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Guter Rat ist gratis

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Die kostenlose Lebensberatung wird von immer mehr Menschen in Anspruch genommen. Ein gutes Zeichen: Man kehrt seine Probleme nicht länger unter den Teppich.

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Die kostenlose Lebensberatung wird von immer mehr Menschen in Anspruch genommen. Ein gutes Zeichen: Man kehrt seine Probleme nicht länger unter den Teppich.

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Die rund 170 staatlich geförderten Familien- und Lebensberatungsstellen verzeichneten 1981 rund 105.000 Beratungen. Allein die 61 Beratungsstellen des Katholischen Familienwerkes wurden im Vorjahr von 33.000 Ratsuchenden frequentiert, von mehr als doppelt so vielen wie noch fünf Jahre zuvor.

Und die Tendenz ist weiterhin steigend.

Leben wir also in einer Gesellschaft, die das Zusammenleben der Menschen, das Verhältnis von Eltern und Kindern immer pro-blembeladener und konfliktreicher macht?

Ja, meinen die einen. Und verweisen auf die Zunahme von psychosomatischen Erkrankungen unter Erwachsenen genauso wie bei Jugendlichen und Kindern. Daß die Gesellschaft krank ist und krank macht, lasse sich allein schon an der ständig steigenden Zahl von Ehescheidungen, an Alkohol- und Suchtgiftmißbrauch, an der gerade in Österreich überaus hohen Selbstmordrate ablesen.

Um einiges differenzierter beurteilt Helmar Kögl, Vorsitzender des überdiözesanen Leitungsgremiums der katholischen Familienberatungsstellen, den Klientenstrom in die Beratungszimmer.

Seiner Meinung nach sind die persönlichen und zwischenmenschlichen Schwierigkeiten, die familiären Krisensituationen im Vergleich zu früheren Zeiten nicht wesentlich häufiger oder dramatischer geworden. Vielmehr habe sich die Einstellung der Menschen zu ihren Problemen geändert.

„Zum Glück stellen wir heute fest, daß die Bereitschaft zunimmt, über seine Fehler und Schwächen und die daraus entstehenden Konflikte offen zu reden, sie zu analysieren und positiv zu bewältigen” (Kögl).

Ins gleiche Horn stößt auch Margaretha Kamper, im Familien-Staatssekretariat zuständig für die geförderten Beratungsstellen.

Kamper, die nebenbei auch selbst in einer — katholischen — Beratungsstelle tätig ist, weiß zu berichten, daß immer mehr Menschen den guten Ratschlag der Berater in Anspruch nehmen, noch bevor sie in eine dann scheinbar ausweglose Krisensituation gelangen.

„Wir arbeiten im vortherapeutischen Feld”,'skizziert Helmar Kögl grundsätzlich die Arbeit der Beratungsstellen und nimmt jenen Kritikern den Wind aus den Segeln, die den meist nebenberuflich und oft auch ehrenamtlich arbeitenden Beratern vorhalten, daß sie den Psychotherapeuten ins Handwerk pfuschen.

Wobei Kögl das Wort „Therapie” im Zusammenhang mit der Arbeit der Familien- und Lebensberater lieber vermeiden möchte: „Beratung ist ein wesentlich angstfreieres Wort als Therapie. Und vielleicht macht das auch einen Gutteil des Vertrauensvorschusses aus, den uns die Klienten entgegenbringen.”

Bei der. Auswahl der Berater wird höchstes Augenmerk darauf gelegt, daß sie Menschen sind, die sich vor allem selbst gut kennen und bereit sind, an ihrer eigenen Persönlichkeitsentwicklung zu arbeiten.

Darüber hinaus muß der Berater Respekt vor der Freiheit des Ratsuchenden haben. Er muß fähig sein, den Ratsuchenden in seiner persönlichen Eigenart zu akzeptieren, besonders auch, wenn dessen Wertvorstellungen von seinen eigenen abweichen (Berufsbild des Ehe-, Familien- und Lebensberaters, 1979 erarbeitet vom Arbeitskreis Beratung des Katholischen Familienwerks).

Neben den katholischen Beratungsstellen entstehen in den letzten Jahren immer häufiger solche, die von privaten Vereinen betrieben werden. Die Palette reicht dabei vom feministischen „Arbeitskreis für Emanzipation und Partnerschaft” in Innsbruck bis zum „Verein für psychische und soziale Lebensberatung” in Judenburg.

Wollen die Innsbrucker Frauen in erster Linie ein Gegengewicht zu den ihrer Meinung nach „frauenfeindlichen” katholischen Stellen — vor allem was die Frage der Abtreibung betrifft - schaffen, so ist die Judenburger Initiative aus der ökumenischen Bewegung hervorgegangen.

Der Verein, so Obmann Jörg Knauer, nimmt die Verantwortung des Christen für seinen Mitmenschen ernst und versucht, Evangelium zu realisieren.

Seit nunmehr drei Jahren wird die Beratungsstelle von etwa 70 Menschen im Monat aufgesucht. Die 15 Mitarbeiter arbeiten in der Mehrzahl ehrenamtlich und stellen ihre Honorare für weitere Aktivitäten des Vereines zur Verfügung.

So hat der Judenburger Verein eine Drogentherapiegruppe eingerichtet, arbeitet mit Alkoholikern und engagiert sich auch in Fragen der Psychiatriereform.

Momentan will man für eine Wohngemeinschaft von jugendlichen „Außenseitern” leerstehende Pf arrhöfe in der Umgebung (in Zusammenarbeit mit der steiri-schen Caritas) anmieten. Ein erster Anlauf scheiterte allerdings am Widerstand örtlicher Honoratioren wie auch des Pfarrgemeinderates, wie Jörg Knauer bedauernd feststellt.

Auch die katholischen Beratungsstellen weiten ihr Tätigkeitsfeld aus. In der Diözese St. Pölten etwa versucht man seit einiger Zeit mit beachtlichem Erfolg, die Gruppenarbeit mit Jugendlichen zu forcieren.

Und in Wien hat Helmar Kögl das sogenannte „Kinderschutz-zentrum” ins Leben gerufen, in dem mit Erfolg Eltern-Kinder-Probleme gemeinsam angegangen werden.

Alles in allem: Das Familien-beratungsförderungsgesetz hat nach Ansicht aller befragten Personen die Erwartungen durchaus erfüllt.

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