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Gutes SchulkKma hebt die Leistung

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Eine Untersuchung in 62 österreichischen Schulen ergab: Die Lehrerausbildung vernachlässigt Methoden der Wissensvermittlung gegenüber dem zu vermittelnden Wissen.

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Eine Untersuchung in 62 österreichischen Schulen ergab: Die Lehrerausbildung vernachlässigt Methoden der Wissensvermittlung gegenüber dem zu vermittelnden Wissen.

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Insgesamt 15.000 Stunden seines Lebens sitzt jeder junge Mensch hierzulande durchschnittlich in der Schule ab. Geprüft und benotet wird nur ein Teil dessen, was er sich dort an Wissen und Erfahrung erwirbt.

Unabhängig von Lehrplänen, Schularbeiten und Prüfungen ist er ja tagaus, tagein menschlichen Begegnungen ausgesetzt, deren Einfluß auf das Lernverhalten, auf die Motivierbarkeit und letztlich auf die Leistung bislang nicht einmal von Pädagogen in ihrer vollen Bedeutung wahrgenommen wurde. Nun stand die Frage nach dem Schulklima, seinem Zustandekommen und seinen Auswirkungen im Mittelpunkt einer Untersuchung des Instituts für Erziehungswissenschaften der Universität Wien.

Ein Team von Wissenschaftlern unter der Leitung von Friedrich Oswald führte an 62 österreichischen Schulen verschiedener Typen Befragungen durch. Die Untersuchung versteht Schulklima als die charakteristische Eigenart jeder Schule, die auch bei völlig identischen gesetzlichen Bedingungen, bei gleichen Schultypen als eigene „Schulwelt“ erlebt wird. Das betrifft sowohl die komplexen Vorgänge zwischen den einzelnen Personen, die am Schulgeschehen beteiligt sind, wie auch deren Einfluß auf Lernen, Kommunikation und Motivation.

Schüler, Lehrer, Eltern und Direktoren haben über ihre sozialen Erfahrungen im Schulleben berichtet, wobei sowohl ihre Grundeinstellung zur Schule als auch ihre Idealvorstellung erhoben wurden.

Das Ergebnis beseitigte jeden Zweifel an einer starken Wechselwirkung, daran also, daß von dem, was vom einzelnen als Schulklima wahrgenommen wird, sehr viel auf dieses wirkt.

Außerdem wurde klar, daß nicht nur den Beziehungen eine Bedeutung zukommt, die eine Person, etwa einen Schüler, direkt betreffen — seinem Kontakt zu seinen Mitschülern also, zu den Lehrern, zum Direktor. Das ganze Kommunikationssystem einer Schule, in das jeder eingespannt ist, hat starke Rückwirkungen auf das Befinden jedes einzelnen.

Es ist also keineswegs unwesentlich für einen Schüler, wie das Verhältnis der anderen Schüler untereinander ist, wie Lehrer mit anderen Schülern umgehen und wie die Beziehung der Lehrer untereinander aussieht, welche Stellung der Direktor einnimmt und wie er eingeschätzt wird. Sogar die Kommunikation mit der Schulbehörde kann eine Rolle spielen, und selbstverständlich hat auch die Beziehung der Eltern zur Schule ihren Anteil an diesem Wirkungsgefüge.

Vier unterschiedliche Klimatypen konnten Oswald und seine Mitarbeiter auf Grund der Ergebnisse der Befragung feststellen. In Schulen, wo die persönlichen BeZiehungen sowohl innerhalb der Gruppen als auch zwischen ihnen positiv verlaufen (personenorientierter Klimatyp), überwiegen Toleranz und Vertrauen, das Engagement aller Beteiligten ist groß, und die Anonymität eines Massenbetriebes kann leicht überwunden werden. Der Notendurchschnitt ist deutlich höher als in Schulen jedes anderen Klimatyps.

Am schlechtesten in allen Bereichen schneiden Schulen ab, in denen die Beziehungen kritisch und distanziert sind (Distanztyp). Positiv ist hier lediglich das Zusammengehörigkeitsgefühl der Schüler untereinander, das zusammen mit einem gewissen Laisser-faire-Stil die Schulangst in Grenzen hält. Dagegen ist die Schulunlust hier besonders hoch.

Das Gegenstück dazu — das autokratische, funktionsorientierte Schulklima - wird in seinen Auswirkungen ähnlich negativ bewertet. Hier empfinden nicht nur die Lehrer den „Systemdruck“ besonders hoch, auch unter den Schülern herrscht Konkurrenz und wenig Zusammenhalt.

Eine weitere Variante ist der „Diskrepanztyp“, wo die Bewertung durch Lehrer ganz anders ausfällt als die der Schüler und Eltern. Während Lehrer ihre Beziehung zu den Schülern und die Unterstützung, die sie ihnen geben, als positiv einschätzen, sehen Eltern und Schüler beides als schlecht an. Schulangst und Schulunlust sind hoch.

Schulangst ist — so zeigt die Studie - nicht einfach gleichzusetzen mit Angst vor schlechten Noten oder ungerechten Lehrern. Ausschlaggebend sind vielmehr Konkurrenz und Intoleranz in den persönlichen Beziehungen der Schüler untereinander.

Eine andere Sache sind Schulunlust und Desinteresse. Sie gehen eindeutig mit Uberforderung, zu wenig Mitbestimmung und schlechten Kontakten zwischen Lehrern und Schülern einher. Während für Schüler die Hauptschwierigkeiten des Schullebens Schulangst und Schulunlust darstellen, haben Lehrer in erster Linie gegen Streß anzukämpfen.

Streß bedeutet für die Lehrer nicht vorwiegend Arbeitsüberlastung, sondern entsteht dort, wo ihre Arbeit behindert und erschwert wird. Die organisatorischen Pflichten werden zum Beispiel als massive Störung bei der eigentlichen Aufgabe, dem Unterrichten, empfunden. Aber auch schlechte persönliche Beziehungen stellen eine Arbeitsbehinderung dar.

Dabei spielen besonders die Kontakte zu den Kollegen eine große Rolle. Das Klima einer Schule wird von den Lehrern jedenfalls hauptsächlich nach ihren persönlichen Beziehungen untereinander beurteilt. Als streßfördernd betrachten Lehrer aber auch den Leistungsanspruch aus den eigenen Reihen, etwa ein überhöhtes Bildungsideal, das sie von ihrer eigenen Ausbildung mitbringen.

Ein gutes Beziehungsnetz in der Schule wirkt sich also auf alle Bereiche des Schulgeschehens gut aus — das steht fest. Trotzdem kann man den Problemen, wie sie sich im aktuellen Schulleben darstellen, nicht mit dem pauschalen Auftrag „Seid lieb zueinander!“ beikommen. Der Autor der Studie zieht ein mehrfaches Fazit.

Er gelangt zu einer vehementen Kritik an der Theorie der Lehrerausbildung, wie sie derzeit vorherrscht. Wissenschaftsorientierung, Verfachlichung und Leistungsselektion stehen, so Oswald, im Vordergrund, darum werden nicht Lehrer, sondern „Unterrichter“ herangebildet. Diese aber sind für die vielfachen sozialen Erfordernisse des Lehrberufes schlecht vorbereitet.

Ein künftiger Lehrer müßte schon in seiner Ausbildung viel stärker damit konfrontiert werden, daß die Wissensvermittlung nur einen Teil seines Berufes ausmacht. Soziales Lernen wird sowohl für die Lehrerausbildung wie auch für die Weiterbildung gefordert.

Eine weitere Folgerung aus dieser Studie betrifft die Schulreform. Auch diese müßte, so Oswald, den personalen Faktor mit einbeziehen. Die Schwierigkeit besteht aber darin, daß gerade ein solcher Bereich für Verordnungen und Dekrete nur schwer zugänglich ist. Erfolge können nur erreicht werden, wenn mehr individuelle Freiräume und Möglichkeiten in der Schule geschaffen werden.

Sollten wirklich neue Konzepte entwickelt werden, wäre es eine dringende Forderung, dabei auch Lehrer zur Mitarbeit heranzuziehen — was keinesfalls so selbstverständlich ist, wie es klingt.

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