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Guerilla-Exodus

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Bei den unzähligen lateinamerikanischen Staatsstreichen, in denen das Regime zwischen Demokratie und Diktatur wechselt oder nur die Clique eines Generals von der eines anderen ersetzt wird, werden Hochverratsprozesse und Erschießungen traditionsgemäß vermieden. Der besiegte Politiker oder Offizier sucht Asyl in der Botschaft eines andern lateinamerikanischen (nicht eines europäischen) Staates; die siegreiche Regierung muß ihm nach lateinamerikanischem Völkerrecht freies Geleit in das Land gewähren, in-' dessen diplomatischer Vertretung er Zuflucht gefunden hat Das klappt freilich nicht immer. So mußte vor längerer Zeit der berühmte peruanische Nationalistenführer Victor Haye de la Torre nach dem Ausbruch einer Diktatur jahrelang in der militärisch abgeriegelten kolumbianischen Botschaft in Lima warten, bis die peruanische Regierung ihm auf internationalen Druck die Ausreise erlaubte. Bei diesen Staatsstreichen handelt es sich um ein „Schneider-leih-mir-die-Scher“'-Spiel innerhalb der herrschenden Schichten.

Anders liegt die Situation bei den echt klassenkämpferischen Revolutionen, wie man sie in Mexiko, Bolivien und Kuba erlebte. Die Guerilla-Herde dienen ihrer Vorbereitung. In diesen Fällen versagen die humanen Regeln des internationalen Völkerrechts. Die Guerilleros werden auch nicht als Bürgerkriegspartei anerkannt.

Nun enthalten viele lateinamerikanische Verfassungen eine Bestimmung, nach'der im Falle des „politischen Notstandes“ der Präsident das Recht hat, politische Gegner internieren zu lassen, wobei diesen die Option offensteht, das Land zu verlassen. Auch diese Möglichkeit wird den Guerrilleros in der Regel versagt, indem man sie nicht als politische, sondern als gewöhnliche Kriminelle bezeichnet. Die zwischenstaatliche Wanderbewegung politischer Gruppen geht deshalb zum großen Teil im Untergrund vor sich, wobei die aus Rechtsdiktaturen flüchtenden Linksrevolutionäre in ein ihnen politisch wohlgesonnenes Land zu gelangen trachten.

Das Allende-Regime, und bis zu einem gewissen Grade schon die vorangegangene Frei-Regierung, hatte die gefährdeten Linksextremisten aus ganz Lateinamerika magnetisch angezogen. Etwa 1300 Linksintellektuelle waren vor der 1964 an die Macht gelangten Militärregie-

von Santiago interniert sind. Die Junta erklärte, sie werde den Gästen der ausländischen diplomatischen Vertretungen den traditionellen Geleitbrief geben, soweit sie sie nicht wegen nachweisbarer Delikte — vor allem wegen Hochverrats — vor Militärgerichte stelle.

Die Regierung hat sich aber auf internationalen Druck verpflichtet, Ausländer nicht gegen ihren Willen in ihre Ursprungsländer 'zurückzuschicken und schließlich auch der übernationalen Genfer Emigrationsorganisation (CIME) zugestanden, den Flüchtlingsstrom zu regeln.

Hunderte politischer Flüchtlinge gelangten auf einer Art von Luftbrücke zum argentinischen Flughafen Ezeiza, wo sie im Internationalen Hotel unter Bedingungen untergebracht waren, über die sie bittere Klage führten. Einem kleinen Teil von ihnen gewährte die argentinische Regierung Asyl. Die andern können zwischen Kuba, Mexiko, Algier, Schweden und der Schweiz wählen.

Inzwischen ist die Weltmeinung wegen der bevorstehenden Hochverratsprozesse, vor allem gegen den chilenischen Kommunistenführer Luis Corvalän, mobilisiert worden, ohne daß man übersehen könnte, wieweit ihr Druck die chilenische Militärregierung zur Humanisierung ihrer Methoden veranlassen wird.

rung in Brasilien geflüchtet; mehr als 3000 Uruguayer, zum großen Teil „Tupamaros“, entkamen der Pache-co-Regierung; mehr als 4000 Bolivianer, meist Parteigänger des prokommunistischen Präsidenten General J. J. Torres, hatten bei dessen Sturz durch den General Hugo Banzer, ebenso wie etwa 2000 argentinische Guerilleros, die vermeintlich rettende chilenische Grenze erreicht. Die vor allem aus Kommunisten und Sozialisten gebildete „Union Populär“ Allendes nahm diese gleichgesinnten Emigranten mit offenen Armen auf und brachte sie zum großen Teil in Staatsstellungen unter. Die „Tupamaros“ gründeten eine eigene Flüchtlingsorganisation, die den neu Eintref-denden nicht nur Logis und Arbeit besorgten, sondern auch ihren revolutionären Neueinsatz vorbereitete.

Die siegreiche Militär-Junta unter General Augusto Pinochet veranstaltete als erstes eine Jagd auf die etwa 13.000 (illegal im Lande befindlichen) „Ausländer“, womit sie in Wirklichkeit die Extremisten meinte. Viele von ihnen und prominente Vertreter des abgesetzten chilenischen Regimes — insgesamt etwa 1500 — suchten in lateinamerikanischen Botschaften Asyl. Der größte Teil der Linksextremisten befindet sich unter den 5000 politischen Gefangenen, die im Stadion

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