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Haben Glaubensgespräche einen Sinn?

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Seit vielen Jahren beschäftigt mich diese Frage, und oft bin ich deprimiert, weil das Ergebnis negativ ausfällt Ich meine hiemit nicht ein Gespräch mit Menschen, die eine ähnliche Einstellung haben, eventuell auch Personen, die selbst ein tiefes religiöses Erlebnis gehabt haben. Mit ihnen läßt sich leicht reden, weil man auf der gleichen Grundlage aufbauen kann.

Aber wie steht es mit jenen, die anders denken, die sich mit den Problemen auch auseinandergesetzt haben, aber zu anderen Ergebnissen gekommen sind? Hat es einen Sinn, mit ihnen länger zu diskutieren, seine Zeit zu verschwenden? Soll man z. B. auf den Einwand, daß die nahezu 2000 Jahre Christentum die Menschen auch nicht besser gemacht haben, zu antworten versuchen, und wie soll man das machen?

Freilich kann man auf die einzelnen lichten Persönlichkeiten hinweisen, die es in dieser Zeit gegeben hat, ob es ein Franz von Assisi ist oder eine Katharina von Sie-na, die vielen Märtyrer vergangener Jahrhunderte oder auch die Unzahl jener, die in den letzten 40 Jahren ihr Leben für ihren Glauben und ihre Uberzeugung gelassen haben. Aber wird das sicher überzeugen?

Erst kürzlich sagte mir in diesem Zusammenhang ein ernst zu nehmender Gesprächspartner, er halte Franz von Assisi für einen ausgesprochenen Psychopathen. In der Literatur wurde ja auch schon versucht, selbst Christus als einen solchen abzutun. „Abzu-tun?“ Aber vielleicht braucht man diesen Ausdruck gar nicht im abwertenden Sinne aufzufassen, vielleicht darf man stattdessen „abnorm nicht der Norm entsprechend“ setzen, das heißt in diesem Falle aber „über der Norm“, wenn wir schon beim Werten sind.

Freilich sind die Grenzen hier knapp gezogen, und es gibt sicher auch psychisch

wirklich gestörte Menschen, die religiöse Wahnideen mit sich herumtragen ... Kürzlich habe ich in der St. Georgenkirche in Stein am Rhein ein von einer ökumenischen Jugendgruppe aufgeführtes religiöses Spiel von Silia Walter gesehen, in dem die Geschichte von Zacharias und Elisabeth mit dem „Hohen Lied“ und dem Adventgedanken verbunden war. Eine gute Aufführung, in der die Begeisterung der jungen Leute tief beeindruckte.

Nachträglich beschäftigte mich dann der Gedanke daran, daß jene Menschen damals es als selbstverständlich annahmen, daß Zacharias deshalb stumm geworden war, weil er Gottes Boten geschaut hatte. In unserer

realistischen Zeit hätte man ihn kurzerhand als Hysteriker abgestempelt.

Unter vielen Gesprächen, die ich im Laufe meines Lebens geführt habe, fällt mir eines mit einem christlich engagierten Studenten ein, einem aufrechten und klugen Menschen. Es wunderte mich damals, daß er nach kurzem Hin und Her entschlossen meinte, diese Dinge könne man nicht verstehen oder erklären, die könne man eben nur glauben. Daß er für diesen Glauben später sein Leben lassen mußte, ist ein anderes Kapitel.

Dennoch ergaben sich immer wieder Gespräche, wohlgemerkt, nicht erzwun-

gene, denn ich glaube nicht, daß das Missionieren Aufgabe des Arztes ist. Aber manchmal fragen einen junge Menschen, was man zu gewissen Problemen meine. Es ist nicht immer leicht, ihnen zu antworten. Und was soll man sagen, wenn einem eine erfahrene Psychologin, eine kluge und gütige Frau, eines Tages sagt, sie müsse bei Glaubensgesprächen leider immer an den Schlager denken, in dem es heißt: „Der Papa wird's schon richten, das g'hört zu seinen Pflichten“?

Nein, so einfach ist das nicht, das gläubige Überlassen an Gottes Willen, das „Ja“-Sagen in jedem Fall. Nicht umsonst gehört zu jeder wirklichen Bitte der Nachsatz: „Aber nicht mein, sondern Dein Wille geschehe!“ Kann man dies anderen aber richtig erklären?

Wie oft steht der Arzt am Lager eines Schwerkranken, an einem Totenbett oder nachdem er von einem schweren Schicksalsschlag, einer chronisch fortschreitenden Krankheit erfahren hat, selber tief erschüttert, mit leeren Händen da. Oder sind seine Hände gar nicht leer? Kann seine eigene tiefe Uberzeugung, daß alles letzten Endes einen Sinn hat, doch ein wenig helfen?

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