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Guillotine für Althäuser

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Das Wahlversprechen der Regierung, jährlich 5000 Wohnungen mehr zu bauen, ist in den Fluten der Inflation untergegangen; übrig blieb das Bestreben der Regierung, mit dem Wohnungsproblem Gesellschaftspolitik zu betreiben.

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Das Wahlversprechen der Regierung, jährlich 5000 Wohnungen mehr zu bauen, ist in den Fluten der Inflation untergegangen; übrig blieb das Bestreben der Regierung, mit dem Wohnungsproblem Gesellschaftspolitik zu betreiben.

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Geschütz Nr. 1 ist das Boden-beschaffungs- und Assanierungsgesetz, das die Regierung vehement vom Parlament fordert. Nun verschließt sich zwar niemand der Tatsache, daß eine fortschrittliche und sinnvolle Raum- und Stadtplanung da und dort Eingriffe ins Eigentum fordert. Beim sozialistischen Entwurf, der solche Eingriffe nicht an genau und eng umrissene Voraussetzungen bindet, der nicht auf die Bereitstellung von Baugrund für Bauwillige, sondern in erster Linie auf Enteignungen zugunsten der öffentlichen Hand abzielt, besteht jedoch die Gefahr, daß die Enteignung zum Selbstzweck wird, die Sanierung der Wohnverhältnisse hingegen Nebensache, Vorwand bleibt.

Das zweite Geschütz, das in Stellung gebracht wird, ist eine Novellierung des Mietengesetzes, die nun schärfere Konturen annimmt. Zwar war schon vor den letzten Nationalratswahlen ein sozialistischer Initiativantrag eingebracht worden, der aber so unexakt war, daß er vernünftigerweise nicht realisierbar gewesen wäre; er hatte auch offenbar nur den Zweck, der Wahlpropaganda zu dienen, wobei mit seiner Annahme von Anfang an nicht gerechnet wurde.

Nunmehr scheint sich aber das Justizministerium an Stelle des Bautenressorts der Sache angenommen zu haben. Auf der anderen Seite prellt die sozialistische Mietervereinigung, deren Obmann nach wie vor Bautenminister Moser ist, mit 176 Änderungsvorschlägen zum Mietengesetz vor.

Was bisher bekannt wurde, sind zahlreiche Neuregelungen,' -worunter manche zweifellos bei vielen Mietern populär sein und kurzfristig einigen von ihnen auch Vorteile verschaffen werden. Für die Masse der Mieter handelt es sich freilich auf längere Sicht um recht dubiose Geschenke, die letzten Endes nicht ihnen, sondern der öffentlichen Hand zugute kommen. Das Ganze läuft in vielen Fällen darauf hinaus, die unangenehmen Folgen einer verfehlten Wirtschaftspolitik anderen aufzuhalsen.

Wie das vor sich gehen soll, zeigt sich am deutlichsten am Beispiel des Paragraphen 7 des Mietengesetzes; dieser ist nun einmal eine der bestgehaßten Bestimmungen des Mietengesetzes, so daß seine Novellierung in scheinbar mieterfreundlicher Weise zweifellos Popularitätspunkte einbringt.

Dieser Paragraph bestimmt, daß die Mietzinseinnahmen vom Hauseigentümer mit wenigen Ausnahmen zur Gänze für Reparaturen zur Verfügung gestellt werden müssen. Wenn aber (und das ist der Pferdefuß der Angelegenheit) die fünfjährige Mietzinsreserve plus den Zinseinnahmen der nächsten zehn Jahre nicht ausreichen, die Reparaturkosten zu decken, dann können die Schlichtungsstellen oder die Gerichte eine Erhöhung der Mietzinse bis zum Niveau der Kostendeckung innerhalb des genannten Zeitraumes verfügen.

Das aber bedeutet, insbesondere in den letzten Jahren, oft eine unliebsame Überraschung: kommt es doch in vielen Fällen bereits zur abrupten Erhöhung der bis dahin unveränderlichen Hauptmietzinse (nicht des Gesamtzinses, der ja noch die sogenannten Betriebskosten enthält, die seil Jahren bereits eine ständig steigend« Tendenz aufweisen) auf das Zehn-bis Fünfzehnfache.

Dem soll nun durch Gesetznovelle ein Riegel vorgeschoben werden: es soll eine Obergrenze für Paragraph-7-Erhöhungen festgelegt werden, wobei diese beim Sechs- oder Siebenfachen — bei Aufteilung auf zehr oder fünfzehn Jahre — liegen soll

Damit wäre zweifellos für viel« Menschen ein Unsicherheitsfaktoi beseitigt; zukünftige Belastunger wären voraussehbarer geworden. Ist aber damit wirklich das Problem gelöst?

Gerade dieses Beispiel zeigt besonders deutlich die fatale Neigung der Regierung, die Folgen ihrer Fehler auf andere abzuwälzen, es ihnen zu überlassen, wie sie damit fertig werden. Denn das eigentliche Problem heißt Inflation, heißt steigende Kosten für Bauleistungen, die der übrigen Inflation noch weit vorauseilen. Der Hausbesitzer kann daran nichts ändern, hat überhaupt keinen Einfluß darauf; dennoch werden ihm die Folgen aufgebürdet.

Konnte noch Mitte der fünfziger Jahre die Generalreparatur eines Hauses zumeist mit dem doppelten, allenfalls dem dreifachen Hauptmietzins bewerkstelligt werden, so reicht heute für die gleichen Arbeiten meist nicht einmal der zehnfache mehr aus. Wenn aber die Baukosten im gleichen Tempo wie in den letzten Jahren weiter steigen werden, so müssen wir in Zukunft mit einer noch rascheren Vervielfachung des Reparaturaufwandes rechnen.

Wenn nun eine fixe Obergrenze für Mietzinserhöhungen festgelegt wird, so bedeutet das, daß für die Erhaltung der Althäuser unbedingt notwendige Reparaturarbeiten einfach nicht mehr durchgeführt werden können, der Verfall des Altbaubestandes beschleunigt wird. Das neue Gesetz wird sich sehr rasch als Guillotine für Althäuser erweisen, was das Wohnen in Althäusern erst recht verunsichern wird.

Es bedeutet aber auch, daß die heute nur noch qualitative Wohnungsnot in eine quantitative rückverwandelt wird, daß das Verlangen nach Neubauwohnungen, das schon heute nicht mehr gedeckt werden kann, ins Unermeßliche steigen wird. Eine Forcierung der Bautätigkeit, das erleben wir schon heute, ist aber in absehbarer Zeit nicht möglich und wird günstigstenfalls auch langfristig nur in kleinen Schritten möglich sein; die Bereitstellung von mehr

Finanzierungsmitteln verpufft heute lediglich in höheren Baupreisen.

Die Alternative dazu wäre, durch Bauaufträge die Hauseigentümer zu zwingen, ohne Rücksicht auf Kostendeckung Reparaturarbeiten durchführen zu lassen. Das hätte zur Folge, daß sich jeder Hausbesitzer um praktisch jeden Preis von seinem Objekt zu trennen sucht, ja froh ist, seinen Besitz überhaupt jemand anderem überantworten zu können, um nicht zu einem finanziellen Engagement ä fonds perdu gezwungen zu sein.

Damit aber spielt ganz unauffällig und zwanglos wieder die Gesellschaftspolitik in eine scheinbar harmlose soziale Schutzmaßnahme herein: als Auffangstellen für die feilgebotenen Häuser böten sich nur der Staat und die Gebietskörperschaften, insbesondere die Gemeinden, an.

Dazu kommt noch ein weiteres, viel subtileres Instrument: entgegen der allgemeinen Regel, daß die Mehrwertsteuer auf den Letztverbraucher überwälzt werden dürfe, gilt dies für die Mieten als einzige Ausnahme nicht; die Kosten der Mehrwertsteuer muß der Hauseigentümer aus der Mietzinsreserve begleichen.

Das aber bedeutet wieder einen gewaltigen Aderlaß für die Zinseinnahmen und führt dazu, daß im Falle einer Paragraph-7-Reparatur die Mittel der Mietzinsreserve von vornherein weitgehend erschöpft sein werden, die Reparatur in noch höherem Maße mit künftigen Einnahmen finanziert werden muß.

Gewiß kann eine politische Partei mit der Festlegung einer Obergrenze für Mietzinserhöhungen nach Paragraph 7 Publicityeffekte erzielen; doch solche Maßnahmen werden gerade den scheinbar Begünstigten schließlich auf den Kopf fallen, zu starken volkswirtschaftlichen Substanzverlusten führen und dem Steuerzahler hohe Kosten verursachen.

Wahrscheinlich käme da eine Übernahme der Reparaturkosten, welche die gesetzliche Obergrenze überschreiten, durch die öffentliche Hand noch immer billiger; allerdings führte das letzten Endes ebenfalls zu einer kalten Enteignung, da die öffentliche Hand kaum ohne Absicherung Mittel zur Verfügung stellen wird.

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