „haben“, sie wie einen Gegenstand besitzen, und habe zunehmend Unfreiheit geerntet. Der Preis, sagte Krings, den wir für die moderne Freiheit zu entrichten haben, sei nicht mehr und nicht weniger als der Verzieht auf die Utopie ihrer vollen Realisierung.

Auch der Tübinger Moraltheologe und Sozialethiker Prof. Alfons Auer betonte die Notwendigkeit, den autonomen Freiheitsbegriff der Neuzeit in das christliche Denken zu integrieren- freilich bei gleichzeitiger Kritik seiner radikalisierten Auswüchse, die diese Freiheit zu zerstören drohen. Es geht dabei nicht darum, die vermeintlich böse säkulare Welt gleichsam von oben herab zu verurteilen - eine Methode, die ja bis zum Überdruß geübt wurde, freilich aber ohne nennenswerten Erfolg. Diese Kritik des radikalen Autonomismus versteht sich vielmehr ganz im Gegenteil als Dienst an dieser säkularen Welt.

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