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Gutes Schuldengeschäft

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Nach den messerscharfen Vorstellungen des in puritanisch-haushälterischer Tradition aufgewachsenen Österreichers ist der ausgeglichene Haushalt des Bundes das Kriterium für den Erfolg oder Mißerfolg einer Budgetpplitik. Aus diesem Grund traf seinerzeit die Kritik der SPÖ-Opposition am „flotten Deflzitzwei-gespann Klaus-Schmitz“, das einen „sehr schönen Schuldengalopp eingeschlagen“ hätte (Dr. Pittermann Ende Oktober 1967 im Nationalrat) den Nerv der Österreicher — obwohl, wie es der spätere SPÖ-Staatssekre-tär Dr. Veselsky in einer Studie über den „Saldenfetischismus“ in Österreich sinngemäß formulierte, die buchhalterische Größe „Budgetdefl-zit“ für die Zwecke der ökonomischen Analyse der Budgetwirkungen auf die Entwicklung strategischer wirtschaftlicher Größen nur von geringer Bedeutung ist. Dafür gibt es mehrere Gründe: so erlauben negative Budgetsalden keine Hinweise auf die Wachstumseffekte, die von Budgets ausgehen; so ist die Größe des (negativen) Budgetsaldos nicht allein von der wirtschaftlichen Aktivität einer Regierung, sondern vor allem vom Niveau der gesamtwirtschaftlichen Aktivität abhängig; so sind durchaus nicht alle budgetä-ren Ansätze geldvermögenswirksam usw. In diesem Zusammenhang hat übrigens eine OECD-Studie über die Finanzpolitik in sieben wichtigen Industriestaaten eruiert, daß in keinem dieser untersuchten Staaten zwischen 1955 und 1965 ein (negativer) Budgetsaldo auch nur ein annähernd verläßlicher Maßstab für den Einfluß der Finanzpolitik auf die gesamtwirtschaftliche Aktivität ist.

Dennoch blieb, allen sachlichen Einwänden zum Trotz, das Budgetdefizit und damit die steigende Finanzschuld ein, nein, der Indikator für die Qualität der Budgetpolitik einer Regierung. Dabei ist, wie jüngst das Institut für Wirtschaftsforschung in einer Studie über „Staatsschuld und Staatsschuldenpolitik“ feststellte, „der Bund weniger verschuldet als die Zentralverwaltungen der meisten anderen westlichen Industrieländer, die Schweiz und die Bundesrepublik Deutschr land ausgenommen ... Viel höher ist die Staatsschuld vor allem in jenen Ländern, die eine große Kriegsschuld aus dem zweiten Weltkrieg übernom-nommen haben (in Großbritannien erreicht sie beispielsweise fast das doppelte Bruttosozialprodukt).“

So stieg die Gesamtschuld Österreichs zwischen 1956 und 1972 von 13 Mrd. Schilling auf 50,5 Mrd. Schilling (Schätzung), also fast um das Vierfache, wobei der Anteil der Gesamtschuld am Bruttosozialprodukt in diesem Zeitraum relativ konstant blieb. Dieser Anteil betrug 1956 10,8 Prozent, 1963 12,1 Prozent, erreichte 1968 mit 13,2 Prozent den höchsten Wert und dürfte Ende 1972 bei 11,1 Prozent (Schätzung des Finanzministeriums) liegen. Lag bei der Amtsübernahme der sozialistischen Regierung der Schuldbetrag pro Kopf der Bevölkerung noch bei rund 6400 Schilling, so dürfte die Pro-Kopf-Schuld bis Ende 1972 auf etwa 6900 Schilling, also um etwa 8 Prozent gestlegen sein. In der Budgetvorschau 1970 bis 1974 des Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen aus dem Jahre 1970 wird bis Ende 1974, also dem Auslaufen der

Legislaturperiode unter einer sozialistischen Alleinregierung, mit einem Anstieg der Staatsschuld auf rund 62 Mrd. Schilling gerechnet, wobei auf Grund der Prognosen über die Entwicklung des Bruttosozialprodukts auch dann die Relation Gesamtschuld zum Bruttosozialprodukt den langjährigen Durchschnitt nicht übersteigen dürfte. Diese Relation deckt sich im übrigen auch mit einer Empfehlung des Beirats für Wirtschafts- und Sozialfragen, die Staatsschuld auf mittlere Sicht so wie das nominelle Bruttosozialprodukt steigen zu lassen, weil dann die relative Belastung der Steuerzahler und auch die des Bundes mit Zinsen ziemlich konstant bleibt. Diese Empfehlung ist im übrigen eine radikale Abkehr von dem von der ÖVP unter Finanzminister Dr. Schmitz vertretenen Politik des „währungsneutralen“ Budgets.

Erschwerung für Währungspolitik

Freilich hat das von den Sozialisten noch verteufelte permanente Ansteigen der Staatsschuld auch Folgen für die Wirtschaftspolitik der öffentlichen Hand. So engt der Zinsendienst des Bundes die Flexibilität des Budgets ein (1956 beanspruchten die Zinsen für die Finanzschuld des Bundes etwa 1 Prozent des Steueraufkommens des Bundes; 1971 waren es hingegen bereits 5,6 Prozent). Zusätzliche Steuern, die zur Bestreitung des Zinsendienstes erforderlich sind, haben — abgesehen von den politischen Schwierigkeiten, die Steuerbelastungsquote neuerlich zu erhöhen — negative Folgen auf die Einkommensverteilung, wenn man berücksichtigt, daß Zinszahlungen für Inlandsschulden an hauptsächlich wohlhabendere Schichten fließen, hingegen von allen Steuerzahlern finanziert werden müssen. Schließlich aber verschiebt die Kreditfinanzierung öffentlicher Ausgaben die Vermögensbildung vom Bund auf die Privaten und erschwert somit eine wirksame Währungspolitik.

Neben der ökonomischen Zweckmäßigkeit von Budgetdefizits und einer damit steigenden Staatsyer-schuldung sind freilich auch die finanztechnischen Aspekte zu beurteilen. Trotz sozialistischer Versuche, dies zu ändern, bestehen in Österreich keine dirigistischen Bestimmungen zugunsten des Staatskredits. Weder sind die Kreditunternehmungen verpflichtet, einen Teil ihrer Mittel in Staatspapieren anzulegen, noch wird der Erwerb staatlicher Schuldtitel einseitig steuerlich prämiiert. Dies und die Enge des österreichischen Geld- und Kapitalmarktes beschränken die Finanzierungsmöglichkeiten von Staatsschulden wie eine Sicherheitsschranke gegen übermäßige Budgetdefizits. Dies hat in der Praxis zur Folge gehabt, daß wichtige Bundesinvestitionen außerhalb des Budgets finanziert werden (Fondsfinanzierung, Mauteinhebung), und daß der Bund einen Teil seines Finanzierungsbedarfs im Ausland deckt.

Wahrscheinlich wird der amtierende Finanzminister unter Berufung auf Gutachten und Empfehlungen schon in nächster Zeit die Frage, wie die technischen Voraussetzungen für eine zweckmäßige und umfassende Konzeption der Staatsschuldenpolitik verbessert werden können, angehen. Sicherlich ist. das notwendig, sicherlich ist damit aber auch eine totale Abkehr der von der SPÖ-Opposition seinerzeit verteufeiten (Staats-)Schuldenpolitik der ÖVP-Regierung verbunden. Das mag die ÖVP-Finanzminister zwischen 1966 und 1970 nachträglich entlasten, die demagogische Opposition der SPÖ (auch des gegenwärtigen Finanzministers) freilich nicht.

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