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Gute Nacht für dicke Brummer

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Nachtfahrverbot für den Lkw-Transit: Ende einer Verkehrspolitik, die Eduard Wallnöfer mit dem Ausspruch: „Tirol darf nicht umfahren werden“, gekennzeichnet hatte.

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Nachtfahrverbot für den Lkw-Transit: Ende einer Verkehrspolitik, die Eduard Wallnöfer mit dem Ausspruch: „Tirol darf nicht umfahren werden“, gekennzeichnet hatte.

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Was die Schweiz schon seit Jahren gezielt tut, geschieht nun auch in Österreich: Der Transit-Verkehr zwischen den nördlichen EG-Län-dem \ind Italien wird eingebremst. In der Schweiz gilt eine Beschränkung des Höchs^ewichts für Lkw axd 28 Tonnen. Sie begünstigte eine

Umleitung des Lkw-Verkehrs auf Österreich. An der Zählstelle Vomp im Inntal wurden etwa 1987 31.760 Fahrzeuge (alle zwei Sekunden eines) gezählt. Davon waren 5250 Lkw, also sieben alle zwei Minuten - tagein, tagaus. EG-Lkw nehmen dabei beachtliche Umwege in Kauf, um die günstige Brenner-Route zu fahren: 560 Kilometer zwischen Brüssel imd Turin oder 250 Kilometer zwischen Stuttgart und Mailand (wie eine Untersuchung aus 1984 ergab).

Wenig Geldfür dieBahnundgroße Investitionen für den Autobahnbau lockten den Güterverkehr auf die Straße. Eine Untersuchung der Schweizer „Prognos AG“ schätzt, daß bis z\im Jahr 2000 der grenzüberschreitende Güterverkehr auf der Straße um 40 Prozent im Vergleich zu 1984 zimehmen wird. Wohlgemerkt: Ein beachtlicher Teil dieser Transporte ist volkswirtschaftlicher Nonsens, etwa wenn Milch aus Bayern in Mailand zu Käse verarbeitet wird, um dann in einem Stuttgarter Supermarkt verkauft zu werden.

Diese Transporte hinterlassen aber in Tirol die Kleinigkeit von 17 Tonnen Stickoxiden, 27 Tonnen Kohlemnonoxid, fünf Tonnen Kohlenwasserstoffe, zwei Tonnen Ruß tägUch - und produzieren eine un-erträgUche Lärmbelastung.

Nun, die heiudgen Tiroler Landtagswahlen waren ein Votum gegen diesen untragbaren Zustand, ein so deutliches, daß die im Landtag tonangebende ÖVP in der Verkehrspo-lit^ das Ruder herumgerissen hat.

„Die Tiroler Landesregierung wird ersucht, darauf hinzuwirken, daß diorch den Bundesminister für Verkehr unverzügHch axif sämtlichen Autobahnen Tirols ein Nachtfahrverbot für Lkw mit einem hochstzulässigen Gesamtgewicht über 7,5 Tonnen verordnet wird“, lautet ein nahezu einstimmiger Beschluß des Landtages.

Und der Verkehrräninister hat prompt reagiert: Ab Dezember 1989 wird auf der Tauem-, der Brenner-\md der Ihntalautobahn zwischen 22 \xad fünf Uhr das entsprechende Fahrverbotverfaängt Als Ergänzung erlassen die Landesbehöiden ein gleichlautendes Verbot für Bimdes-straßen. Der Wahlzettel erwies sich als mächtiges Instrument in der Hand des Wählers.

Ist das Problem damit gelöst? Ich meine: nein. Aber ein wichtiges Signal ist gesetzt. Und es ist auch keine Frage: Die Umsetzung dieser Maßnahme wird Probleme bereiten.

Da ist zunächst die Reaktion des Auslandes: Von Vergeltungsmaßnahmen wird gesprochen. Es ist zu hoffen, daß es nicht zu schlimm sein wird. Immerhinkonnte man sich bisher auch nicht zu Retorsionsmaßnahmen gegen die Schweiz entscheiden.

Außerdem ist dies ein guter Test für das Verständnis der EG für die besondere Notlage eines Landes. Hat sie hier kein Verständnis, kann man sichausrechnen, welchenSpiebraum wir als EG-Mitglied hätten, besondere Anliegen zu verwirkhchen.

Probleme wird die Abwicklung des Nachtfahrverbots an den Grenzen bringen. Mit Lkw-Stauungen bis zu 15 Kilometer täglich ist zu rechnen. Und der sich auf den Tag konzentrierende Lastverkehr wird den Autoverkehr tagsüber stark behindern, vorausgesetzt die Frachter passen ihr Verhalten nicht an die neuen Gegebenheiten an.

Ein Angebot gäbe es allerdings, wie man bei den Österreichischen Bimdesbahnen versichert. Man könne nämÜch avif der Inntal-Brenner-Strecke zusätzÜch 3 0 Züge einsetzen. Mit drei vorgespannten Lokomotiven ergäbe das eine Transportlei-stung von jeweils 1.600 Tonnen, was der Beförderungsleistung von rund 1.100 Lkw täglich entspricht.

Diese Transporte würden nicht als „rollende Landstraße“ (wobei Lkw und Fahrer per Bahn befördert werden), sondern als „unbegleiteter Kombiverkehr“ abzuwickeln sein. Das bedeutet Umsteigen auf Container oder Wechselaufbau bei Lkw, die ihre Ladung der Bahn übergeben, die sie zum Bestimmungsbahnhof befördert. Dort wird die Ladung von einem anderen Frachter übernommen und weiterbefördert.

Das erfordert Kooperation der Frachter. Die Kapazität der Verladestellen (München und Ala in Südtirol) soU ausreichend für diese Zusatzleistung sein.

Der Einwand, das Nachtfahrverbot seizu kurzfristig verhängt worden, hat etwas für sich. Die Umrüstung auf läimarme „Flü-ster-Lkw“ (sie allein düifenauch weiterhin nachts fahren) wird kaum rasch erfolgen können. Denn die Lebensdauer eines Lkw beträgt 1.500.000 Kilometer, also etwa acht Jahre, wenn man Jahresleistungen von 200.000 Kilometerzugrunde legt Die Zahl der lärmarmen Fahrzeuge wird wohl zunehmen (was dem österreichischen Produzenten Steyr, der diesbezüglich technische Pionierleistungen erbracht hat, zugute kommen wird), aber nur langsam.

Lärmarme Fahrzeuge sind ebenso nur eine Begleitmaßnahme wie die Aufbringung von „Flüster “asphalt Dieser Belag verringert den Verkehrslärm, erfordert aber massive Salzstreuung im Winter, was wiederum stark umweltbelastend ist

Lärmbekämpfung allein istkeine Lösung des Umweltproblems, sondern nur ein erster Ansatz zur Verbesserung der Lebenssituation der Bevölker\mg, deren Gesimdheits-

Kampf dem Sinnlos-Transit beeinträchtiguDg sich durchSchlaf-xmd Hörstörungen, Kopfschmerzen oder Blutdruckschwankungen äußert. Mindestens ebenso gefährUch sind die vom Straßenverkehr verursachten Abgase. Sie werden durch ein Nachtfahrverbot allein nicht wesentlich verringert Daher kann das nächtliche Fahrverbot für Lkw nur ein erster Schritt in Richtung auf eine wirkliche Beschränkung des Straßengüterverkehrs sein.

Insgesamt erscheint mir also das Nachtfahrverbot als Schritt in die richtige Richtimg (vielleicht muß man die Frist etwas erstrecken). Aber weitere Maßnahmen müssen folgen: van eine Umgehung auf der Pyhm-Strecke zu verhindern, um die Kapazität der Bahn zu erhöhen (die geplante Umfahrung Innsbruck- sie kostet 4,5 Milliarden Schilling - wird das Führen weiterer 100 Züge ermöglichen) und um das vielfach sinnlose Befördern von Gütern von einem Ende Europas zum anderen einzuschränken.

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